Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
trägt noch alle die Male an sich, durch die es auf seine störende Um- 2. Will man sich den Uebergang der Anschauung in die Einbildung §. 388. 1 Dieß Bild ist zunächst bloßes Nachbild, aber eine Menge stoffartiger 1. Die Verwischung einzelner Züge im Nachbilde ist ebensosehr
trägt noch alle die Male an ſich, durch die es auf ſeine ſtörende Um- 2. Will man ſich den Uebergang der Anſchauung in die Einbildung §. 388. 1 Dieß Bild iſt zunächſt bloßes Nachbild, aber eine Menge ſtoffartiger 1. Die Verwiſchung einzelner Züge im Nachbilde iſt ebenſoſehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0038" n="324"/> trägt noch alle die Male an ſich, durch die es auf ſeine ſtörende Um-<lb/> gebung hinausweist.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Will man ſich den Uebergang der Anſchauung in die Einbildung<lb/> mechaniſch vorſtellen, ſo kann man ſich die Sache ſo anſchaulich machen, als<lb/> bliebe nach der innigen Zuſammenſchließung, welche in jener Statt findet,<lb/> ein Abdruck des Gegenſtands, wenn dieſer aus der Zuſammenſchließung<lb/> wieder entlaſſen wird, im Subjecte zurück. In Wahrheit aber iſt die<lb/> Anſchauung ſchon ſo activ, daß ſie ein thätiges Abzeichnen des Gegenſtands<lb/> und ein Hereinnehmen dieſes Abbilds in das Innere des Anſchauenden<lb/> iſt. Das Subject könnte dieß nicht vollziehen, wenn es nicht mit allen<lb/> Gegenſtänden urſprünglich Eines wäre und aus demſelben Heerde des<lb/> Lebens ſtammte, wie alle Geſtalten; es kennt ſie, weil es ſelbſt die Ein-<lb/> heit der Geſtaltenwelt iſt. Der Prozeß aber des Nachbildens bedarf einer<lb/> phyſiologiſchen Erklärung, welche noch nicht gefunden iſt. Die ganze<lb/> ideal geſetzte Sinnlichkeit, die nun in der Einbildungskraft hervortritt, dieß<lb/> innere Sehen, Hören, Taſten, Riechen, Schmecken iſt eine Operation ſo zu<lb/> ſagen auf dem Wege, den die Nerven von ihrem Centrum in die Sinnen-<lb/> Organe und von dieſen zurück in ihr Centrum nehmen, ein ſinnlich unſinn-<lb/> liches Wiederholen der Sinnen-Thätigkeit, deſſen Möglichkeit offenbar ebenſo-<lb/> ſehr Vorbedingung derſelben iſt; Alles, was ſehen, hören u. ſ. w. kann, kann<lb/> auch einbilden, alle Thiere erzeugen innere Bilder. Die Aeſthetik muß aber<lb/> die weiteren Unterſuchungen der Pſychologie und ihrem Verhältniſſe zur Phy-<lb/> ſiologie überlaſſen. Iſt nun die Anſchauung bereits der Anfang des inneren<lb/> Bildens, ſo vollendet ſich dieſer Anfang des Hereinziehens im Seelenorganc,<lb/> dem Nervencentrum ſelbſt als ein fertiges Bild, das in dieſes wie in eine<lb/><hi rendition="#aq">camera obscura</hi> aufgenommen iſt, aber bleibend innerlich ſchwebt, auch nach-<lb/> dem ſich der Gegenſtand oder das Subject von ihm entfernt hat.</hi> </p> </div><lb/> <div n="6"> <head>§. 388.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Dieß Bild iſt zunächſt bloßes Nachbild, aber eine Menge ſtoffartiger<lb/> Einzelnheiten iſt in ihm verwiſcht und Gefühl der geiſtigen Unendlichkeit be-<lb/> gleitet es, wiewohl es wahre Vergeiſtigung erſt erfahren ſoll. Zunächſt ſinkt<lb/><note place="left">2</note>die Maſſe der geſammelten Bilder in den Schacht der Vergeſſenheit zurück. Aus<lb/> dieſem taucht ſie wieder auf durch die Erinnerung oder durch die Beſinnung;<lb/> jene iſt zufällige, dieſe freie Wiedererzeugung. Allein ſowohl bei jenem als<lb/> bei dieſem Anlaß bewegt ſich die hervorgerufene Maſſe in ein gaukelndes Spiel<lb/> unendlicher neuer Verbindungen, welche übrigens ſo wenig als jene Verwiſchung<lb/> der einzelnen Züge eine qualitative Umbildung ſind.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Die Verwiſchung einzelner Züge im Nachbilde iſt ebenſoſehr<lb/> Fortſchritt als Rückſchritt. Das Bild eines Bekannten z. B. ſchwebt uns<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [324/0038]
trägt noch alle die Male an ſich, durch die es auf ſeine ſtörende Um-
gebung hinausweist.
