Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
aber doch nähern wir uns bereits der selbständigen Reizwelt des Lichtes. §. 242. Das Licht erscheint aber auch selbst als schöner Gegenstand, zwar niemals 1. Die Sonne erscheint allerdings nicht als abstracter Lichtträger
aber doch nähern wir uns bereits der ſelbſtändigen Reizwelt des Lichtes. §. 242. Das Licht erſcheint aber auch ſelbſt als ſchöner Gegenſtand, zwar niemals 1. Die Sonne erſcheint allerdings nicht als abſtracter Lichtträger <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0042" n="30"/> aber doch nähern wir uns bereits der ſelbſtändigen Reizwelt des Lichtes.<lb/> Die höchſten Lichter, welche überall ſpielen, zeigen alle auf den Einen Punkt<lb/> hin, von welchem das Licht ausgeht, und dieſer Eine Beleuchtungspunkt<lb/> wird nun die Einheit, die Individualität, zu welcher die Vielheit der<lb/> beleuchteten Körper ſich zuſammenfaßt; oder es tritt die Gunſt des Zufalls<lb/> ein, daß der bedeutendſte unter dieſen Körpern, der die andern alle beherrſcht,<lb/> im vollſten Lichte ſteht, dann übernimmt dieſer als Sammelpunkt des Lichtes<lb/> die Bedeutung des letzteren. Die Mannigfaltigkeit der Gegenſtände gruppirt<lb/> ſich nun um die Licht-Einheit wie die Formen Eines Körpers: das Licht<lb/> modellirt das Viele in Eines. Eine Landſchaft z. B. enthält noch Anderes<lb/> als dieſe Lichtverhältniſſe und eine Gruppe zuſammenwirkender Menſchen<lb/> hat noch gewiſſer einen Einheitspunkt anderer und höherer Art, allein beide<lb/> wollen weſentlich auch aus dieſem Standpunkte geſehen ſein.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 242.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Das Licht erſcheint aber auch ſelbſt als ſchöner Gegenſtand, zwar niemals<lb/> für ſich allein, doch ſo daß es in Verbindung mit Anderem zum Mittelpunkte<lb/><note place="left">1</note>der Schönheit wird. Das Geſtirn, von welchem es unſerem Planeten zuſtrömt,<lb/> iſt als Lichtkörper ein erhabenes Schauſpiel und der Sternenhimmel führt ins-<lb/> beſondere durch den Glanz ſeiner unzähligen Körper die Idee der Unendlichkeit<lb/><note place="left">2</note>des Weltgebäudes als einer Lichtwelt in den Geiſt des Anſchauenden. Das<lb/> Licht zeigt nicht nur auf, ſondern es belebt auch wirklich, ſein Aufzeigen wird<lb/> daher als ein Hervorrufen des Seins aus dem Nichts, das Licht als poſitiv,<lb/> das Dunkel als negativ erhaben empfunden. Belebend wirkt es insbeſondere<lb/> durch die Wärmeſtrahlen, welche mit den Lichtſtrahlen der Erde zuſtrömen; im<lb/><note place="left">3</note>äſthetiſchen Charakter der Tags- und Jahreszeiten iſt das Gefühl des Schick-<lb/> ſals des Planeten in ſeinem Verhältniß zur Licht und Wärme bringenden<lb/> Sonne das Beſtimmende.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Die Sonne erſcheint allerdings nicht als abſtracter Lichtträger<lb/> erhaben, ſie wird als Individuum angeſchaut, ja ein Geiſt wird ihr bei-<lb/> gelegt, ſie iſt „wie ein Held — anbetungswürdig;“ es iſt aber doch ihre<lb/> unendliche Lichtwirkung, was der Bewunderung zu Grunde liegt. Anders<lb/> wirkt der blaſſere Schein des Mondes, ſein Leuchten iſt es vorzüglich, was<lb/> Helldunkel hervorbringt, und von dieſem wird mit Nächſtem die Rede ſein. —<lb/> Das Planetenſyſtem als ſolches iſt kein äſthetiſcher Gegenſtand, ſondern<lb/> nur ein der Anſchauung dargebotener Ausſchnitt des Sternenhimmels; dieſer<lb/> erweckt die Ahnung des Weltſyſtems in ſeiner Unendlichkeit, aber weſentlich<lb/> iſt es der Eindruck einer Lichtwelt, der zu Grunde liegt. Man ſieht an<lb/> dieſem Beiſpiele deutlich, wie ſich die Aeſthetik zur Naturwiſſenſchaft verhält;<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0042]
aber doch nähern wir uns bereits der ſelbſtändigen Reizwelt des Lichtes.
