Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.§. 558. Indem nun der künstlerische Geist für diese Aufgabe der rhythmischen Der Charakter des Getheilten, der das Wesen der Baukunst ist, tritt §. 558. Indem nun der künſtleriſche Geiſt für dieſe Aufgabe der rhythmiſchen Der Charakter des Getheilten, der das Weſen der Baukunſt iſt, tritt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0032" n="192"/> <div n="7"> <head>§. 558.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Indem nun der künſtleriſche Geiſt für dieſe Aufgabe der rhythmiſchen<lb/> Belebung ſeines Werkes die Formen ſucht, wirkt er im vollen Gegenſatze gegen<lb/> jene Grundlage der Verſtändigkeit (§. 555) als ein vorzugsweiſe <hi rendition="#g">unbewußter,</hi><lb/> in die Natur <hi rendition="#g">verſenkter</hi> (vergl. §. 551). Denn er hat in dieſer kein be-<lb/> ſtimmtes Vorbild, dem er gegenüberträte, ſondern nur unbeſtimmt ſchweben ihm<lb/> die feſten Bildungen der <hi rendition="#g">unorganiſchen</hi> Natur vor, aus deren Maſſen er<lb/> das verworren angedeutete Reich der reinen Verhältniſſe wechſelwirkender Schwere<lb/> und der reinen Linie zu derjenigen Klarheit und gemeſſenen Ordnung heraus-<lb/> arbeiten muß, vermöge deren ſie fähig werden, ein Abſolutes auszudrücken. Von<lb/> dieſer Seite iſt daher die Baukunſt als die <hi rendition="#g">Idealiſirung der unorgani-<lb/> ſchen Natur</hi> zu faſſen; ebenhiemit klingt zunächſt das <hi rendition="#g">kryſtalliſche Geſetz,</hi><lb/> mit ihm die allgemeine Grundlage der <hi rendition="#g">organiſchen Bildung</hi> als Pflanze<lb/> und <hi rendition="#g">animaliſcher</hi> Leib und, während der decorative Theil in concrete Nach-<lb/> bildung dieſer Formen übergeht, in den Hauptverhältniſſen ſelbſt das in ſeinen<lb/> Unterſchieden ſich ſelbſt gleiche geiſtige Leben an. Der Widerſpruch zwiſchen<lb/> jenem Charakter der Verſtändigkeit und dieſem dunkeln Verhältniſſe zur Natur<lb/> löst ſich in dem Begriffe der Allgemeinheit (§. 553).</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Der Charakter des Getheilten, der das Weſen der Baukunſt iſt, tritt<lb/> nun nach einer weiteren Seite hervor: ſie iſt gleichzeitig eine vorzugsweiſe<lb/> klare und vorzugsweiſe naturdunkle Kunſt; in keiner der bildenden Künſte<lb/> tritt die in §. 551 aufgeſtellte und begreiflich gemachte Antinomie ſo beſtimmt<lb/> hervor. Dieß zeigt ſich nun, wenn wir von den zu §. 557, <hi rendition="#sub">1.</hi> aufgeſtellten<lb/> Fragen die zweite auffaſſen: welche Formen ſucht die Phantaſie für die<lb/> äſthetiſche Aufgabe der Baukunſt? wobei wir dem dort begründeten um-<lb/> gekehrten Gange folgen und die erſte Frage, was denn die Baukunſt<lb/> ſchließlich ausdrücke, zuletzt beantworten. Es kommt hier, wie bei aller<lb/> Phantaſie, weſentlich das Verhältniß zum Naturſchönen in Betracht; die<lb/> Phantaſie ruht ja auf ihm als Object, wie der zweite Theil des Syſtems<lb/> gezeigt hat, und ſie muß, wenn ſie zur Kunſtthätigkeit übergeht, wie der<lb/> erſte Abſchnitt des dritten Theils nachgewieſen, dieſes Object wieder vor ſich<lb/> nehmen, klar vor ſich hinſtellen und ſcharf anblicken. Dieß iſt eine volle<lb/> Diremtion, ein Gegenſchlag im Bezogenſein, und dieſe Diremtion iſt es<lb/> eben, die der Phantaſie auf der Stufe der Architektur noch fehlt. Man<lb/> ſagt gewöhnlich ſchlechthin, ſie ſei nicht naturnachahmend. Verſteht man<lb/> unter Naturnachahmung (die Berichtigung des Begriffs der Naturnach-<lb/> ahmung, die wir längſt hinter uns haben, natürlich überall vorausgeſetzt)<lb/> die klare Nachbildung individualiſirter Naturgebilde, ſo kann davon bei<lb/> der Baukunſt in dem Sinne allerdings nicht die Rede ſein, wie bei<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [192/0032]
§. 558.
