Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.Sprache doch tiefer, umfassender, Geist-offenbarender, als die ihrer ernsten, §. 653. Nun erst erhellt die wahre Bedeutung des Gewinns in der Weite (§. 650). Die "Vielheit der endlichen Welt": so ist das dem Geiste Gegen- Sprache doch tiefer, umfaſſender, Geiſt-offenbarender, als die ihrer ernſten, §. 653. Nun erſt erhellt die wahre Bedeutung des Gewinns in der Weite (§. 650). Die „Vielheit der endlichen Welt“: ſo iſt das dem Geiſte Gegen- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <pb facs="#f0030" n="522"/> <hi rendition="#et">Sprache doch tiefer, umfaſſender, Geiſt-offenbarender, als die ihrer ernſten,<lb/> kälteren, in ruhiger Würde der Zuſchauer gegenüber in ſich verharrenden<lb/> Schweſter.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 653.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Nun erſt erhellt die wahre Bedeutung des Gewinns in der Weite (§. 650).<lb/> Dem zu ſeiner Einheit und Unendlichkeit geſammelten Geiſte ſteht die Vielheit<lb/> der endlichen Welt in der Breite und Fülle ihrer Erſcheinungen ſelbſtändig ge-<lb/> genüber; die ausſchließende Zuſammenziehung der Natur und Menſchheit in ab-<lb/> ſolut ideale Weſen iſt zu Ende. Der Geiſt hat aber die Welt zu dieſer Selb-<lb/> ſtändigkeit nur entlaſſen, weil er ſie ſeiner innern Unendlichkeit gegenüber als<lb/> Endliches geſetzt hat: ebendarum greift er wieder in ſie über, umſpannt ſie,<lb/> hebt ſie in ſeine Unendlichkeit. So iſt die Malerei ebenſoſehr ausgegoſſener,<lb/> als geſammelter Geiſt, <hi rendition="#g">Ausdruck des in ſeiner Sammlung ausgegoſ-<lb/> ſenen und in ſeiner Ausgießung geſammelten Geiſtes</hi>.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die „Vielheit der endlichen Welt“: ſo iſt das dem Geiſte Gegen-<lb/> übertretende bezeichnet, um auszudrücken, daß es ſich nicht blos von ſo-<lb/> genannt Aeußerem, Sinnlichem handelt. Das verhüllte geiſtige Prinzip<lb/> in der außermenſchlichen unorganiſchen und organiſchen Natur, das offen-<lb/> bare im Menſchen nennen wir in ſeiner Allgemeinheit den Geiſt und ha-<lb/> ben, indem wir ihn ſo herausziehen aus dem Einzelnen, worin er doch<lb/> allein lebt und wirkt, durch dieſe nothwendige Abſtraction all das Viele,<lb/> worin er eben wirkt, außer ihn hingeſtellt. Dieß Viele iſt nun nicht blos<lb/> die Natur, in welcher das geiſtige Prinzip noch unbewußt ſchlummert;<lb/> es ſind auch die Menſchen als die Vielen darunter befaßt: der zum Be-<lb/> wußtſein ſeiner Unendlichkeit gekommene Geiſt in einem Menſchen weiß<lb/> ſich als Einen mit demſelben Geiſt in den andern trotz dem Trennenden,<lb/> was die Individuen ſcheidet; neben dieſes Einheitsbewußtſein fällt uns<lb/> nun auch die Vielheit der menſchlichen Individuen zunächſt äußerlich ſo<lb/> hin, als ob das Individuenbildende nur eine ſinnliche Kraft der Natur<lb/> wäre, nicht auch aus dem Geiſte hervorgienge, welcher in der verhüllten<lb/> Form blinder Nothwendigkeit der Natur Geſetze gebend innewohnt, wel-<lb/> cher die Gattung in Individuen zerlegt, um eben in der Vielheit die Ein-<lb/> heit dazuſtellen und ihre höheren Zwecke thätig zu erwirken, und welcher<lb/> in der höchſten Gattung zu ſich kommt, bewußter Geiſt wird. Zu dem<lb/> Vielen der endlichen Welt gehört ferner dem Geiſt im Menſchen gegen-<lb/> über auch ſeine eigene ſinnliche Geſtalt, welche zwar die realiſirte Form<lb/> des Geiſtes ſelbſt iſt, aber als Erſcheinendes in die Vielheit der Sinne,<lb/> Organe ſich auseinanderlegt. Aber noch mehr: auch das Viele, das als<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [522/0030]
Sprache doch tiefer, umfaſſender, Geiſt-offenbarender, als die ihrer ernſten,
kälteren, in ruhiger Würde der Zuſchauer gegenüber in ſich verharrenden
Schweſter.
