Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

über als den Ausdruck der in das Mannigfaltige der Wirklichkeit zerſpal-
tenen (weil an die wirklich ſinnliche Darſtellung gebundenen) Idee. Dieſe
nennt er Kunſt im engern Sinn und ſtellt ſo den Gegenſatz Poeſie und
Kunſt auf.

§. 535.

Allein außer der Kunſtform der rein innerlichen Sinnlichkeit wird eine
Stufe auftreten müſſen, in welcher ſich der Moment der Ablöſung vom kör-
perlichen Materiale als beſondere Kunſt fixirt, indem dieſes zur bloßen Bedin-
gung eines zwar noch ſinnlichen, aber geiſtig frei bewegten Erſcheinungs-Ele-
ments herabgeſetzt iſt. Dadurch tritt an die Stelle der Zweizahl die Drei-
zahl
. Die ſo entſtandene Eintheilung aber führt zurück auf die Arten der
Phantaſie, wie ſie in §. 404 aufgeſtellt
und aus dem Weſen der letz-
teren abgeleitet ſind.

Die ausübende Phantaſie kann von der Gebundenheit an ein kör-
perliches Material zur freien Bewegung in ihrer eigenen idealen Sinn-
lichkeit keinen Sprung machen; es muß eine Mitte ſein, worin das
körperliche Medium ſo eben verſchwindet und verſchwebt. Der Ton iſt
für die Muſik bereits nicht mehr Material, wie es der ſchwere Körper
für die bildende Kunſt iſt; ſie ſtellt keinen abgeſchloſſenen materiellen
Gegenſtand mehr zwiſchen ſich und das Subject, dem ſie ſich mittheilt, der
Ton iſt unmittelbar ihr Leben und ſchwingt ſich zu Ohr und Gemüth,
ohne in der Mitte zwiſchen dieſem und dem Künſtler an einem Kör-
per auszuruhen; er ſetzt einen feſten Körper voraus, dem er entlockt
wird, aber im Entlocken hebt ſich deſſen Materialität in die geiſtige Zeit-
form auf. Aſt (Syſtem der Kunſtlehre u. ſ. w. §. 62 ff.) wendet ſogar
die Schellingiſche Formel ſo an, daß er den Gegenſatz des Realen und
Idealen in das Verhältniß zwiſchen bildender Kunſt und Muſik ſetzt;
die Poeſie faßt er dann als höhere ideale Einheit beider, (wobei wir
die zu bedeutende Stellung, die er der Orcheſtik als der realen Einheit
beider gibt, überſehen können). Eine ganz ähnliche Auffaſſung wird ſich
uns im Verlaufe bilden; hier vorerſt bleiben wir dabei, den Gegenſatz in
dem Verhältniſſe der Poeſie zur bildenden übrigen Kunſt zu ſuchen, die
Muſik aber als ſinnlich unſinnliche Kunſt, worin die bildenden Künſte
ausklingen und die Poeſie ſich ankündigt, als die Halle zu faſſen, worin
das Gemüth von der räumlichen Zerſtreuung der bildenden Künſte ſich
ſammelt und auf den Eintritt einer geiſtig innerlichen Kunſt vorbereitet.
Die Dreizahl, die uns nun entſteht, iſt es, mit welcher eine frühere
Eintheilung im Syſteme ſich wieder öffnet und geltend macht; denn hier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/160
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/160>, abgerufen am 06.01.2025.