Diese Sätze bedürfen keiner weiteren Begründung; sie sind nur die Auffassung dessen, was in §. 354 ff. über die Volksnaturen und Zustände des Mittelalters als objectiven Stoff gesagt ist, und eine Zusammenfassung dieses einfachen Ergebnisses mit dem, was aus der jetzt dargestellten Phan- tasiewelt hervorgeht. Es fehlt an treffenden Bezeichnungen und Wendungen für diese neue Form des Ideals in unserer Literatur nicht. Auf den ver- fehlten Gedanken, das classische und romantische Ideal als Symbol und Allegorie zu unterscheiden, welche Solger (nach Schellings Andeutungen s. Meth. des akad. Studiums Vorl. 8) durchzuführen suchte und die Schlegel von ihm aufnehmen, werden wir nachher kurz zu reden kommen, ebenso auf Schillers hinkende Unterscheidung: naive und sentimentale Poesie. Glückliche Wendungen hat J. P. Fr. Richter (a. a. O. §. 22): "das Romantische ist das Schöne ohne Begrenzung oder das schöne Unendliche, -- es ist das Aussummen einer Saite oder Glocke, in welchem die Tonwoge in immer ferneren Weiten verschwimmt und endlich sich verliert in uns selber und, obwohl außen schon still, noch innen lautet. -- Das Christen- thum zerschmelzt mit seinem Feuereifer gegen das Irdische den schönen Körper in eine schöne Seele, um ihn dann in ihr lieben zu lassen" (§. 23): "das Christenthum vertilgte wie ein jüngster Tag die ganze Sinnenwelt mit ihren Reizen; -- was blieb nun dem poetischen Geiste nach diesem Einsturze der äußern Welt noch übrig? Die, worin sie einstürzte, die innere. Der Geist stieg in sich und seine Nacht und sah Geister. Da aber die Endlichkeit nur an Körpern haftet und da in Geistern Alles unendlich ist oder ungeendigt, so blühte in der Poesie das Reich des Un- endlichen über der Brandstätte der Endlichkeit auf. Engel, Teufel, Hei- lige, Selige und der Unendliche hatten keine Körperformen und Götter- leiber, dafür öffnete das Ungeheure und Unermeßliche seine Tiefe, -- die Geisterfurcht, welche in der weiten Nacht des Unendlichen vor sich selber schaudert" u. s. w. Nachdem aber Hegel diesen Standpunkt der "unend- lichen Negativität, welche die Ergossenheit des Geistes in das Leibliche aufhebt, -- dieß Insich- und Beisichsein des Geistes, der zwar im Aeußer- lichen erscheint, aber aus dieser Leiblichkeit in sich zurückgeführt ist, nur in sich congruente Wirklichkeit hat", auf die rechten, kurzen Bestimmungen zurückgeführt hat, bedarf es keiner weiteren Sammlung fremder Definitionen.
§. 454.
Diese negative Bewegung in sich, wodurch die Individualität eine geistige Welt wird, verzehrt aber keineswegs ihre unendliche Eigenheit, vielmehr darin beweist die Idee ihre Macht, daß sie ganz in das empirisch einzelne Subject einkehrend jene Eigenheit selbst in den Dienst der Erhebung in das Unendliche
Dieſe Sätze bedürfen keiner weiteren Begründung; ſie ſind nur die Auffaſſung deſſen, was in §. 354 ff. über die Volksnaturen und Zuſtände des Mittelalters als objectiven Stoff geſagt iſt, und eine Zuſammenfaſſung dieſes einfachen Ergebniſſes mit dem, was aus der jetzt dargeſtellten Phan- taſiewelt hervorgeht. Es fehlt an treffenden Bezeichnungen und Wendungen für dieſe neue Form des Ideals in unſerer Literatur nicht. Auf den ver- fehlten Gedanken, das claſſiſche und romantiſche Ideal als Symbol und Allegorie zu unterſcheiden, welche Solger (nach Schellings Andeutungen ſ. Meth. des akad. Studiums Vorl. 8) durchzuführen ſuchte und die Schlegel von ihm aufnehmen, werden wir nachher kurz zu reden kommen, ebenſo auf Schillers hinkende Unterſcheidung: naive und ſentimentale Poeſie. Glückliche Wendungen hat J. P. Fr. Richter (a. a. O. §. 22): „das Romantiſche iſt das Schöne ohne Begrenzung oder das ſchöne Unendliche, — es iſt das Ausſummen einer Saite oder Glocke, in welchem die Tonwoge in immer ferneren Weiten verſchwimmt und endlich ſich verliert in uns ſelber und, obwohl außen ſchon ſtill, noch innen lautet. — Das Chriſten- thum zerſchmelzt mit ſeinem Feuereifer gegen das Irdiſche den ſchönen Körper in eine ſchöne Seele, um ihn dann in ihr lieben zu laſſen“ (§. 23): „das Chriſtenthum vertilgte wie ein jüngſter Tag die ganze Sinnenwelt mit ihren Reizen; — was blieb nun dem poetiſchen Geiſte nach dieſem Einſturze der äußern Welt noch übrig? Die, worin ſie einſtürzte, die innere. Der Geiſt ſtieg in ſich und ſeine Nacht und ſah Geiſter. Da aber die Endlichkeit nur an Körpern haftet und da in Geiſtern Alles unendlich iſt oder ungeendigt, ſo blühte in der Poeſie das Reich des Un- endlichen über der Brandſtätte der Endlichkeit auf. Engel, Teufel, Hei- lige, Selige und der Unendliche hatten keine Körperformen und Götter- leiber, dafür öffnete das Ungeheure und Unermeßliche ſeine Tiefe, — die Geiſterfurcht, welche in der weiten Nacht des Unendlichen vor ſich ſelber ſchaudert“ u. ſ. w. Nachdem aber Hegel dieſen Standpunkt der „unend- lichen Negativität, welche die Ergoſſenheit des Geiſtes in das Leibliche aufhebt, — dieß Inſich- und Beiſichſein des Geiſtes, der zwar im Aeußer- lichen erſcheint, aber aus dieſer Leiblichkeit in ſich zurückgeführt iſt, nur in ſich congruente Wirklichkeit hat“, auf die rechten, kurzen Beſtimmungen zurückgeführt hat, bedarf es keiner weiteren Sammlung fremder Definitionen.
