Brief jungen deutschen Mahlers in Rom an seinen Freund in Nürnberg.
Theurer Bruder und Genosse,
Lange ist es schon, ich weiß es wohl, daß ich Dir nicht geschrieben habe, so oft ich auch mit inniger Liebe an Dich dachte; denn es giebt Stunden im Leben, in denen den beflügelten Gedanken alles Äußere zu lang¬ sam von Statten geht, wo die Seele sich selbst mit Vorstellungen abarbeitet, und eben deswegen äußerlich nichts geschieht. Eine solche Epoche habe ich jetzt erlebt, und nun, da ich innerlich wieder etwas zur Ruhe bin, nehme ich auch sogleich die Feder, um Dir, geliebter Sebastian, meinem werthesten Ju¬
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Brief jungen deutſchen Mahlers in Rom an ſeinen Freund in Nürnberg.
Theurer Bruder und Genoſſe,
Lange iſt es ſchon, ich weiß es wohl, daß ich Dir nicht geſchrieben habe, ſo oft ich auch mit inniger Liebe an Dich dachte; denn es giebt Stunden im Leben, in denen den beflügelten Gedanken alles Äußere zu lang¬ ſam von Statten geht, wo die Seele ſich ſelbſt mit Vorſtellungen abarbeitet, und eben deswegen äußerlich nichts geſchieht. Eine ſolche Epoche habe ich jetzt erlebt, und nun, da ich innerlich wieder etwas zur Ruhe bin, nehme ich auch ſogleich die Feder, um Dir, geliebter Sebaſtian, meinem wertheſten Ju¬
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Brief
jungen deutſchen Mahlers
in Rom
an ſeinen Freund in Nürnberg.
Theurer Bruder und Genoſſe,
Lange iſt es ſchon, ich weiß es wohl, daß
ich Dir nicht geſchrieben habe, ſo oft ich
auch mit inniger Liebe an Dich dachte; denn
es giebt Stunden im Leben, in denen den
beflügelten Gedanken alles Äußere zu lang¬
ſam von Statten geht, wo die Seele ſich
ſelbſt mit Vorſtellungen abarbeitet, und eben
deswegen äußerlich nichts geſchieht. Eine
ſolche Epoche habe ich jetzt erlebt, und nun,
da ich innerlich wieder etwas zur Ruhe bin,
nehme ich auch ſogleich die Feder, um Dir,
geliebter Sebaſtian, meinem wertheſten Ju¬
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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/187>, abgerufen am 22.02.2025.
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