theilung; beides ist nicht zu trennen, wohl aber zu unterscheiden, und da wir von außen nach innen gehen, so fassen wir das Ganze vorher an dieser, nachher erst an der tieferen Seite.
§. 669.
Das dritte, die beiden vorhergehenden in sich aufhebende Moment, wo-1. mit erst das wahre und ganze Wesen der Malerei in Kraft tritt, ist die Farbengebung. Alles, was die Licht- und Schattengebung §. 665--668 in sich befaßt, erhält jetzt erst seine Erfüllung. Auch hier treten die technischen2. Bedingungen, die aus dem Unterschiede des Kunst-Materials vom Natur- vorbild erwachsen, mit der allgemeinen Aufgabe, das Leben der Farbe, wie es in §. 246--253 als Naturerscheinung dargestellt ist, sowohl in Bezug auf die Bedeutung der Gegenstände, als auch an sich zu idealistren, in innern Zu- sammenhang.
1. Zeichnung und Schattirung können sich vom Ganzen der Malerei lostrennen, sind aber doch von diesem, dem Ganzen, aus betrachtet nur Momente, deren Bestimmung ist, in der Farbe aufzugehen; sie sind keine eigentliche Plastik mehr und doch noch keine Malerei; die Farbe soll in sie hineingefühlt werden, ihre wirkliche Erscheinung ist in Aussicht gestellt, aber gerade damit die Abstraction als solche gestanden. Die Farbenge- bung dagegen bedarf allerdings der Zeichnung und Schattirung als ihrer vorausgesetzten Momente, sie hebt dieselben aber ganz in sich auf, so daß sie nicht mehr für sich bestehen, nicht mehr als solche wahrgenommen werden, sie kann aber so wenig ohne sie sein, als Fleisch ohne Knochen, sie kann sich daher nicht isoliren, wie diese beiden, es gibt keine Farben- gebung ohne Zeichnung (mag diese auch nur andeutend mit dem Griffel, mehr mit dem Pinsel im Malen selbst ausgeführt werden) und ohne Licht- und Schattengebung (mag diese auch nur sogleich mit der Farbe, ja zum Theil durch Farbenbrechung allein gegeben werden); darin gerade aber beruht die Bedeutung des Colorits, die Spitze des concreten Ganzen zu sein, denn eine solche kann sich natürlich nicht isolirt neben ihren Unterbau stellen. Uebrigens kann sich dasselbe, worauf wir uns hier nicht weiter einlassen, in verschiedenen Stufen, vom blos andeutenden Tone bis zur vollen Wirkung aller Mittel, bewegen; je unvollständiger die Farbe an- gewandt wird, desto weniger kann sie natürlich die Zeichnung und Schat- tirung resorbiren, sondern zieht ihre dünnen Lagen nur über sie hin und läßt sie durchblicken. -- Daß alle die Momente, die schon in der Licht- und Schattenseite zu unterscheiden sind, noch einmal auftreten werden, ist schon zu §. 665, Anm. 1 gesagt; bei jedem aber derselben wird sich zei- gen, daß es nun zugleich ein wesentliches Neues, Anderes ist.
theilung; beides iſt nicht zu trennen, wohl aber zu unterſcheiden, und da wir von außen nach innen gehen, ſo faſſen wir das Ganze vorher an dieſer, nachher erſt an der tieferen Seite.
§. 669.
Das dritte, die beiden vorhergehenden in ſich aufhebende Moment, wo-1. mit erſt das wahre und ganze Weſen der Malerei in Kraft tritt, iſt die Farbengebung. Alles, was die Licht- und Schattengebung §. 665—668 in ſich befaßt, erhält jetzt erſt ſeine Erfüllung. Auch hier treten die techniſchen2. Bedingungen, die aus dem Unterſchiede des Kunſt-Materials vom Natur- vorbild erwachſen, mit der allgemeinen Aufgabe, das Leben der Farbe, wie es in §. 246—253 als Naturerſcheinung dargeſtellt iſt, ſowohl in Bezug auf die Bedeutung der Gegenſtände, als auch an ſich zu idealiſtren, in innern Zu- ſammenhang.