Indem nun der künſtleriſche Geiſt für dieſe Aufgabe der rhythmiſchen
Belebung ſeines Werkes die Formen ſucht, wirkt er im vollen Gegenſatze gegen
jene Grundlage der Verſtändigkeit (§. 555) als ein vorzugsweiſe unbewußter,
in die Natur verſenkter (vergl. §. 551). Denn er hat in dieſer kein be-
ſtimmtes Vorbild, dem er gegenüberträte, ſondern nur unbeſtimmt ſchweben ihm
die feſten Bildungen der unorganiſchen Natur vor, aus deren Maſſen er
das verworren angedeutete Reich der reinen Verhältniſſe wechſelwirkender Schwere
und der reinen Linie zu derjenigen Klarheit und gemeſſenen Ordnung heraus-
arbeiten muß, vermöge deren ſie fähig werden, ein Abſolutes auszudrücken. Von
dieſer Seite iſt daher die Baukunſt als die Idealiſirung der unorgani-
ſchen Natur zu faſſen; ebenhiemit klingt zunächſt das kryſtalliſche Geſetz,
mit ihm die allgemeine Grundlage der organiſchen Bildung als Pflanze
und animaliſcher Leib und, während der decorative Theil in concrete Nach-
bildung dieſer Formen übergeht, in den Hauptverhältniſſen ſelbſt das in ſeinen
Unterſchieden ſich ſelbſt gleiche geiſtige Leben an. Der Widerſpruch zwiſchen
jenem Charakter der Verſtändigkeit und dieſem dunkeln Verhältniſſe zur Natur
löst ſich in dem Begriffe der Allgemeinheit (§. 553).
Der Charakter des Getheilten, der das Weſen der Baukunſt iſt, tritt
nun nach einer weiteren Seite hervor: ſie iſt gleichzeitig eine vorzugsweiſe
klare und vorzugsweiſe naturdunkle Kunſt; in keiner der bildenden Künſte
tritt die in §. 551 aufgeſtellte und begreiflich gemachte Antinomie ſo beſtimmt
hervor. Dieß zeigt ſich nun, wenn wir von den zu §. 557, 1. aufgeſtellten
Fragen die zweite auffaſſen: welche Formen ſucht die Phantaſie für die
äſthetiſche Aufgabe der Baukunſt? wobei wir dem dort begründeten um-
gekehrten Gange folgen und die erſte Frage, was denn die Baukunſt
ſchließlich ausdrücke, zuletzt beantworten. Es kommt hier, wie bei aller
Phantaſie, weſentlich das Verhältniß zum Naturſchönen in Betracht; die
Phantaſie ruht ja auf ihm als Object, wie der zweite Theil des Syſtems
gezeigt hat, und ſie muß, wenn ſie zur Kunſtthätigkeit übergeht, wie der
erſte Abſchnitt des dritten Theils nachgewieſen, dieſes Object wieder vor ſich
nehmen, klar vor ſich hinſtellen und ſcharf anblicken. Dieß iſt eine volle
Diremtion, ein Gegenſchlag im Bezogenſein, und dieſe Diremtion iſt es
eben, die der Phantaſie auf der Stufe der Architektur noch fehlt. Man
ſagt gewöhnlich ſchlechthin, ſie ſei nicht naturnachahmend. Verſteht man
unter Naturnachahmung (die Berichtigung des Begriffs der Naturnach-
ahmung, die wir längſt hinter uns haben, natürlich überall vorausgeſetzt)
die klare Nachbildung individualiſirter Naturgebilde, ſo kann davon bei
der Baukunſt in dem Sinne allerdings nicht die Rede ſein, wie bei
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |