ausgeht, in Schatten oder Helldunkel zurück, die Figuren aber, auf welche sie wirkt, in volles Licht zu stellen, weil es natürlich erscheint, daß die Energie durch Kraft des Schattens in das Auge falle, dagegen die Züge eines Leidenden im Hellen deutlich gesehen werden u. s. w., wie es ja in der Landschaft sich darbieten kann, das erhabene Gebirge in Schatten, ein freundliches Thal in's Licht zu stellen. Eine natürliche Symbolik verbin- det auch die Begriffe des Dunkeln und des Bösen (Judas in Leonardo's hl. Abendmahl), nach Umständen kann aber ein grelles Licht angemessener sein. Ueberdieß fällt das ganze Gewicht bald mehr auf die Beleuchtungs- verhältnisse an sich, bald mehr auf das, was beleuchtet oder beschattet wird; das Erstere ist namentlich bei Landschaften der Fall, es kann sich aber in diesem und den andern Gebieten auch ein Mittleres darstellen, wo sich das Interesse an die feineren Wege des Lichts und Dunkels und an die Gegenstände gleichmäßig vertheilt. Kurz es lassen sich keine Gesetze aufstellen, das Allgemeine aber, daß die Kunst der Natur, deren Sonne auf Gerechte und Ungerechte ohne Wahl scheint, zu Hülfe kommen muß, bleibt fest. Die Lichtverhältnisse werden aber in der Na- tur nicht blos mit der Bedeutung der Gegenstände selten so zusammen- stimmen, wie Sinn und Auge es verlangen, sie werden auch an sich trotz dem Glanz und der Kraft des Lebens niemals die Reinheit der Harmonie zeigen, wie der Künstler sie bedarf; störende Lichter, Schatten, Unklares, Schmutziges, Grelles, Stumpfes: Mängel aller Art werden, wäre es auch nur in untergeordneten Theilen, die das nicht fein gebildete Auge über- sieht, auch hier das Naturschöne trüben. Gerade weil der Laie, bestochen von der unnachahmlichen Frische des Ganzen, die Mängel an dieser Seite des Naturlebens gewöhnlich unbeachtet läßt, ist auf diesen Theil der idea- lisirenden Thätigkeit des Künstlers noch besonders aufmerksam zu machen; Näheres gibt die weitere Entwicklung.
§. 666.
Sofern sie die einzelne organisch geschlossene Gestalt zum Gegenstand hat, gehört die Licht- und Schattengebung noch wesentlich zum plastischen Moment in der Malerei und ruft durch vollendete Modellirung die Formfreude, die der Bildner unmittelbar weckt, in vermittelter Weise hervor. Wenn dagegen ein Ganzes von bestimmten und unbestimmten Bildungen, Erscheinungen der or- ganischen und unorganischen Natur in seinen Lichtverhältnissen darzustellen ist, so tritt das Malerische bestimmter in seine Geltung.
Die Zeichnung haben wir als das Plastische in der Malerei erkannt; diese Bedeutung hat sie unzweifelhaft, sofern sie die thierische und mensch-
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ausgeht, in Schatten oder Helldunkel zurück, die Figuren aber, auf welche ſie wirkt, in volles Licht zu ſtellen, weil es natürlich erſcheint, daß die Energie durch Kraft des Schattens in das Auge falle, dagegen die Züge eines Leidenden im Hellen deutlich geſehen werden u. ſ. w., wie es ja in der Landſchaft ſich darbieten kann, das erhabene Gebirge in Schatten, ein freundliches Thal in’s Licht zu ſtellen. Eine natürliche Symbolik verbin- det auch die Begriffe des Dunkeln und des Böſen (Judas in Leonardo’s hl. Abendmahl), nach Umſtänden kann aber ein grelles Licht angemeſſener ſein. Ueberdieß fällt das ganze Gewicht bald mehr auf die Beleuchtungs- verhältniſſe an ſich, bald mehr auf das, was beleuchtet oder beſchattet wird; das Erſtere iſt namentlich bei Landſchaften der Fall, es kann ſich aber in dieſem und den andern Gebieten auch ein Mittleres darſtellen, wo ſich das Intereſſe an die feineren Wege des Lichts und Dunkels und an die Gegenſtände gleichmäßig vertheilt. Kurz es laſſen ſich keine Geſetze aufſtellen, das Allgemeine aber, daß die Kunſt der Natur, deren Sonne auf Gerechte und Ungerechte ohne Wahl ſcheint, zu Hülfe kommen muß, bleibt feſt. Die Lichtverhältniſſe werden aber in der Na- tur nicht blos mit der Bedeutung der Gegenſtände ſelten ſo zuſammen- ſtimmen, wie Sinn und Auge es verlangen, ſie werden auch an ſich trotz dem Glanz und der Kraft des Lebens niemals die Reinheit der Harmonie zeigen, wie der Künſtler ſie bedarf; ſtörende Lichter, Schatten, Unklares, Schmutziges, Grelles, Stumpfes: Mängel aller Art werden, wäre es auch nur in untergeordneten Theilen, die das nicht fein gebildete Auge über- ſieht, auch hier das Naturſchöne trüben. Gerade weil der Laie, beſtochen von der unnachahmlichen Friſche des Ganzen, die Mängel an dieſer Seite des Naturlebens gewöhnlich unbeachtet läßt, iſt auf dieſen Theil der idea- liſirenden Thätigkeit des Künſtlers noch beſonders aufmerkſam zu machen; Näheres gibt die weitere Entwicklung.