1. Zeichnung und Schattirung können ſich vom Ganzen der Malerei lostrennen, ſind aber doch von dieſem, dem Ganzen, aus betrachtet nur Momente, deren Beſtimmung iſt, in der Farbe aufzugehen; ſie ſind keine eigentliche Plaſtik mehr und doch noch keine Malerei; die Farbe ſoll in ſie hineingefühlt werden, ihre wirkliche Erſcheinung iſt in Ausſicht geſtellt, aber gerade damit die Abſtraction als ſolche geſtanden. Die Farbenge- bung dagegen bedarf allerdings der Zeichnung und Schattirung als ihrer vorausgeſetzten Momente, ſie hebt dieſelben aber ganz in ſich auf, ſo daß ſie nicht mehr für ſich beſtehen, nicht mehr als ſolche wahrgenommen werden, ſie kann aber ſo wenig ohne ſie ſein, als Fleiſch ohne Knochen, ſie kann ſich daher nicht iſoliren, wie dieſe beiden, es gibt keine Farben- gebung ohne Zeichnung (mag dieſe auch nur andeutend mit dem Griffel, mehr mit dem Pinſel im Malen ſelbſt ausgeführt werden) und ohne Licht- und Schattengebung (mag dieſe auch nur ſogleich mit der Farbe, ja zum Theil durch Farbenbrechung allein gegeben werden); darin gerade aber beruht die Bedeutung des Colorits, die Spitze des concreten Ganzen zu ſein, denn eine ſolche kann ſich natürlich nicht iſolirt neben ihren Unterbau ſtellen. Uebrigens kann ſich daſſelbe, worauf wir uns hier nicht weiter einlaſſen, in verſchiedenen Stufen, vom blos andeutenden Tone bis zur vollen Wirkung aller Mittel, bewegen; je unvollſtändiger die Farbe an- gewandt wird, deſto weniger kann ſie natürlich die Zeichnung und Schat- tirung reſorbiren, ſondern zieht ihre dünnen Lagen nur über ſie hin und läßt ſie durchblicken. — Daß alle die Momente, die ſchon in der Licht- und Schattenſeite zu unterſcheiden ſind, noch einmal auftreten werden, iſt ſchon zu §. 665, Anm. 1 geſagt; bei jedem aber derſelben wird ſich zei- gen, daß es nun zugleich ein weſentliches Neues, Anderes iſt.
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theilung; beides iſt nicht zu trennen, wohl aber zu unterſcheiden, und
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§. 669.
Das dritte, die beiden vorhergehenden in ſich aufhebende Moment, wo-
mit erſt das wahre und ganze Weſen der Malerei in Kraft tritt, iſt die
Farbengebung. Alles, was die Licht- und Schattengebung §. 665—668
in ſich befaßt, erhält jetzt erſt ſeine Erfüllung. Auch hier treten die techniſchen
Bedingungen, die aus dem Unterſchiede des Kunſt-Materials vom Natur-
vorbild erwachſen, mit der allgemeinen Aufgabe, das Leben der Farbe, wie es
in §. 246—253 als Naturerſcheinung dargeſtellt iſt, ſowohl in Bezug auf die
Bedeutung der Gegenſtände, als auch an ſich zu idealiſtren, in innern Zu-
ſammenhang.
1. Zeichnung und Schattirung können ſich vom Ganzen der Malerei
lostrennen, ſind aber doch von dieſem, dem Ganzen, aus betrachtet nur
Momente, deren Beſtimmung iſt, in der Farbe aufzugehen; ſie ſind keine
eigentliche Plaſtik mehr und doch noch keine Malerei; die Farbe ſoll in
ſie hineingefühlt werden, ihre wirkliche Erſcheinung iſt in Ausſicht geſtellt,
aber gerade damit die Abſtraction als ſolche geſtanden. Die Farbenge-
bung dagegen bedarf allerdings der Zeichnung und Schattirung als ihrer
vorausgeſetzten Momente, ſie hebt dieſelben aber ganz in ſich auf, ſo daß
ſie nicht mehr für ſich beſtehen, nicht mehr als ſolche wahrgenommen
werden, ſie kann aber ſo wenig ohne ſie ſein, als Fleiſch ohne Knochen,
ſie kann ſich daher nicht iſoliren, wie dieſe beiden, es gibt keine Farben-
gebung ohne Zeichnung (mag dieſe auch nur andeutend mit dem Griffel,
mehr mit dem Pinſel im Malen ſelbſt ausgeführt werden) und ohne Licht-
und Schattengebung (mag dieſe auch nur ſogleich mit der Farbe, ja zum
Theil durch Farbenbrechung allein gegeben werden); darin gerade aber
beruht die Bedeutung des Colorits, die Spitze des concreten Ganzen zu
ſein, denn eine ſolche kann ſich natürlich nicht iſolirt neben ihren Unterbau
ſtellen. Uebrigens kann ſich daſſelbe, worauf wir uns hier nicht weiter
einlaſſen, in verſchiedenen Stufen, vom blos andeutenden Tone bis zur
vollen Wirkung aller Mittel, bewegen; je unvollſtändiger die Farbe an-
gewandt wird, deſto weniger kann ſie natürlich die Zeichnung und Schat-
tirung reſorbiren, ſondern zieht ihre dünnen Lagen nur über ſie hin und
läßt ſie durchblicken. — Daß alle die Momente, die ſchon in der Licht-
und Schattenſeite zu unterſcheiden ſind, noch einmal auftreten werden, iſt
ſchon zu §. 665, Anm. 1 geſagt; bei jedem aber derſelben wird ſich zei-
gen, daß es nun zugleich ein weſentliches Neues, Anderes iſt.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/69>, abgerufen am 21.02.2025.
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