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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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Sinne des Gegebenen, Vorgefundenen, sondern dessen, worauf, woran ich
thätig bin, so daß es mir ein Stoff ist, den ich umbildend zu dem erst
schaffe, was er seyn soll: Object der Thätigkeit und durch dieselbe Ge-
schöpf meines Thuns; nicht absolutes Geschöpf, denn etwas war gegeben,
ich schaffe nicht aus dem Leeren, ich habe einen Stoff, einen sogar ge-
formten Stoff, aber die Form ist noch roh, ich schaffe sie zur reinen Form
um. Was Stoff hier bedeute, ist in der Anm. zu § 233 auseinanderge-
setzt. Object in diesem Sinne nun ist wesentlich Werk des Subjects,
dieses also als der Schöpfer des Schönen erkannt. "Indem der Künstler" --
(dieß kann man aber schon von der allgemeinen Phantasie aussagen) --
"irgend einen Gegenstand der Natur ergreift, so gehört dieser schon nicht
mehr der Natur an, ja man kann sagen, daß der Künstler ihn in diesem
Augenblick erschaffe" (Göthe Einl. in die Propyläen).

§. 383.

Demnach kehrt sich die Ordnung des bisherigen Systems um und auch1
im ersten Theile tritt der Inhalt der Lehre vom subjectiven Eindrucke des
Schönen (§ 70 ff. §. 140 ff. § 223 ff.) dem Inhalte der Lehre vom Schönen
selbst voran. Dieß veränderte Verhältniß begründet aber keineswegs eine wirk-2
liche Umstellung, denn das Wesen des Schönen fordert schlechtweg, daß der
Act, wodurch es entsteht, diesen ersten Schein, als ob nämlich das Schöne ein
Vorgefundenes sey, zu seiner Grundlage behalte.

1. Vorher schien das Naturschöne, jetzt also wird das Schönheit
erzeugende Subject das Erste, der zweite Abschnitt tritt vor den ersten, das
Nacheinander des Schönen und seines subjectiven Eindrucks im ersten
Theile dreht sich demnach ebenfalls um. Nur meine man nicht, es sei
dieß in der Lehre vom subjectiven Eindruck des Schönen (Erhabenen,
Komischen) schon da, wo von dem Mitbegriffensein des Subjects im Ob-
jecte die Rede war, bereits ausgesprochen und nur die Consequenz ver-
heimlicht worden (vergl. §. 70). Aus dem folgt die Umkehrung, was in
§. 53--55 von der nothwendigen Zusammenziehung, dem reinen Schein,
der reinen Form gesagt ist; was darin schon ausgesprochen war, daraus
das Resultat zu ziehen wurde hinausgeschoben. Der andere Satz aber,
daß im Schönen ein Subject überhaupt mitgesetzt sei, beließ die Art die-
ses Mitgesetztseins einfach bei einem Aufnehmen, Zusammengehen des
Subjects mit dem Object. Erst jetzt fassen wir diesen Satz mit jenen
ersten Sätzen zusammen und erkennen, daß das scheinbare Aufnehmen
darum kein bloßes Aufnehmen ist, weil es reine Form in das Object
hineinschaut. Auch das Leihen, das Unterlegen menschlicher Stimmung,
Gestalt in die ungeistige Natur durfte dort ausgesprochen werden, ohne

Sinne des Gegebenen, Vorgefundenen, ſondern deſſen, worauf, woran ich
thätig bin, ſo daß es mir ein Stoff iſt, den ich umbildend zu dem erſt
ſchaffe, was er ſeyn ſoll: Object der Thätigkeit und durch dieſelbe Ge-
ſchöpf meines Thuns; nicht abſolutes Geſchöpf, denn etwas war gegeben,
ich ſchaffe nicht aus dem Leeren, ich habe einen Stoff, einen ſogar ge-
formten Stoff, aber die Form iſt noch roh, ich ſchaffe ſie zur reinen Form
um. Was Stoff hier bedeute, iſt in der Anm. zu § 233 auseinanderge-
ſetzt. Object in dieſem Sinne nun iſt weſentlich Werk des Subjects,
dieſes alſo als der Schöpfer des Schönen erkannt. „Indem der Künſtler“ —
(dieß kann man aber ſchon von der allgemeinen Phantaſie ausſagen) —
„irgend einen Gegenſtand der Natur ergreift, ſo gehört dieſer ſchon nicht
mehr der Natur an, ja man kann ſagen, daß der Künſtler ihn in dieſem
Augenblick erſchaffe“ (Göthe Einl. in die Propyläen).

§. 383.

Demnach kehrt ſich die Ordnung des bisherigen Syſtems um und auch1
im erſten Theile tritt der Inhalt der Lehre vom ſubjectiven Eindrucke des
Schönen (§ 70 ff. §. 140 ff. § 223 ff.) dem Inhalte der Lehre vom Schönen
ſelbſt voran. Dieß veränderte Verhältniß begründet aber keineswegs eine wirk-2
liche Umſtellung, denn das Weſen des Schönen fordert ſchlechtweg, daß der
Act, wodurch es entſteht, dieſen erſten Schein, als ob nämlich das Schöne ein
Vorgefundenes ſey, zu ſeiner Grundlage behalte.