§. 666.
Sofern ſie die einzelne organiſch geſchloſſene Geſtalt zum Gegenſtand hat, gehört die Licht- und Schattengebung noch weſentlich zum plaſtiſchen Moment in der Malerei und ruft durch vollendete Modellirung die Formfreude, die der Bildner unmittelbar weckt, in vermittelter Weiſe hervor. Wenn dagegen ein Ganzes von beſtimmten und unbeſtimmten Bildungen, Erſcheinungen der or- ganiſchen und unorganiſchen Natur in ſeinen Lichtverhältniſſen darzuſtellen iſt, ſo tritt das Maleriſche beſtimmter in ſeine Geltung.
Die Zeichnung haben wir als das Plaſtiſche in der Malerei erkannt; dieſe Bedeutung hat ſie unzweifelhaft, ſofern ſie die thieriſche und menſch-
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ausgeht, in Schatten oder Helldunkel zurück, die Figuren aber, auf welche
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Energie durch Kraft des Schattens in das Auge falle, dagegen die Züge
eines Leidenden im Hellen deutlich geſehen werden u. ſ. w., wie es ja in
der Landſchaft ſich darbieten kann, das erhabene Gebirge in Schatten, ein
freundliches Thal in’s Licht zu ſtellen. Eine natürliche Symbolik verbin-
det auch die Begriffe des Dunkeln und des Böſen (Judas in Leonardo’s
hl. Abendmahl), nach Umſtänden kann aber ein grelles Licht angemeſſener
ſein. Ueberdieß fällt das ganze Gewicht bald mehr auf die Beleuchtungs-
verhältniſſe an ſich, bald mehr auf das, was beleuchtet oder beſchattet
wird; das Erſtere iſt namentlich bei Landſchaften der Fall, es kann ſich
aber in dieſem und den andern Gebieten auch ein Mittleres darſtellen,
wo ſich das Intereſſe an die feineren Wege des Lichts und Dunkels
und an die Gegenſtände gleichmäßig vertheilt. Kurz es laſſen ſich
keine Geſetze aufſtellen, das Allgemeine aber, daß die Kunſt der Natur,
deren Sonne auf Gerechte und Ungerechte ohne Wahl ſcheint, zu Hülfe
kommen muß, bleibt feſt. Die Lichtverhältniſſe werden aber in der Na-
tur nicht blos mit der Bedeutung der Gegenſtände ſelten ſo zuſammen-
ſtimmen, wie Sinn und Auge es verlangen, ſie werden auch an ſich trotz
dem Glanz und der Kraft des Lebens niemals die Reinheit der Harmonie
zeigen, wie der Künſtler ſie bedarf; ſtörende Lichter, Schatten, Unklares,
Schmutziges, Grelles, Stumpfes: Mängel aller Art werden, wäre es auch
nur in untergeordneten Theilen, die das nicht fein gebildete Auge über-
ſieht, auch hier das Naturſchöne trüben. Gerade weil der Laie, beſtochen
von der unnachahmlichen Friſche des Ganzen, die Mängel an dieſer Seite
des Naturlebens gewöhnlich unbeachtet läßt, iſt auf dieſen Theil der idea-
liſirenden Thätigkeit des Künſtlers noch beſonders aufmerkſam zu machen;
Näheres gibt die weitere Entwicklung.
§. 666.
Sofern ſie die einzelne organiſch geſchloſſene Geſtalt zum Gegenſtand hat,
gehört die Licht- und Schattengebung noch weſentlich zum plaſtiſchen Moment
in der Malerei und ruft durch vollendete Modellirung die Formfreude,
die der Bildner unmittelbar weckt, in vermittelter Weiſe hervor. Wenn dagegen
ein Ganzes von beſtimmten und unbeſtimmten Bildungen, Erſcheinungen der or-
ganiſchen und unorganiſchen Natur in ſeinen Lichtverhältniſſen darzuſtellen iſt, ſo
tritt das Maleriſche beſtimmter in ſeine Geltung.
Die Zeichnung haben wir als das Plaſtiſche in der Malerei erkannt;
dieſe Bedeutung hat ſie unzweifelhaft, ſofern ſie die thieriſche und menſch-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/63>, abgerufen am 21.02.2025.
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