tiefer und tiefer entzündet, ihre Schönheit selbst beleuchtet und beleuchtend verdoppelt, wie das Gemüth, wenn es in der Liebe sich verliert, sich doppelt gewinnt.
3. Keine Farbe kommt an irgend einem Körper in ihrer ungebrochenen Einfachheit vor. Die Individualität ist, wie in allen andern Momenten, wodurch sie in die Schönheit eintritt, auch in der Farbe unberechenbar. Aber auch dieß hebt die Nothwendigkeit, die Farben in ihrer allgemeinsten ästhetischen Wirkung zu fassen, nicht auf, denn ihre unendlichen Brechungen sind zwar nicht vorauszubestimmen; hat man aber ein Individuum, so ist der ästhetische Eindruck der nur ihm eigenen Farbenmischung eben aus dem Grundcharakter der vereinigten Farben zu erklären.
§. 251.
Da nun aber die Farben das differenzirte Licht sind, so fordert das Auge1 zu jeder bestimmten Farbe diejenige, welche mit ihr zusammengestellt die Totalität des Farbenkreises bildet, und wie von dem Auge, so gilt dieß von der Stimmung, welche ihren einseitigen geistigen Ton zu ergänzen sucht. Allen andern Zusammen-2 stellungen von Farbenpaaren fehlt zum reinen ästhetischen Eindruck entweder bei übrigens wirksamem Unterschied die ungetheilte Kraft der die Totalität bedingen- den Farbe oder es fehlt ihnen zudem die Wirkung des Unterschieds, sie stehen sich zu nahe. Die Mängel und Mißklänge, welche hieraus entstehen, können3 aber theils durch die Vermittlung von Weiß, Schwarz, Grau, so wie durch das Verhältniß der Töne und Schattirungen, theils durch die Formen eines Körpers und durch Abstand der Körper von einander gemildert werden oder die mangelnde abstracte Farbenschönheit durch die Bestimmtheit der charakteristischen Bezeichnung ersetzen.
1. Der ganze Inhalt dieses §. wird klar, wenn man sich den Farben- kreis zusammenstellt mit folgenden Diametern:
[Abbildung]
Je diejenigen zwei Farben, welche durch einen Diameter verbunden sind, verhalten sich zu einander als Ergänzungsfarben, d. h. jede bringt der andern dasjenige hinzu, was ihr zur Totalität der Farbe, oder nach der Auffassung der Luftwellentheorie dazu fehlt, um wieder weißes Licht hervorzubringen:
tiefer und tiefer entzündet, ihre Schönheit ſelbſt beleuchtet und beleuchtend verdoppelt, wie das Gemüth, wenn es in der Liebe ſich verliert, ſich doppelt gewinnt.
3. Keine Farbe kommt an irgend einem Körper in ihrer ungebrochenen Einfachheit vor. Die Individualität iſt, wie in allen andern Momenten, wodurch ſie in die Schönheit eintritt, auch in der Farbe unberechenbar. Aber auch dieß hebt die Nothwendigkeit, die Farben in ihrer allgemeinſten äſthetiſchen Wirkung zu faſſen, nicht auf, denn ihre unendlichen Brechungen ſind zwar nicht vorauszubeſtimmen; hat man aber ein Individuum, ſo iſt der äſthetiſche Eindruck der nur ihm eigenen Farbenmiſchung eben aus dem Grundcharakter der vereinigten Farben zu erklären.
§. 251.