Die höchſten Lichter, welche überall ſpielen, zeigen alle auf den Einen Punkt
hin, von welchem das Licht ausgeht, und dieſer Eine Beleuchtungspunkt
wird nun die Einheit, die Individualität, zu welcher die Vielheit der
beleuchteten Körper ſich zuſammenfaßt; oder es tritt die Gunſt des Zufalls
ein, daß der bedeutendſte unter dieſen Körpern, der die andern alle beherrſcht,
im vollſten Lichte ſteht, dann übernimmt dieſer als Sammelpunkt des Lichtes
die Bedeutung des letzteren. Die Mannigfaltigkeit der Gegenſtände gruppirt
ſich nun um die Licht-Einheit wie die Formen Eines Körpers: das Licht
modellirt das Viele in Eines. Eine Landſchaft z. B. enthält noch Anderes
als dieſe Lichtverhältniſſe und eine Gruppe zuſammenwirkender Menſchen
hat noch gewiſſer einen Einheitspunkt anderer und höherer Art, allein beide
wollen weſentlich auch aus dieſem Standpunkte geſehen ſein.
§. 242.
Das Licht erſcheint aber auch ſelbſt als ſchöner Gegenſtand, zwar niemals
für ſich allein, doch ſo daß es in Verbindung mit Anderem zum Mittelpunkte
der Schönheit wird. Das Geſtirn, von welchem es unſerem Planeten zuſtrömt,
iſt als Lichtkörper ein erhabenes Schauſpiel und der Sternenhimmel führt ins-
beſondere durch den Glanz ſeiner unzähligen Körper die Idee der Unendlichkeit
des Weltgebäudes als einer Lichtwelt in den Geiſt des Anſchauenden. Das
Licht zeigt nicht nur auf, ſondern es belebt auch wirklich, ſein Aufzeigen wird
daher als ein Hervorrufen des Seins aus dem Nichts, das Licht als poſitiv,
das Dunkel als negativ erhaben empfunden. Belebend wirkt es insbeſondere
durch die Wärmeſtrahlen, welche mit den Lichtſtrahlen der Erde zuſtrömen; im
äſthetiſchen Charakter der Tags- und Jahreszeiten iſt das Gefühl des Schick-
ſals des Planeten in ſeinem Verhältniß zur Licht und Wärme bringenden
Sonne das Beſtimmende.
1. Die Sonne erſcheint allerdings nicht als abſtracter Lichtträger
erhaben, ſie wird als Individuum angeſchaut, ja ein Geiſt wird ihr bei-
gelegt, ſie iſt „wie ein Held — anbetungswürdig;“ es iſt aber doch ihre
unendliche Lichtwirkung, was der Bewunderung zu Grunde liegt. Anders
wirkt der blaſſere Schein des Mondes, ſein Leuchten iſt es vorzüglich, was
Helldunkel hervorbringt, und von dieſem wird mit Nächſtem die Rede ſein. —
Das Planetenſyſtem als ſolches iſt kein äſthetiſcher Gegenſtand, ſondern
nur ein der Anſchauung dargebotener Ausſchnitt des Sternenhimmels; dieſer
erweckt die Ahnung des Weltſyſtems in ſeiner Unendlichkeit, aber weſentlich
iſt es der Eindruck einer Lichtwelt, der zu Grunde liegt. Man ſieht an
dieſem Beiſpiele deutlich, wie ſich die Aeſthetik zur Naturwiſſenſchaft verhält;
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