vollen Ganzen wie ein Naturwesen mitwirken. Die Lehre von den Zwei- gen wird den Gegensatz der Stylrichtungen ausführlicher darstellen; er beruht auch in der Art der Composition und in der Staffage, worauf wir hier noch nicht eingehen können.
§. 678.
Allein nicht das ganze Reich des Landschaftlichen ist gewonnen. In vie- len Erscheinungen kann die Malerei mit der Natur überhaupt nicht wetteisern, andere zertheilen und verhüllen mit augenblicklicher Pracht ein Ganzes, dessen bleibende Schönheit der bildenden Kunst wichtiger ist, oder widersprechen dem Gesetze der künstlerischen Durcharbeitung des Colorits, andere tragen überhaupt zu sehr den Charakter des Seltsamen, Vereinzelten, Flüchtigen, um sich im Raume fesseln zu lassen: drei Arten, die sich mannigfach verbinden.
Nunmehr treten sogleich in diesem Gebiet auch die Grenzen der Ma- lerei zu Tage, welche freilich ihr ganzes und volles Licht erst erhalten, wenn sich zeigen wird, was Alles die Dichtung umfaßt. Zu der ersten Art unzugänglicher Erscheinungen gehören verzüglich die höchsten Licht- wirkungen, vor Allem der lichtbringende Körper selbst, die Sonne im vol- len Tagesglanze. Zur zweiten Baumblüthe, gestirnter Himmel, erstes Wiesengrün im Frühling. Warum ist denn ein blühender Baum (er träte denn nur halbversteckt zwischen vollem Grün hervor) unmalerisch? Weil die höhere malerische Schönheit der Baumkrone in der Gruppirung ihrer Hauptmassen, im Hauch, Wurf, in der bleibenden Farbe des Grüns liegt, wogegen die Blüthe nur als ein augenblicklicher, diese Grundschönheit verhüllender, in der wirklichen Natur heiterer, in der bildenden Kunst kindischer Aufputz erscheint. Ebenso zertheilen die Sterne das herrliche Ganze des tiefblauen krystallenen Himmelsgewölbes durch unzähliche un- ruhige Glanzpuncte. Man meine nicht, wir thun der herrlichen Erschei- nung unrecht, es handelt sich nur von dem malerisch Darstellbaren; in der Poesie werden wir es anders finden. Das erste Wiesengrün ist ein Hauptbeispiel für solche Erscheinungen, auf welche die Worte des §. sich beziehen: oder widersprechen u. s. w.; wir haben es schon bei dem Colorit erwähnt (§. 671 Anm.): es stört den Charakter des durch den reif ko- chenden Künstlergeist Hindurchgegangenen, Zeitigen, Durchbrüteten, schreit aus der abdämpfenden Harmonie heraus, ist "giftig". Und so noch viele andere Farbenerscheinungen. Zur dritten Art gehören seltsame Beleuch- tungs-Effecte, frappante Reflex-Wirkungen, worin die Natur fast theatra- lisch erscheint, sowohl vorübergehende, als auch bleibende, wie z. B. die blaue Grotte in Capri und dergl. Die neuere Landschaftmalerei liebt es
vollen Ganzen wie ein Naturweſen mitwirken. Die Lehre von den Zwei- gen wird den Gegenſatz der Stylrichtungen ausführlicher darſtellen; er beruht auch in der Art der Compoſition und in der Staffage, worauf wir hier noch nicht eingehen können.
§. 678.
Allein nicht das ganze Reich des Landſchaftlichen iſt gewonnen. In vie- len Erſcheinungen kann die Malerei mit der Natur überhaupt nicht wetteiſern, andere zertheilen und verhüllen mit augenblicklicher Pracht ein Ganzes, deſſen bleibende Schönheit der bildenden Kunſt wichtiger iſt, oder widerſprechen dem Geſetze der künſtleriſchen Durcharbeitung des Colorits, andere tragen überhaupt zu ſehr den Charakter des Seltſamen, Vereinzelten, Flüchtigen, um ſich im Raume feſſeln zu laſſen: drei Arten, die ſich mannigfach verbinden.
