Thiere in der Fabel und an sich; sie leben im Elemente des Naiven und haben daher das Ganze, was aus Einem Guß ist, wie Thiere, das Racemäßige, das Schlaghafte. So zunächst in der Heroenzeit, aber bei allem Fortschritt der Griechen bleibt ihnen diese Compactheit der Natur und in ihren Götter- und Heroen-Idealen klingen nicht durch Künstler- willkühr Thiertypen an. In dieser Welt kann nicht modernes Gewissen sein. List ist Tugend, Reineke Odysseus lügt Alles an, was ihm in den Weg kommt, und dafür lobt ihn Athene selbst, die er ebenfalls angelogen. Bestechlich ist selbst Themistokles. Das unendlich Eigene der Individualität kann und darf sich nicht in die Tiefe ausbilden, es ist noch nicht interessant, noch nicht berechtigt; es ist da, aber als ein flüssiges Moment, das sich jeden Augenblick in das Gemeinschaftliche auflöst, die Einzelnen gleichen sich in Zügen und Thun noch ganz anders, als der nordische und moderne Mensch. In den großen Männern faßt sich die Größe des Volks gleichsam mühelos zusammen. Ein Perikles opfert allen Genuß und Zerstreuung dem Staate, jeder Zoll an ihm ist semnotes, und doch, wie frisch und jugendlich ist er, gegen die Heroen Roms gehalten! Schön bemerkt Hegel, wie bedeutungsvoll es sei, daß die griechische Geschichte mit einem Jüngling, Achilles, beginne und mit einem Jüngling, Alexander, schließe. -- Diese Menschen nun, die auf der Straße, nicht in Stubenluft lebten, können freilich auch die engere sittliche Schönheit des Privatlebens nicht ausgebildet haben. Die Liebe ist keine unendliche subjective Welt, sondern eine rasche und brennende Leidenschaft, zarter Anhauch, wie in Nausikaa, erscheint vereinzelt, aber auch das erlaubte Verlangen hält sich mit sittlichem Maße zurück, wie Penelope sinnend zaudert, selbst nachdem sie Odysseus schon erkannt hat. Die Zurückziehung und Abschließung des Weibs führt zum Hetärenwesen und zur Knabenliebe, deren rohe Form freilich einer der schlimmsten Makel im griechischen Leben, deren andere geistige Form aber künstlerisch erziehende Seelenliebe ist. Aechte Freundschaft tritt schön im ersten und letzten Helden, Achilles und Alexander hervor. Im innern Kreise herrscht würdig die Hausfrau, aber Kebsweiber sind geduldeter Rest der Polygamie, damit ist vertieftere Poesie der Ehe nicht vereinbar.
§. 351.
Dieß Volk nun ist zuerst ein wahrhaft fortschreitendes, entwickelt sich durch eigene That organisch und diese That ist wesentlich Aufnahme von Bildungsmomenten aus dem Orient zu freier Umbildung auf der einen, Zurück- weisung seiner überfluthenden Macht auf der andern Seite. Dann folgt innerer Krieg und beginnt bei wachsender subjectiver Bildung das tragische Schauspiel der Auflösung dieser schönen, aber unverbürgten Welt. Doch ehe der Unter-
Thiere in der Fabel und an ſich; ſie leben im Elemente des Naiven und haben daher das Ganze, was aus Einem Guß iſt, wie Thiere, das Racemäßige, das Schlaghafte. So zunächſt in der Heroenzeit, aber bei allem Fortſchritt der Griechen bleibt ihnen dieſe Compactheit der Natur und in ihren Götter- und Heroen-Idealen klingen nicht durch Künſtler- willkühr Thiertypen an. In dieſer Welt kann nicht modernes Gewiſſen ſein. Liſt iſt Tugend, Reineke Odyſſeus lügt Alles an, was ihm in den Weg kommt, und dafür lobt ihn Athene ſelbſt, die er ebenfalls angelogen. Beſtechlich iſt ſelbſt Themiſtokles. Das unendlich Eigene der Individualität kann und darf ſich nicht in die Tiefe ausbilden, es iſt noch nicht intereſſant, noch nicht berechtigt; es iſt da, aber als ein flüſſiges Moment, das ſich jeden Augenblick in das Gemeinſchaftliche auflöst, die Einzelnen gleichen ſich in Zügen und Thun noch ganz anders, als der nordiſche und moderne Menſch. In den großen Männern faßt ſich die Größe des Volks gleichſam mühelos zuſammen. Ein Perikles opfert allen Genuß und Zerſtreuung dem Staate, jeder Zoll an ihm iſt σεμνότης, und doch, wie friſch und jugendlich iſt er, gegen die Heroen Roms gehalten! Schön bemerkt Hegel, wie bedeutungsvoll es ſei, daß die griechiſche Geſchichte mit einem Jüngling, Achilles, beginne und mit einem Jüngling, Alexander, ſchließe. — Dieſe Menſchen nun, die auf der Straße, nicht in Stubenluft lebten, können freilich auch die engere ſittliche Schönheit des Privatlebens nicht ausgebildet haben. Die Liebe iſt keine unendliche ſubjective Welt, ſondern eine raſche und brennende Leidenſchaft, zarter Anhauch, wie in Nauſikaa, erſcheint vereinzelt, aber auch das erlaubte Verlangen hält ſich mit ſittlichem Maße zurück, wie Penelope ſinnend zaudert, ſelbſt nachdem ſie Odyſſeus ſchon erkannt hat. Die Zurückziehung und Abſchließung des Weibs führt zum Hetärenweſen und zur Knabenliebe, deren rohe Form freilich einer der ſchlimmſten Makel im griechiſchen Leben, deren andere geiſtige Form aber künſtleriſch erziehende Seelenliebe iſt. Aechte Freundſchaft tritt ſchön im erſten und letzten Helden, Achilles und Alexander hervor. Im innern Kreiſe herrſcht würdig die Hausfrau, aber Kebsweiber ſind geduldeter Reſt der Polygamie, damit iſt vertieftere Poeſie der Ehe nicht vereinbar.