§. 653.
Nun erſt erhellt die wahre Bedeutung des Gewinns in der Weite (§. 650).
Dem zu ſeiner Einheit und Unendlichkeit geſammelten Geiſte ſteht die Vielheit
der endlichen Welt in der Breite und Fülle ihrer Erſcheinungen ſelbſtändig ge-
genüber; die ausſchließende Zuſammenziehung der Natur und Menſchheit in ab-
ſolut ideale Weſen iſt zu Ende. Der Geiſt hat aber die Welt zu dieſer Selb-
ſtändigkeit nur entlaſſen, weil er ſie ſeiner innern Unendlichkeit gegenüber als
Endliches geſetzt hat: ebendarum greift er wieder in ſie über, umſpannt ſie,
hebt ſie in ſeine Unendlichkeit. So iſt die Malerei ebenſoſehr ausgegoſſener,
als geſammelter Geiſt, Ausdruck des in ſeiner Sammlung ausgegoſ-
ſenen und in ſeiner Ausgießung geſammelten Geiſtes.
Die „Vielheit der endlichen Welt“: ſo iſt das dem Geiſte Gegen-
übertretende bezeichnet, um auszudrücken, daß es ſich nicht blos von ſo-
genannt Aeußerem, Sinnlichem handelt. Das verhüllte geiſtige Prinzip
in der außermenſchlichen unorganiſchen und organiſchen Natur, das offen-
bare im Menſchen nennen wir in ſeiner Allgemeinheit den Geiſt und ha-
ben, indem wir ihn ſo herausziehen aus dem Einzelnen, worin er doch
allein lebt und wirkt, durch dieſe nothwendige Abſtraction all das Viele,
worin er eben wirkt, außer ihn hingeſtellt. Dieß Viele iſt nun nicht blos
die Natur, in welcher das geiſtige Prinzip noch unbewußt ſchlummert;
es ſind auch die Menſchen als die Vielen darunter befaßt: der zum Be-
wußtſein ſeiner Unendlichkeit gekommene Geiſt in einem Menſchen weiß
ſich als Einen mit demſelben Geiſt in den andern trotz dem Trennenden,
was die Individuen ſcheidet; neben dieſes Einheitsbewußtſein fällt uns
nun auch die Vielheit der menſchlichen Individuen zunächſt äußerlich ſo
hin, als ob das Individuenbildende nur eine ſinnliche Kraft der Natur
wäre, nicht auch aus dem Geiſte hervorgienge, welcher in der verhüllten
Form blinder Nothwendigkeit der Natur Geſetze gebend innewohnt, wel-
cher die Gattung in Individuen zerlegt, um eben in der Vielheit die Ein-
heit dazuſtellen und ihre höheren Zwecke thätig zu erwirken, und welcher
in der höchſten Gattung zu ſich kommt, bewußter Geiſt wird. Zu dem
Vielen der endlichen Welt gehört ferner dem Geiſt im Menſchen gegen-
über auch ſeine eigene ſinnliche Geſtalt, welche zwar die realiſirte Form
des Geiſtes ſelbſt iſt, aber als Erſcheinendes in die Vielheit der Sinne,
Organe ſich auseinanderlegt. Aber noch mehr: auch das Viele, das als
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