Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

des Geistes im Acte seiner Befreiung, worin er also aus seiner un-
wahren Gestalt sich nicht erst herauszuarbeiten hat, sondern diese oder
die confundirte Geistes-Erscheinung schon aufgehoben in sich enthält, als
das Wollen der Pointe u. s. w. Allein Ruge kommt nicht von der
Posse her, er beginnt mit dem Witze als der ersten Form, daher zeigt
sich sogleich ein Mangel. Zunächst erhellt an sich schon, daß es falsch
ist, eine bereits so reflectirte Gestalt, wie den Witz, als die erste aufzu-
führen; daraus eben fließt aber auch der Mangel in der Bestimmung
dieser Gestalt selbst. Ruge gibt nämlich dem Witze nur die unwillkür-
liche Thorheit zum Gegenstande und bringt dafür S. 138. 139 Beispiele.
Allein Gegenstand des Witzes ist nicht nur Thorheit, welche ohne ihn
unbemerkt und durch keine Komik genossen geblieben wäre, sondern vor
Allem eine Thorheit, welche auch schon ihre Lacher gefunden hat, aber
solche, über welche selbst noch von einem bewußteren Subjecte zu lachen
ist. Der Witz hat seiner ganzen Natur nach schon eine Gestalt des
Komischen hinter sich und kann ausrufen: wie sich die platten Bursche
freuen! Die platten Bursche in Auerbachs Keller haben ihren Spaß
schon vorher gehabt, dann erst macht sich Mephistopheles mit ihnen
seinen Spaß, der freilich in diesem Beispiel selbst possenhafte Form an-
nimmt, aber von einem Subjecte ausgeht, dessen reflectirte Subjectivität
sich im Allgemeinen in der Form des Witzes bewegt. Die Subjectivität,
welche das Komische erst in der Form des Burlesken zu produziren
vermag, gehört sammt ihrem Stoffe unter die Stoffe des Witzes.

b.
Das subjectiv Komische oder der Witz.
§. 192.

Die Subjectivität reflectirt sich aus dem naiven Verhalten des objectiv
Komischen in sich und stellt sich zunächst über dieses sammt seinem Gegenstande,
um es zum Stoffe einer andern, vermittelten Form der Komik zu machen.
Allein wenn diese reflectirte Subjectivität eine ihm vorausgehende Form der
Komik zu durchschauen und sich als Stoff zu unterwerfen vermag, so hat sie
ebendaher nicht nur das Auge für den Widerspruch eines in dieser unwillkür-
lichen Weise schon fertigen Komischen, sondern ebenso für jeden Stoff, der nur

des Geiſtes im Acte ſeiner Befreiung, worin er alſo aus ſeiner un-
wahren Geſtalt ſich nicht erſt herauszuarbeiten hat, ſondern dieſe oder
die confundirte Geiſtes-Erſcheinung ſchon aufgehoben in ſich enthält, als
das Wollen der Pointe u. ſ. w. Allein Ruge kommt nicht von der
Poſſe her, er beginnt mit dem Witze als der erſten Form, daher zeigt
ſich ſogleich ein Mangel. Zunächſt erhellt an ſich ſchon, daß es falſch
iſt, eine bereits ſo reflectirte Geſtalt, wie den Witz, als die erſte aufzu-
führen; daraus eben fließt aber auch der Mangel in der Beſtimmung
dieſer Geſtalt ſelbſt. Ruge gibt nämlich dem Witze nur die unwillkür-
liche Thorheit zum Gegenſtande und bringt dafür S. 138. 139 Beiſpiele.
Allein Gegenſtand des Witzes iſt nicht nur Thorheit, welche ohne ihn
unbemerkt und durch keine Komik genoſſen geblieben wäre, ſondern vor
Allem eine Thorheit, welche auch ſchon ihre Lacher gefunden hat, aber
ſolche, über welche ſelbſt noch von einem bewußteren Subjecte zu lachen
iſt. Der Witz hat ſeiner ganzen Natur nach ſchon eine Geſtalt des
Komiſchen hinter ſich und kann ausrufen: wie ſich die platten Burſche
freuen! Die platten Burſche in Auerbachs Keller haben ihren Spaß
ſchon vorher gehabt, dann erſt macht ſich Mephiſtopheles mit ihnen
ſeinen Spaß, der freilich in dieſem Beiſpiel ſelbſt poſſenhafte Form an-
nimmt, aber von einem Subjecte ausgeht, deſſen reflectirte Subjectivität
ſich im Allgemeinen in der Form des Witzes bewegt. Die Subjectivität,
welche das Komiſche erſt in der Form des Burlesken zu produziren
vermag, gehört ſammt ihrem Stoffe unter die Stoffe des Witzes.

b.
Das ſubjectiv Komiſche oder der Witz.
§. 192.