§. 454.
Dieſe negative Bewegung in ſich, wodurch die Individualität eine geiſtige Welt wird, verzehrt aber keineswegs ihre unendliche Eigenheit, vielmehr darin beweist die Idee ihre Macht, daß ſie ganz in das empiriſch einzelne Subject einkehrend jene Eigenheit ſelbſt in den Dienſt der Erhebung in das Unendliche
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Auffaſſung deſſen, was in §. 354 ff. über die Volksnaturen und Zuſtände
des Mittelalters als objectiven Stoff geſagt iſt, und eine Zuſammenfaſſung
dieſes einfachen Ergebniſſes mit dem, was aus der jetzt dargeſtellten Phan-
taſiewelt hervorgeht. Es fehlt an treffenden Bezeichnungen und Wendungen
für dieſe neue Form des Ideals in unſerer Literatur nicht. Auf den ver-
fehlten Gedanken, das claſſiſche und romantiſche Ideal als Symbol und
Allegorie zu unterſcheiden, welche Solger (nach Schellings Andeutungen
ſ. Meth. des akad. Studiums Vorl. 8) durchzuführen ſuchte und die
Schlegel von ihm aufnehmen, werden wir nachher kurz zu reden kommen,
ebenſo auf Schillers hinkende Unterſcheidung: naive und ſentimentale
Poeſie. Glückliche Wendungen hat J. P. Fr. Richter (a. a. O. §. 22): „das
Romantiſche iſt das Schöne ohne Begrenzung oder das ſchöne Unendliche, —
es iſt das Ausſummen einer Saite oder Glocke, in welchem die Tonwoge
in immer ferneren Weiten verſchwimmt und endlich ſich verliert in uns
ſelber und, obwohl außen ſchon ſtill, noch innen lautet. — Das Chriſten-
thum zerſchmelzt mit ſeinem Feuereifer gegen das Irdiſche den ſchönen
Körper in eine ſchöne Seele, um ihn dann in ihr lieben zu laſſen“ (§. 23):
„das Chriſtenthum vertilgte wie ein jüngſter Tag die ganze Sinnenwelt
mit ihren Reizen; — was blieb nun dem poetiſchen Geiſte nach dieſem
Einſturze der äußern Welt noch übrig? Die, worin ſie einſtürzte,
die innere. Der Geiſt ſtieg in ſich und ſeine Nacht und ſah Geiſter.
Da aber die Endlichkeit nur an Körpern haftet und da in Geiſtern Alles
unendlich iſt oder ungeendigt, ſo blühte in der Poeſie das Reich des Un-
endlichen über der Brandſtätte der Endlichkeit auf. Engel, Teufel, Hei-
lige, Selige und der Unendliche hatten keine Körperformen und Götter-
leiber, dafür öffnete das Ungeheure und Unermeßliche ſeine Tiefe, — die
Geiſterfurcht, welche in der weiten Nacht des Unendlichen vor ſich ſelber
ſchaudert“ u. ſ. w. Nachdem aber Hegel dieſen Standpunkt der „unend-
lichen Negativität, welche die Ergoſſenheit des Geiſtes in das Leibliche
aufhebt, — dieß Inſich- und Beiſichſein des Geiſtes, der zwar im Aeußer-
lichen erſcheint, aber aus dieſer Leiblichkeit in ſich zurückgeführt iſt, nur
in ſich congruente Wirklichkeit hat“, auf die rechten, kurzen Beſtimmungen
zurückgeführt hat, bedarf es keiner weiteren Sammlung fremder Definitionen.
§. 454.
Dieſe negative Bewegung in ſich, wodurch die Individualität eine geiſtige
Welt wird, verzehrt aber keineswegs ihre unendliche Eigenheit, vielmehr darin
beweist die Idee ihre Macht, daß ſie ganz in das empiriſch einzelne Subject
einkehrend jene Eigenheit ſelbſt in den Dienſt der Erhebung in das Unendliche
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/196>, abgerufen am 22.02.2025.
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