Da nun aber die Farben das differenzirte Licht ſind, ſo fordert das Auge1 zu jeder beſtimmten Farbe diejenige, welche mit ihr zuſammengeſtellt die Totalität des Farbenkreiſes bildet, und wie von dem Auge, ſo gilt dieß von der Stimmung, welche ihren einſeitigen geiſtigen Ton zu ergänzen ſucht. Allen andern Zuſammen-2 ſtellungen von Farbenpaaren fehlt zum reinen äſthetiſchen Eindruck entweder bei übrigens wirkſamem Unterſchied die ungetheilte Kraft der die Totalität bedingen- den Farbe oder es fehlt ihnen zudem die Wirkung des Unterſchieds, ſie ſtehen ſich zu nahe. Die Mängel und Mißklänge, welche hieraus entſtehen, können3 aber theils durch die Vermittlung von Weiß, Schwarz, Grau, ſo wie durch das Verhältniß der Töne und Schattirungen, theils durch die Formen eines Körpers und durch Abſtand der Körper von einander gemildert werden oder die mangelnde abſtracte Farbenſchönheit durch die Beſtimmtheit der charakteriſtiſchen Bezeichnung erſetzen.
1. Der ganze Inhalt dieſes §. wird klar, wenn man ſich den Farben- kreis zuſammenſtellt mit folgenden Diametern:
[Abbildung]
Je diejenigen zwei Farben, welche durch einen Diameter verbunden ſind, verhalten ſich zu einander als Ergänzungsfarben, d. h. jede bringt der andern dasjenige hinzu, was ihr zur Totalität der Farbe, oder nach der Auffaſſung der Luftwellentheorie dazu fehlt, um wieder weißes Licht hervorzubringen:
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tiefer und tiefer entzündet, ihre Schönheit ſelbſt beleuchtet und beleuchtend
verdoppelt, wie das Gemüth, wenn es in der Liebe ſich verliert, ſich
doppelt gewinnt.
3. Keine Farbe kommt an irgend einem Körper in ihrer ungebrochenen
Einfachheit vor. Die Individualität iſt, wie in allen andern Momenten,
wodurch ſie in die Schönheit eintritt, auch in der Farbe unberechenbar.
Aber auch dieß hebt die Nothwendigkeit, die Farben in ihrer allgemeinſten
äſthetiſchen Wirkung zu faſſen, nicht auf, denn ihre unendlichen Brechungen
ſind zwar nicht vorauszubeſtimmen; hat man aber ein Individuum, ſo iſt
der äſthetiſche Eindruck der nur ihm eigenen Farbenmiſchung eben aus dem
Grundcharakter der vereinigten Farben zu erklären.
§. 251.
Da nun aber die Farben das differenzirte Licht ſind, ſo fordert das Auge
zu jeder beſtimmten Farbe diejenige, welche mit ihr zuſammengeſtellt die Totalität
des Farbenkreiſes bildet, und wie von dem Auge, ſo gilt dieß von der Stimmung,
welche ihren einſeitigen geiſtigen Ton zu ergänzen ſucht. Allen andern Zuſammen-
ſtellungen von Farbenpaaren fehlt zum reinen äſthetiſchen Eindruck entweder bei
übrigens wirkſamem Unterſchied die ungetheilte Kraft der die Totalität bedingen-
den Farbe oder es fehlt ihnen zudem die Wirkung des Unterſchieds, ſie ſtehen
ſich zu nahe. Die Mängel und Mißklänge, welche hieraus entſtehen, können
aber theils durch die Vermittlung von Weiß, Schwarz, Grau, ſo wie durch das
Verhältniß der Töne und Schattirungen, theils durch die Formen eines Körpers
und durch Abſtand der Körper von einander gemildert werden oder die mangelnde
abſtracte Farbenſchönheit durch die Beſtimmtheit der charakteriſtiſchen Bezeichnung
erſetzen.
1. Der ganze Inhalt dieſes §. wird klar, wenn man ſich den Farben-
kreis zuſammenſtellt mit folgenden Diametern:
[Abbildung]
Je diejenigen zwei Farben, welche durch einen Diameter verbunden
ſind, verhalten ſich zu einander als Ergänzungsfarben, d. h. jede bringt
der andern dasjenige hinzu, was ihr zur Totalität der Farbe, oder nach
der Auffaſſung der Luftwellentheorie dazu fehlt, um wieder weißes Licht
hervorzubringen:
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/59>, abgerufen am 22.02.2025.
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