2. Will man ſich den Uebergang der Anſchauung in die Einbildung
mechaniſch vorſtellen, ſo kann man ſich die Sache ſo anſchaulich machen, als
bliebe nach der innigen Zuſammenſchließung, welche in jener Statt findet,
ein Abdruck des Gegenſtands, wenn dieſer aus der Zuſammenſchließung
wieder entlaſſen wird, im Subjecte zurück. In Wahrheit aber iſt die
Anſchauung ſchon ſo activ, daß ſie ein thätiges Abzeichnen des Gegenſtands
und ein Hereinnehmen dieſes Abbilds in das Innere des Anſchauenden
iſt. Das Subject könnte dieß nicht vollziehen, wenn es nicht mit allen
Gegenſtänden urſprünglich Eines wäre und aus demſelben Heerde des
Lebens ſtammte, wie alle Geſtalten; es kennt ſie, weil es ſelbſt die Ein-
heit der Geſtaltenwelt iſt. Der Prozeß aber des Nachbildens bedarf einer
phyſiologiſchen Erklärung, welche noch nicht gefunden iſt. Die ganze
ideal geſetzte Sinnlichkeit, die nun in der Einbildungskraft hervortritt, dieß
innere Sehen, Hören, Taſten, Riechen, Schmecken iſt eine Operation ſo zu
ſagen auf dem Wege, den die Nerven von ihrem Centrum in die Sinnen-
Organe und von dieſen zurück in ihr Centrum nehmen, ein ſinnlich unſinn-
liches Wiederholen der Sinnen-Thätigkeit, deſſen Möglichkeit offenbar ebenſo-
ſehr Vorbedingung derſelben iſt; Alles, was ſehen, hören u. ſ. w. kann, kann
auch einbilden, alle Thiere erzeugen innere Bilder. Die Aeſthetik muß aber
die weiteren Unterſuchungen der Pſychologie und ihrem Verhältniſſe zur Phy-
ſiologie überlaſſen. Iſt nun die Anſchauung bereits der Anfang des inneren
Bildens, ſo vollendet ſich dieſer Anfang des Hereinziehens im Seelenorganc,
dem Nervencentrum ſelbſt als ein fertiges Bild, das in dieſes wie in eine
camera obscura aufgenommen iſt, aber bleibend innerlich ſchwebt, auch nach-
dem ſich der Gegenſtand oder das Subject von ihm entfernt hat.
§. 388.
Dieß Bild iſt zunächſt bloßes Nachbild, aber eine Menge ſtoffartiger
Einzelnheiten iſt in ihm verwiſcht und Gefühl der geiſtigen Unendlichkeit be-
gleitet es, wiewohl es wahre Vergeiſtigung erſt erfahren ſoll. Zunächſt ſinkt
die Maſſe der geſammelten Bilder in den Schacht der Vergeſſenheit zurück. Aus
dieſem taucht ſie wieder auf durch die Erinnerung oder durch die Beſinnung;
jene iſt zufällige, dieſe freie Wiedererzeugung. Allein ſowohl bei jenem als
bei dieſem Anlaß bewegt ſich die hervorgerufene Maſſe in ein gaukelndes Spiel
unendlicher neuer Verbindungen, welche übrigens ſo wenig als jene Verwiſchung
der einzelnen Züge eine qualitative Umbildung ſind.
1. Die Verwiſchung einzelner Züge im Nachbilde iſt ebenſoſehr
Fortſchritt als Rückſchritt. Das Bild eines Bekannten z. B. ſchwebt uns
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