Nunmehr treten ſogleich in dieſem Gebiet auch die Grenzen der Ma- lerei zu Tage, welche freilich ihr ganzes und volles Licht erſt erhalten, wenn ſich zeigen wird, was Alles die Dichtung umfaßt. Zu der erſten Art unzugänglicher Erſcheinungen gehören verzüglich die höchſten Licht- wirkungen, vor Allem der lichtbringende Körper ſelbſt, die Sonne im vol- len Tagesglanze. Zur zweiten Baumblüthe, geſtirnter Himmel, erſtes Wieſengrün im Frühling. Warum iſt denn ein blühender Baum (er träte denn nur halbverſteckt zwiſchen vollem Grün hervor) unmaleriſch? Weil die höhere maleriſche Schönheit der Baumkrone in der Gruppirung ihrer Hauptmaſſen, im Hauch, Wurf, in der bleibenden Farbe des Grüns liegt, wogegen die Blüthe nur als ein augenblicklicher, dieſe Grundſchönheit verhüllender, in der wirklichen Natur heiterer, in der bildenden Kunſt kindiſcher Aufputz erſcheint. Ebenſo zertheilen die Sterne das herrliche Ganze des tiefblauen kryſtallenen Himmelsgewölbes durch unzähliche un- ruhige Glanzpuncte. Man meine nicht, wir thun der herrlichen Erſchei- nung unrecht, es handelt ſich nur von dem maleriſch Darſtellbaren; in der Poeſie werden wir es anders finden. Das erſte Wieſengrün iſt ein Hauptbeiſpiel für ſolche Erſcheinungen, auf welche die Worte des §. ſich beziehen: oder widerſprechen u. ſ. w.; wir haben es ſchon bei dem Colorit erwähnt (§. 671 Anm.): es ſtört den Charakter des durch den reif ko- chenden Künſtlergeiſt Hindurchgegangenen, Zeitigen, Durchbrüteten, ſchreit aus der abdämpfenden Harmonie heraus, iſt „giftig“. Und ſo noch viele andere Farbenerſcheinungen. Zur dritten Art gehören ſeltſame Beleuch- tungs-Effecte, frappante Reflex-Wirkungen, worin die Natur faſt theatra- liſch erſcheint, ſowohl vorübergehende, als auch bleibende, wie z. B. die blaue Grotte in Capri und dergl. Die neuere Landſchaftmalerei liebt es
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[583/0091]
vollen Ganzen wie ein Naturweſen mitwirken. Die Lehre von den Zwei-
gen wird den Gegenſatz der Stylrichtungen ausführlicher darſtellen; er
beruht auch in der Art der Compoſition und in der Staffage, worauf
wir hier noch nicht eingehen können.
§. 678.
Allein nicht das ganze Reich des Landſchaftlichen iſt gewonnen. In vie-
len Erſcheinungen kann die Malerei mit der Natur überhaupt nicht wetteiſern,
andere zertheilen und verhüllen mit augenblicklicher Pracht ein Ganzes, deſſen
bleibende Schönheit der bildenden Kunſt wichtiger iſt, oder widerſprechen dem
Geſetze der künſtleriſchen Durcharbeitung des Colorits, andere tragen überhaupt
zu ſehr den Charakter des Seltſamen, Vereinzelten, Flüchtigen, um ſich im
Raume feſſeln zu laſſen: drei Arten, die ſich mannigfach verbinden.
Nunmehr treten ſogleich in dieſem Gebiet auch die Grenzen der Ma-
lerei zu Tage, welche freilich ihr ganzes und volles Licht erſt erhalten,
wenn ſich zeigen wird, was Alles die Dichtung umfaßt. Zu der erſten
Art unzugänglicher Erſcheinungen gehören verzüglich die höchſten Licht-
wirkungen, vor Allem der lichtbringende Körper ſelbſt, die Sonne im vol-
len Tagesglanze. Zur zweiten Baumblüthe, geſtirnter Himmel, erſtes
Wieſengrün im Frühling. Warum iſt denn ein blühender Baum (er träte
denn nur halbverſteckt zwiſchen vollem Grün hervor) unmaleriſch? Weil
die höhere maleriſche Schönheit der Baumkrone in der Gruppirung ihrer
Hauptmaſſen, im Hauch, Wurf, in der bleibenden Farbe des Grüns liegt,
wogegen die Blüthe nur als ein augenblicklicher, dieſe Grundſchönheit
verhüllender, in der wirklichen Natur heiterer, in der bildenden Kunſt
kindiſcher Aufputz erſcheint. Ebenſo zertheilen die Sterne das herrliche
Ganze des tiefblauen kryſtallenen Himmelsgewölbes durch unzähliche un-
ruhige Glanzpuncte. Man meine nicht, wir thun der herrlichen Erſchei-
nung unrecht, es handelt ſich nur von dem maleriſch Darſtellbaren; in
der Poeſie werden wir es anders finden. Das erſte Wieſengrün iſt ein
Hauptbeiſpiel für ſolche Erſcheinungen, auf welche die Worte des §. ſich
beziehen: oder widerſprechen u. ſ. w.; wir haben es ſchon bei dem Colorit
erwähnt (§. 671 Anm.): es ſtört den Charakter des durch den reif ko-
chenden Künſtlergeiſt Hindurchgegangenen, Zeitigen, Durchbrüteten, ſchreit
aus der abdämpfenden Harmonie heraus, iſt „giftig“. Und ſo noch viele
andere Farbenerſcheinungen. Zur dritten Art gehören ſeltſame Beleuch-
tungs-Effecte, frappante Reflex-Wirkungen, worin die Natur faſt theatra-
liſch erſcheint, ſowohl vorübergehende, als auch bleibende, wie z. B. die
blaue Grotte in Capri und dergl. Die neuere Landſchaftmalerei liebt es
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/91>, abgerufen am 22.02.2025.
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