§. 351.
Dieß Volk nun iſt zuerſt ein wahrhaft fortſchreitendes, entwickelt ſich durch eigene That organiſch und dieſe That iſt weſentlich Aufnahme von Bildungsmomenten aus dem Orient zu freier Umbildung auf der einen, Zurück- weiſung ſeiner überfluthenden Macht auf der andern Seite. Dann folgt innerer Krieg und beginnt bei wachſender ſubjectiver Bildung das tragiſche Schauſpiel der Auflöſung dieſer ſchönen, aber unverbürgten Welt. Doch ehe der Unter-
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Thiere in der Fabel und an ſich; ſie leben im Elemente des Naiven und
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Racemäßige, das Schlaghafte. So zunächſt in der Heroenzeit, aber bei
allem Fortſchritt der Griechen bleibt ihnen dieſe Compactheit der Natur
und in ihren Götter- und Heroen-Idealen klingen nicht durch Künſtler-
willkühr Thiertypen an. In dieſer Welt kann nicht modernes Gewiſſen
ſein. Liſt iſt Tugend, Reineke Odyſſeus lügt Alles an, was ihm in den
Weg kommt, und dafür lobt ihn Athene ſelbſt, die er ebenfalls angelogen.
Beſtechlich iſt ſelbſt Themiſtokles. Das unendlich Eigene der Individualität
kann und darf ſich nicht in die Tiefe ausbilden, es iſt noch nicht intereſſant,
noch nicht berechtigt; es iſt da, aber als ein flüſſiges Moment, das ſich
jeden Augenblick in das Gemeinſchaftliche auflöst, die Einzelnen gleichen
ſich in Zügen und Thun noch ganz anders, als der nordiſche und moderne
Menſch. In den großen Männern faßt ſich die Größe des Volks gleichſam
mühelos zuſammen. Ein Perikles opfert allen Genuß und Zerſtreuung
dem Staate, jeder Zoll an ihm iſt σεμνότης, und doch, wie friſch und
jugendlich iſt er, gegen die Heroen Roms gehalten! Schön bemerkt Hegel,
wie bedeutungsvoll es ſei, daß die griechiſche Geſchichte mit einem Jüngling,
Achilles, beginne und mit einem Jüngling, Alexander, ſchließe. —
Dieſe Menſchen nun, die auf der Straße, nicht in Stubenluft lebten,
können freilich auch die engere ſittliche Schönheit des Privatlebens nicht
ausgebildet haben. Die Liebe iſt keine unendliche ſubjective Welt, ſondern
eine raſche und brennende Leidenſchaft, zarter Anhauch, wie in Nauſikaa,
erſcheint vereinzelt, aber auch das erlaubte Verlangen hält ſich mit ſittlichem
Maße zurück, wie Penelope ſinnend zaudert, ſelbſt nachdem ſie Odyſſeus
ſchon erkannt hat. Die Zurückziehung und Abſchließung des Weibs führt
zum Hetärenweſen und zur Knabenliebe, deren rohe Form freilich einer
der ſchlimmſten Makel im griechiſchen Leben, deren andere geiſtige Form
aber künſtleriſch erziehende Seelenliebe iſt. Aechte Freundſchaft tritt ſchön
im erſten und letzten Helden, Achilles und Alexander hervor. Im innern
Kreiſe herrſcht würdig die Hausfrau, aber Kebsweiber ſind geduldeter
Reſt der Polygamie, damit iſt vertieftere Poeſie der Ehe nicht vereinbar.
§. 351.
Dieß Volk nun iſt zuerſt ein wahrhaft fortſchreitendes, entwickelt ſich
durch eigene That organiſch und dieſe That iſt weſentlich Aufnahme von
Bildungsmomenten aus dem Orient zu freier Umbildung auf der einen, Zurück-
weiſung ſeiner überfluthenden Macht auf der andern Seite. Dann folgt innerer
Krieg und beginnt bei wachſender ſubjectiver Bildung das tragiſche Schauſpiel
der Auflöſung dieſer ſchönen, aber unverbürgten Welt. Doch ehe der Unter-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/251>, abgerufen am 22.02.2025.
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