Die Subjectivität reflectirt ſich aus dem naiven Verhalten des objectiv
Komiſchen in ſich und ſtellt ſich zunächſt über dieſes ſammt ſeinem Gegenſtande,
um es zum Stoffe einer andern, vermittelten Form der Komik zu machen.
Allein wenn dieſe reflectirte Subjectivität eine ihm vorausgehende Form der
Komik zu durchſchauen und ſich als Stoff zu unterwerfen vermag, ſo hat ſie
ebendaher nicht nur das Auge für den Widerſpruch eines in dieſer unwillkür-
lichen Weiſe ſchon fertigen Komiſchen, ſondern ebenſo für jeden Stoff, der nur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0430" n="416"/>
des Gei&#x017F;tes im Acte &#x017F;einer Befreiung, worin er al&#x017F;o aus &#x017F;einer un-<lb/>
wahren Ge&#x017F;talt &#x017F;ich nicht er&#x017F;t herauszuarbeiten hat, &#x017F;ondern die&#x017F;e oder<lb/>
die confundirte Gei&#x017F;tes-Er&#x017F;cheinung &#x017F;chon aufgehoben in &#x017F;ich enthält, als<lb/>
das <hi rendition="#g">Wollen der Pointe</hi> u. &#x017F;. w. Allein <hi rendition="#g">Ruge</hi> kommt nicht von der<lb/>
Po&#x017F;&#x017F;e her, er beginnt mit dem Witze als der er&#x017F;ten Form, daher zeigt<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ogleich ein Mangel. Zunäch&#x017F;t erhellt an &#x017F;ich &#x017F;chon, daß es fal&#x017F;ch<lb/>
i&#x017F;t, eine bereits &#x017F;o reflectirte Ge&#x017F;talt, wie den Witz, als die er&#x017F;te aufzu-<lb/>
führen; daraus eben fließt aber auch der Mangel in der Be&#x017F;timmung<lb/>
die&#x017F;er Ge&#x017F;talt &#x017F;elb&#x017F;t. <hi rendition="#g">Ruge</hi> gibt nämlich dem Witze nur die unwillkür-<lb/>
liche Thorheit zum Gegen&#x017F;tande und bringt dafür S. 138. 139 Bei&#x017F;piele.<lb/>
Allein Gegen&#x017F;tand des Witzes i&#x017F;t nicht nur Thorheit, welche ohne ihn<lb/>
unbemerkt und durch keine Komik geno&#x017F;&#x017F;en geblieben wäre, &#x017F;ondern vor<lb/>
Allem eine Thorheit, welche auch &#x017F;chon ihre Lacher gefunden hat, aber<lb/>
&#x017F;olche, über welche &#x017F;elb&#x017F;t noch von einem bewußteren Subjecte zu lachen<lb/>
i&#x017F;t. Der Witz hat &#x017F;einer ganzen Natur nach &#x017F;chon eine Ge&#x017F;talt des<lb/>
Komi&#x017F;chen hinter &#x017F;ich und kann ausrufen: wie &#x017F;ich die platten Bur&#x017F;che<lb/>
freuen! Die platten Bur&#x017F;che in Auerbachs Keller haben ihren Spaß<lb/>
&#x017F;chon vorher gehabt, dann er&#x017F;t macht &#x017F;ich Mephi&#x017F;topheles mit ihnen<lb/>
&#x017F;einen Spaß, der freilich in die&#x017F;em Bei&#x017F;piel &#x017F;elb&#x017F;t po&#x017F;&#x017F;enhafte Form an-<lb/>
nimmt, aber von einem Subjecte ausgeht, de&#x017F;&#x017F;en reflectirte Subjectivität<lb/>
&#x017F;ich im Allgemeinen in der Form des Witzes bewegt. Die Subjectivität,<lb/>
welche das Komi&#x017F;che er&#x017F;t in der Form des Burlesken zu produziren<lb/>
vermag, gehört &#x017F;ammt ihrem Stoffe unter die Stoffe des Witzes.</hi> </p>
              </div>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">b.</hi><lb/><hi rendition="#g">Das &#x017F;ubjectiv Komi&#x017F;che oder der Witz</hi>.</hi> </head><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 192.</head><lb/>
