diese Vortheile bedeuten wollen, was Alles sich für das innere Wesen der Kunst aus ihnen ergibt. Aus dieser Entwicklung wird sich schließlich erst die besondere Modification ergeben, welche die Bestimmung der Ob- jectivität in der Malerei erfährt.
§. 651.
Dieser Gewinn ist zunächst ein Gewinn an Weite des Umfangs. Den veränderten Darstellungsmitteln öffnet sich das Reich der landschaftlichen Schönheit, der Thierwelt und Menschenwelt in neuer Ausdehnung, in den verschiedensten Formen äußerer Bewegung und Handlung.
Die Weite, die nun gewonnen ist, kann natürlich von dem Gewinn an Tiefe, zu dem wir nachher übergehen, nur relativ getrennt werden; wir sind in diesem Uebergang bereits begriffen, denn im rein äußerlichen Sinn ist ja der große Fortschritt in der Weite bereits ausgesprochen, und wenn es sich jetzt darum handelt, den Inhalt dieser Erweiterung, die neu zuwachsenden Sphären bestimmter anzugeben, so führt dieß unmittelbar zu dem Geiste dieser veränderten Kunstweise. Vor Allem holt denn nun die Malerei nach, was die Bildnerkunst übersprungen hat: die Landschaft (vergl. §. 599, 2.); architektonische Umgebungen, mögen sie mehr oder minder geschlossen sein, können wir vorläufig zu ihr zählen. Die Malerei ist dieses Gebietes theilweise schon vermittelst der Zeichnung mächtig, denn in der That kann selbst diese ungleich weiter greifen, als die Plastik, ob- wohl sie das plastische Moment in der Malerei darstellt; darüber mehr bei der speziellen Erörterung; natürlich aber ist es im Wesentlichen erst die Farbe, durch welche das eigentliche Sehen sein Erfassen der allgemei- nen Medien, Licht, Luft, der ausgedehnten Massen des Wassers und der Erde, der aus unzählbar kleinen Organen aufgebauten Pflanze im Kunstwerke wiederzugeben fähig ist. Wie nun für die Mittel der Malerei die unbestimmbare Vielheit der Pflanzen-Organe darstellbar wird, so er- schließt sich ihr in einer der Plastik verschlossenen Weite die Thier- und Menschenwelt. Der allgemeinere Ausdruck: "in neuer Ausdehnung" gilt zunächst von der Erweiterung über die Klassen der Thierwelt. Das Kleine, was dem Auge keine größeren Bahnen darbietet, das Dünne, das viel- fach Zerschnittene, unbestimmt und verschwommen Gebildete und hiemit das Reich der wirbellosen Thiere (vergl. §. 292--294) kann Stoff der Darstellung werden. Die Einschränkung, die allerdings aus jenem Ge- setze der Vermeidung des allzu Kleinen fließt, wird in der Lehre vom Style zur Sprache kommen. Dieser Seite der Erweiterung entspricht, wenn man vom Begriffe der neu zuwachsenden Art ausgeht, in der Menschen-
dieſe Vortheile bedeuten wollen, was Alles ſich für das innere Weſen der Kunſt aus ihnen ergibt. Aus dieſer Entwicklung wird ſich ſchließlich erſt die beſondere Modification ergeben, welche die Beſtimmung der Ob- jectivität in der Malerei erfährt.
§. 651.
Dieſer Gewinn iſt zunächſt ein Gewinn an Weite des Umfangs. Den veränderten Darſtellungsmitteln öffnet ſich das Reich der landſchaftlichen Schönheit, der Thierwelt und Menſchenwelt in neuer Ausdehnung, in den verſchiedenſten Formen äußerer Bewegung und Handlung.
