Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König, Wahrlich es füllt mit Wonne das Herz, dem Gesange zu horchen, Wenn ein Sänger, wie dieser, die Töne der Himmlischen nachahmt. Denn ich kenne gewiß kein angenehmeres Leben, 5 Als wenn ein ganzes Volk ein Fest der Freude begehet, Und in den Häusern umher die gereiheten Gäste des Sängers Melodieen horchen, und alle Tische bedeckt sind Mit Gebacknem und Fleisch, und der Schenke den Wein aus dem Kelche Fleißig schöpft, und ringsum die vollen Becher vertheilet. 10 Siehe das nennet mein Herz die höchste Wonne des Lebens!
Jezo gefällt es dir, nach meinen kläglichen Leiden Mich zu fragen, damit ich noch mehr mein Elend beseufze. Aber was soll ich zuerst, was soll ich zulezt dir erzählen? Denn viel Elend häuften auf mich die himmlischen Götter! 15 Sagen will ich zuerst, wie ich heiße: damit ihr mich kennet, Und ich hinfort, so lange der grausame Tag mich verschonet, Euer Gastfreund sei, so fern ich von hinnen auch wohne. Ich bin Odüßeus, Laertäs Sohn, durch mancherlei Klugheit Unter den Menschen bekannt; und mein Ruhm erreichet den Himmel. 20
Oduͤßee. Neunter Geſang.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Weitgeprieſener Held, Alkinoos, maͤchtigſter Koͤnig, Wahrlich es fuͤllt mit Wonne das Herz, dem Geſange zu horchen, Wenn ein Saͤnger, wie dieſer, die Toͤne der Himmliſchen nachahmt. Denn ich kenne gewiß kein angenehmeres Leben, 5 Als wenn ein ganzes Volk ein Feſt der Freude begehet, Und in den Haͤuſern umher die gereiheten Gaͤſte des Saͤngers Melodieen horchen, und alle Tiſche bedeckt ſind Mit Gebacknem und Fleiſch, und der Schenke den Wein aus dem Kelche Fleißig ſchoͤpft, und ringsum die vollen Becher vertheilet. 10 Siehe das nennet mein Herz die hoͤchſte Wonne des Lebens!
Jezo gefaͤllt es dir, nach meinen klaͤglichen Leiden Mich zu fragen, damit ich noch mehr mein Elend beſeufze. Aber was ſoll ich zuerſt, was ſoll ich zulezt dir erzaͤhlen? Denn viel Elend haͤuften auf mich die himmliſchen Goͤtter! 15 Sagen will ich zuerſt, wie ich heiße: damit ihr mich kennet, Und ich hinfort, ſo lange der grauſame Tag mich verſchonet, Euer Gaſtfreund ſei, ſo fern ich von hinnen auch wohne. Ich bin Oduͤßeus, Laertaͤs Sohn, durch mancherlei Klugheit Unter den Menſchen bekannt; und mein Ruhm erreichet den Himmel. 20
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Oduͤßee.
Neunter Geſang.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Weitgeprieſener Held, Alkinoos, maͤchtigſter Koͤnig,
Wahrlich es fuͤllt mit Wonne das Herz, dem Geſange zu horchen,
Wenn ein Saͤnger, wie dieſer, die Toͤne der Himmliſchen nachahmt.
Denn ich kenne gewiß kein angenehmeres Leben,
Als wenn ein ganzes Volk ein Feſt der Freude begehet,
Und in den Haͤuſern umher die gereiheten Gaͤſte des Saͤngers
Melodieen horchen, und alle Tiſche bedeckt ſind
Mit Gebacknem und Fleiſch, und der Schenke den Wein aus dem Kelche
Fleißig ſchoͤpft, und ringsum die vollen Becher vertheilet.
Siehe das nennet mein Herz die hoͤchſte Wonne des Lebens!
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Jezo gefaͤllt es dir, nach meinen klaͤglichen Leiden
Mich zu fragen, damit ich noch mehr mein Elend beſeufze.
Aber was ſoll ich zuerſt, was ſoll ich zulezt dir erzaͤhlen?
Denn viel Elend haͤuften auf mich die himmliſchen Goͤtter!
Sagen will ich zuerſt, wie ich heiße: damit ihr mich kennet,
Und ich hinfort, ſo lange der grauſame Tag mich verſchonet,
Euer Gaſtfreund ſei, ſo fern ich von hinnen auch wohne.
Ich bin Oduͤßeus, Laertaͤs Sohn, durch mancherlei Klugheit
Unter den Menſchen bekannt; und mein Ruhm erreichet den Himmel.
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/168>, abgerufen am 21.12.2024.
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