                <p> <hi rendition="#fr">Die Subjectivität reflectirt &#x017F;ich aus dem naiven Verhalten des objectiv<lb/>
Komi&#x017F;chen in &#x017F;ich und &#x017F;tellt &#x017F;ich zunäch&#x017F;t über die&#x017F;es &#x017F;ammt &#x017F;einem Gegen&#x017F;tande,<lb/>
um es zum Stoffe einer andern, vermittelten Form der Komik zu machen.<lb/>
Allein wenn die&#x017F;e reflectirte Subjectivität eine ihm vorausgehende Form der<lb/>
Komik zu durch&#x017F;chauen und &#x017F;ich als Stoff zu unterwerfen vermag, &#x017F;o hat &#x017F;ie<lb/>
ebendaher nicht nur das Auge für den Wider&#x017F;pruch eines in die&#x017F;er unwillkür-<lb/>
lichen Wei&#x017F;e &#x017F;chon fertigen Komi&#x017F;chen, &#x017F;ondern eben&#x017F;o für jeden Stoff, der nur<lb/></hi> </p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0430] des Geiſtes im Acte ſeiner Befreiung, worin er alſo aus ſeiner un- wahren Geſtalt ſich nicht erſt herauszuarbeiten hat, ſondern dieſe oder die confundirte Geiſtes-Erſcheinung ſchon aufgehoben in ſich enthält, als das Wollen der Pointe u. ſ. w. Allein Ruge kommt nicht von der Poſſe her, er beginnt mit dem Witze als der erſten Form, daher zeigt ſich ſogleich ein Mangel. Zunächſt erhellt an ſich ſchon, daß es falſch iſt, eine bereits ſo reflectirte Geſtalt, wie den Witz, als die erſte aufzu- führen; daraus eben fließt aber auch der Mangel in der Beſtimmung dieſer Geſtalt ſelbſt. Ruge gibt nämlich dem Witze nur die unwillkür- liche Thorheit zum Gegenſtande und bringt dafür S. 138. 139 Beiſpiele. Allein Gegenſtand des Witzes iſt nicht nur Thorheit, welche ohne ihn unbemerkt und durch keine Komik genoſſen geblieben wäre, ſondern vor Allem eine Thorheit, welche auch ſchon ihre Lacher gefunden hat, aber ſolche, über welche ſelbſt noch von einem bewußteren Subjecte zu lachen iſt. Der Witz hat ſeiner ganzen Natur nach ſchon eine Geſtalt des Komiſchen hinter ſich und kann ausrufen: wie ſich die platten Burſche freuen! Die platten Burſche in Auerbachs Keller haben ihren Spaß ſchon vorher gehabt, dann erſt macht ſich Mephiſtopheles mit ihnen ſeinen Spaß, der freilich in dieſem Beiſpiel ſelbſt poſſenhafte Form an- nimmt, aber von einem Subjecte ausgeht, deſſen reflectirte Subjectivität ſich im Allgemeinen in der Form des Witzes bewegt. Die Subjectivität, welche das Komiſche erſt in der Form des Burlesken zu produziren vermag, gehört ſammt ihrem Stoffe unter die Stoffe des Witzes. b. Das ſubjectiv Komiſche oder der Witz. §. 192. Die Subjectivität reflectirt ſich aus dem naiven Verhalten des objectiv Komiſchen in ſich und ſtellt ſich zunächſt über dieſes ſammt ſeinem Gegenſtande, um es zum Stoffe einer andern, vermittelten Form der Komik zu machen. Allein wenn dieſe reflectirte Subjectivität eine ihm vorausgehende Form der Komik zu durchſchauen und ſich als Stoff zu unterwerfen vermag, ſo hat ſie ebendaher nicht nur das Auge für den Widerſpruch eines in dieſer unwillkür- lichen Weiſe ſchon fertigen Komiſchen, ſondern ebenſo für jeden Stoff, der nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/430
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/430>, abgerufen am 03.12.2024.