Die Weite, die nun gewonnen iſt, kann natürlich von dem Gewinn an Tiefe, zu dem wir nachher übergehen, nur relativ getrennt werden; wir ſind in dieſem Uebergang bereits begriffen, denn im rein äußerlichen Sinn iſt ja der große Fortſchritt in der Weite bereits ausgeſprochen, und wenn es ſich jetzt darum handelt, den Inhalt dieſer Erweiterung, die neu zuwachſenden Sphären beſtimmter anzugeben, ſo führt dieß unmittelbar zu dem Geiſte dieſer veränderten Kunſtweiſe. Vor Allem holt denn nun die Malerei nach, was die Bildnerkunſt überſprungen hat: die Landſchaft (vergl. §. 599, 2.); architektoniſche Umgebungen, mögen ſie mehr oder minder geſchloſſen ſein, können wir vorläufig zu ihr zählen. Die Malerei iſt dieſes Gebietes theilweiſe ſchon vermittelſt der Zeichnung mächtig, denn in der That kann ſelbſt dieſe ungleich weiter greifen, als die Plaſtik, ob- wohl ſie das plaſtiſche Moment in der Malerei darſtellt; darüber mehr bei der ſpeziellen Erörterung; natürlich aber iſt es im Weſentlichen erſt die Farbe, durch welche das eigentliche Sehen ſein Erfaſſen der allgemei- nen Medien, Licht, Luft, der ausgedehnten Maſſen des Waſſers und der Erde, der aus unzählbar kleinen Organen aufgebauten Pflanze im Kunſtwerke wiederzugeben fähig iſt. Wie nun für die Mittel der Malerei die unbeſtimmbare Vielheit der Pflanzen-Organe darſtellbar wird, ſo er- ſchließt ſich ihr in einer der Plaſtik verſchloſſenen Weite die Thier- und Menſchenwelt. Der allgemeinere Ausdruck: „in neuer Ausdehnung“ gilt zunächſt von der Erweiterung über die Klaſſen der Thierwelt. Das Kleine, was dem Auge keine größeren Bahnen darbietet, das Dünne, das viel- fach Zerſchnittene, unbeſtimmt und verſchwommen Gebildete und hiemit das Reich der wirbelloſen Thiere (vergl. §. 292—294) kann Stoff der Darſtellung werden. Die Einſchränkung, die allerdings aus jenem Ge- ſetze der Vermeidung des allzu Kleinen fließt, wird in der Lehre vom Style zur Sprache kommen. Dieſer Seite der Erweiterung entſpricht, wenn man vom Begriffe der neu zuwachſenden Art ausgeht, in der Menſchen-
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[516/0024]
dieſe Vortheile bedeuten wollen, was Alles ſich für das innere Weſen der
Kunſt aus ihnen ergibt. Aus dieſer Entwicklung wird ſich ſchließlich erſt
die beſondere Modification ergeben, welche die Beſtimmung der Ob-
jectivität in der Malerei erfährt.
§. 651.
Dieſer Gewinn iſt zunächſt ein Gewinn an Weite des Umfangs.
Den veränderten Darſtellungsmitteln öffnet ſich das Reich der landſchaftlichen
Schönheit, der Thierwelt und Menſchenwelt in neuer Ausdehnung, in den
verſchiedenſten Formen äußerer Bewegung und Handlung.
Die Weite, die nun gewonnen iſt, kann natürlich von dem Gewinn
an Tiefe, zu dem wir nachher übergehen, nur relativ getrennt werden;
wir ſind in dieſem Uebergang bereits begriffen, denn im rein äußerlichen
Sinn iſt ja der große Fortſchritt in der Weite bereits ausgeſprochen, und
wenn es ſich jetzt darum handelt, den Inhalt dieſer Erweiterung, die neu
zuwachſenden Sphären beſtimmter anzugeben, ſo führt dieß unmittelbar
zu dem Geiſte dieſer veränderten Kunſtweiſe. Vor Allem holt denn nun
die Malerei nach, was die Bildnerkunſt überſprungen hat: die Landſchaft
(vergl. §. 599, 2.); architektoniſche Umgebungen, mögen ſie mehr oder
minder geſchloſſen ſein, können wir vorläufig zu ihr zählen. Die Malerei
iſt dieſes Gebietes theilweiſe ſchon vermittelſt der Zeichnung mächtig, denn
in der That kann ſelbſt dieſe ungleich weiter greifen, als die Plaſtik, ob-
wohl ſie das plaſtiſche Moment in der Malerei darſtellt; darüber mehr
bei der ſpeziellen Erörterung; natürlich aber iſt es im Weſentlichen erſt
die Farbe, durch welche das eigentliche Sehen ſein Erfaſſen der allgemei-
nen Medien, Licht, Luft, der ausgedehnten Maſſen des Waſſers und der
Erde, der aus unzählbar kleinen Organen aufgebauten Pflanze im
Kunſtwerke wiederzugeben fähig iſt. Wie nun für die Mittel der Malerei
die unbeſtimmbare Vielheit der Pflanzen-Organe darſtellbar wird, ſo er-
ſchließt ſich ihr in einer der Plaſtik verſchloſſenen Weite die Thier- und
Menſchenwelt. Der allgemeinere Ausdruck: „in neuer Ausdehnung“ gilt
zunächſt von der Erweiterung über die Klaſſen der Thierwelt. Das Kleine,
was dem Auge keine größeren Bahnen darbietet, das Dünne, das viel-
fach Zerſchnittene, unbeſtimmt und verſchwommen Gebildete und hiemit
das Reich der wirbelloſen Thiere (vergl. §. 292—294) kann Stoff der
Darſtellung werden. Die Einſchränkung, die allerdings aus jenem Ge-
ſetze der Vermeidung des allzu Kleinen fließt, wird in der Lehre vom
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/24>, abgerufen am 21.02.2025.
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