1. Vorher ſchien das Naturſchöne, jetzt alſo wird das Schönheit
erzeugende Subject das Erſte, der zweite Abſchnitt tritt vor den erſten, das
Nacheinander des Schönen und ſeines ſubjectiven Eindrucks im erſten
Theile dreht ſich demnach ebenfalls um. Nur meine man nicht, es ſei
dieß in der Lehre vom ſubjectiven Eindruck des Schönen (Erhabenen,
Komiſchen) ſchon da, wo von dem Mitbegriffenſein des Subjects im Ob-
jecte die Rede war, bereits ausgeſprochen und nur die Conſequenz ver-
heimlicht worden (vergl. §. 70). Aus dem folgt die Umkehrung, was in
§. 53—55 von der nothwendigen Zuſammenziehung, dem reinen Schein,
der reinen Form geſagt iſt; was darin ſchon ausgeſprochen war, daraus
das Reſultat zu ziehen wurde hinausgeſchoben. Der andere Satz aber,
daß im Schönen ein Subject überhaupt mitgeſetzt ſei, beließ die Art die-
ſes Mitgeſetztſeins einfach bei einem Aufnehmen, Zuſammengehen des
Subjects mit dem Object. Erſt jetzt faſſen wir dieſen Satz mit jenen
erſten Sätzen zuſammen und erkennen, daß das ſcheinbare Aufnehmen
darum kein bloßes Aufnehmen iſt, weil es reine Form in das Object
hineinſchaut. Auch das Leihen, das Unterlegen menſchlicher Stimmung,
Geſtalt in die ungeiſtige Natur durfte dort ausgeſprochen werden, ohne

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[313/0027] Sinne des Gegebenen, Vorgefundenen, ſondern deſſen, worauf, woran ich thätig bin, ſo daß es mir ein Stoff iſt, den ich umbildend zu dem erſt ſchaffe, was er ſeyn ſoll: Object der Thätigkeit und durch dieſelbe Ge- ſchöpf meines Thuns; nicht abſolutes Geſchöpf, denn etwas war gegeben, ich ſchaffe nicht aus dem Leeren, ich habe einen Stoff, einen ſogar ge- formten Stoff, aber die Form iſt noch roh, ich ſchaffe ſie zur reinen Form um. Was Stoff hier bedeute, iſt in der Anm. zu § 233 auseinanderge- ſetzt. Object in dieſem Sinne nun iſt weſentlich Werk des Subjects, dieſes alſo als der Schöpfer des Schönen erkannt. „Indem der Künſtler“ — (dieß kann man aber ſchon von der allgemeinen Phantaſie ausſagen) — „irgend einen Gegenſtand der Natur ergreift, ſo gehört dieſer ſchon nicht mehr der Natur an, ja man kann ſagen, daß der Künſtler ihn in dieſem Augenblick erſchaffe“ (Göthe Einl. in die Propyläen). §. 383. Demnach kehrt ſich die Ordnung des bisherigen Syſtems um und auch im erſten Theile tritt der Inhalt der Lehre vom ſubjectiven Eindrucke des Schönen (§ 70 ff. §. 140 ff. § 223 ff.) dem Inhalte der Lehre vom Schönen ſelbſt voran. Dieß veränderte Verhältniß begründet aber keineswegs eine wirk- liche Umſtellung, denn das Weſen des Schönen fordert ſchlechtweg, daß der Act, wodurch es entſteht, dieſen erſten Schein, als ob nämlich das Schöne ein Vorgefundenes ſey, zu ſeiner Grundlage behalte. 1. Vorher ſchien das Naturſchöne, jetzt alſo wird das Schönheit erzeugende Subject das Erſte, der zweite Abſchnitt tritt vor den erſten, das Nacheinander des Schönen und ſeines ſubjectiven Eindrucks im erſten Theile dreht ſich demnach ebenfalls um. Nur meine man nicht, es ſei dieß in der Lehre vom ſubjectiven Eindruck des Schönen (Erhabenen, Komiſchen) ſchon da, wo von dem Mitbegriffenſein des Subjects im Ob- jecte die Rede war, bereits ausgeſprochen und nur die Conſequenz ver- heimlicht worden (vergl. §. 70). Aus dem folgt die Umkehrung, was in §. 53—55 von der nothwendigen Zuſammenziehung, dem reinen Schein, der reinen Form geſagt iſt; was darin ſchon ausgeſprochen war, daraus das Reſultat zu ziehen wurde hinausgeſchoben. Der andere Satz aber, daß im Schönen ein Subject überhaupt mitgeſetzt ſei, beließ die Art die- ſes Mitgeſetztſeins einfach bei einem Aufnehmen, Zuſammengehen des Subjects mit dem Object. Erſt jetzt faſſen wir dieſen Satz mit jenen erſten Sätzen zuſammen und erkennen, daß das ſcheinbare Aufnehmen darum kein bloßes Aufnehmen iſt, weil es reine Form in das Object hineinſchaut. Auch das Leihen, das Unterlegen menſchlicher Stimmung, Geſtalt in die ungeiſtige Natur durfte dort ausgeſprochen werden, ohne

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/27>, abgerufen am 21.11.2024.