Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.c. Die Geschichte der Baukunst. §. 577. Da die Baukunst nach §. 559 mehr, als jede andere Kunst, ein Er- Die allgemeine Phantasie ist wesentlich eine religiös bestimmte; ge- c. Die Geſchichte der Baukunſt. §. 577. Da die Baukunſt nach §. 559 mehr, als jede andere Kunſt, ein Er- Die allgemeine Phantaſie iſt weſentlich eine religiös beſtimmte; ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0105" n="265"/> <div n="5"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">c.</hi><lb/><hi rendition="#g">Die Geſchichte der Baukunſt</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="6"> <head>§. 577.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Da die Baukunſt nach §. 559 mehr, als jede andere Kunſt, ein Er-<lb/> zeugniß der allgemeinen Phantaſie iſt, ſo geht ihre Geſchichte auch inniger mit<lb/> der Geſchichte der Religion (vergl. §. 417 u. 561 zuſammen; ein Verhältniß,<lb/> aus welchem für den Schlußpunct ihrer geſchichtlichen Entwicklung, die Frage<lb/> über die Baukunſt der modernen Phantaſie (vergl. §. 460—469), beſondere<lb/> Schwierigkeit um ſo mehr entſpringt, als der Bauſtyl den Stylcharakter aller<lb/> Künſte vorzeichnet.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die allgemeine Phantaſie iſt weſentlich eine religiös beſtimmte; ge-<lb/> hört die Baukunſt in näherem Sinn, als jede andere, ihr an, iſt ſie<lb/> weſentlich Völkerkunſt, eine Kunſt des Styls in der großen nationalge-<lb/> ſchichtlichen Bedeutung des Worts, ſo folgt alſo, daß ihre Geſchichte<lb/> enger, als die jeder andern Kunſt, mit der Geſchichte der Religion zu-<lb/> ſammengeht. Ebenſo folgt dieß aus ihrem Weſen an ſich, gemäß welchem<lb/> der tiefſte Sinn ihrer Formen eine ſymboliſche Andeutung des Weltbaus<lb/> iſt. Wir begründen darauf ſogleich das Recht, die folgende Darſtellung<lb/> der Hauptmomente ihrer Geſchichte auf den Tempelſtyl zu beſchränken,<lb/> wofür wir uns zugleich auf das berufen, was über den innern Zuſam-<lb/> menhang des Tempelſtyls mit dem weltlichen Bauſtyl geſagt iſt. Der<lb/> eigentliche Grund aber, warum wir dieſen §. an die Spitze der geſchicht-<lb/> lichen Darſtellung ſetzen, iſt dieſer: der Schluß der Geſchichte einer jeden<lb/> Kunſt iſt nicht einfach das Ende, ſondern der Zielpunct, die beſtimmende<lb/> Seele des Entwicklungsgangs; ſo verhält es ſich ja mit aller Geſchichte:<lb/> ohne eine Idee über ihr Wohin gibt es keinen Begriff von dem Was<lb/> und Wie ihres Gangs. Nun werden wir allerdings bei einer andern<lb/> Kunſt finden, daß dieß Wohin auf ein Zurücktreten aus dem Kreiſe des<lb/> wahrhaft productiv Lebensfähigen im modernen Ideale, alſo auf ein<lb/> relatives Ende führt, bei der Plaſtik nämlich. Bei der Baukunſt aber<lb/> würde, wenn ſie ſich ebenſo künftig auf Reproduction beſchränken müßte,<lb/> ein Widerſpruch zwiſchen einem oben aufgeſtellten Satz und einer That-<lb/> ſache entſtehen. Die Thatſache iſt, daß das moderne Weltalter bis jetzt<lb/> in der Baukunſt keinen, in andern Künſten aber allerdings einen eigenen<lb/> Styl erzeugt hat, denn es gibt doch eine wirkliche, eigenſtändige moderne<lb/> Malerei, Muſik, Poeſie; der Satz aber iſt, daß die Baukunſt das<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [265/0105]
c.
Die Geſchichte der Baukunſt.
§. 577.
Da die Baukunſt nach §. 559 mehr, als jede andere Kunſt, ein Er-
zeugniß der allgemeinen Phantaſie iſt, ſo geht ihre Geſchichte auch inniger mit
der Geſchichte der Religion (vergl. §. 417 u. 561 zuſammen; ein Verhältniß,
aus welchem für den Schlußpunct ihrer geſchichtlichen Entwicklung, die Frage
über die Baukunſt der modernen Phantaſie (vergl. §. 460—469), beſondere
Schwierigkeit um ſo mehr entſpringt, als der Bauſtyl den Stylcharakter aller
Künſte vorzeichnet.
Die allgemeine Phantaſie iſt weſentlich eine religiös beſtimmte; ge-
hört die Baukunſt in näherem Sinn, als jede andere, ihr an, iſt ſie
weſentlich Völkerkunſt, eine Kunſt des Styls in der großen nationalge-
ſchichtlichen Bedeutung des Worts, ſo folgt alſo, daß ihre Geſchichte
enger, als die jeder andern Kunſt, mit der Geſchichte der Religion zu-
ſammengeht. Ebenſo folgt dieß aus ihrem Weſen an ſich, gemäß welchem
der tiefſte Sinn ihrer Formen eine ſymboliſche Andeutung des Weltbaus
iſt. Wir begründen darauf ſogleich das Recht, die folgende Darſtellung
der Hauptmomente ihrer Geſchichte auf den Tempelſtyl zu beſchränken,
wofür wir uns zugleich auf das berufen, was über den innern Zuſam-
menhang des Tempelſtyls mit dem weltlichen Bauſtyl geſagt iſt. Der
eigentliche Grund aber, warum wir dieſen §. an die Spitze der geſchicht-
lichen Darſtellung ſetzen, iſt dieſer: der Schluß der Geſchichte einer jeden
Kunſt iſt nicht einfach das Ende, ſondern der Zielpunct, die beſtimmende
Seele des Entwicklungsgangs; ſo verhält es ſich ja mit aller Geſchichte:
ohne eine Idee über ihr Wohin gibt es keinen Begriff von dem Was
und Wie ihres Gangs. Nun werden wir allerdings bei einer andern
Kunſt finden, daß dieß Wohin auf ein Zurücktreten aus dem Kreiſe des
wahrhaft productiv Lebensfähigen im modernen Ideale, alſo auf ein
relatives Ende führt, bei der Plaſtik nämlich. Bei der Baukunſt aber
würde, wenn ſie ſich ebenſo künftig auf Reproduction beſchränken müßte,
ein Widerſpruch zwiſchen einem oben aufgeſtellten Satz und einer That-
ſache entſtehen. Die Thatſache iſt, daß das moderne Weltalter bis jetzt
in der Baukunſt keinen, in andern Künſten aber allerdings einen eigenen
Styl erzeugt hat, denn es gibt doch eine wirkliche, eigenſtändige moderne
Malerei, Muſik, Poeſie; der Satz aber iſt, daß die Baukunſt das
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