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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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nur relativ sind. Im Komischen aber verhält es sich anders aus dem
§. 156 genannten Grunde. Man denke z. B. an den Mann auf einem
Bilde Hogarths, der eine hölzerne Dachrinne absägt und sich auf das
Ende setzt, das abzusägen ist, und mit dem er auch, nachdem er durchgesägt,
herabfällt.

§. 162.

Wie leicht das Erhabene der Leidenschaft dem Komischen verfällt,1
geht daraus hervor, daß bei dieser Form von dem sittlichen Gehalte noch ab-
gesehen wird (vergl. §. 105). Es darf nur etwas eintreten, was ihr die Furcht-
barkeit nimmt und zugleich ein Mißverhältniß zwischen der Gewalt der Erregung
und ihrem Gegenstande aufdeckt, so ist die komische Brechung vorhanden. Aber2
auch die zum bleibenden Zustande gewordene Versenkung in ein Einzelnes, sey
dies nun eine unter der Bedingung des richtigen Maßes berechtigte Befriedigung
des Geistes oder der Sinne, in welch letzterem Falle die Leidenschaft Laster
heißt, tritt nun auf als ein durch den komischen Bruch sich zerstörender Anschein
von Erhabenheit, wenn der Widerspruch der reinen Allgemeinheit des Willens
mit dem einzelnen Zwecke, in den sie sich legt, in der Thätigkeit selbst vor die
Anschauung tritt. Noch unmittelbarer stellt sich der unstete Wille als komisch3
dar.

1. Der Zorn z. B. ist erhaben durch seine stürmische Gewalt; er ist
auch berechtigt, wenn er für einen wahrhaften Zweck durch Trägheit und
Ränke durchschlägt. Allein Jähzorn ohne entsprechende Ursache ist komisch.
Allerdings wird dazu noch etwas gefordert, nämlich die Abwesenheit des
Furchtbaren. Aus allem Bisherigen erhellt, daß dies bewirkt wird durch
ein auffallendes Mißlingen. Es kann nicht vermieden werden, diese
negative Bedingung schon hier in der Darstellung des ersten Glieds bald
anzudeuten, bald auszusprechen; eigentlich aber ist der Ort, sie als
wesentlich hervorzustellen, in der Darstellung des Gegenglieds.

2. Die Grillen, Schrullen, üblen Angewöhnungen, die eingewurzelten
Fehler, die Laster treten hier auf. Sie haben ihren Grund zum Theil in
einem an sich berechtigten geistigen Zwecke: die Neugierde im Wissenstrieb,
die Geschwätzigkeit im Zwecke der geistigen Mittheilung, die Eitelkeit im
Selbstgefühle, die Pedanterei im Ordnungstriebe, die Liebhabereien z. B.
des Sammlers, des Alterthümlers u. dgl. in der Wissenschaft oder einer
andern an sich wohlbegründeten Richtung, und alle diese Ausartungen sind

nur relativ ſind. Im Komiſchen aber verhält es ſich anders aus dem
§. 156 genannten Grunde. Man denke z. B. an den Mann auf einem
Bilde Hogarths, der eine hölzerne Dachrinne abſägt und ſich auf das
Ende ſetzt, das abzuſägen iſt, und mit dem er auch, nachdem er durchgeſägt,
herabfällt.

§. 162.

Wie leicht das Erhabene der Leidenſchaft dem Komiſchen verfällt,1
geht daraus hervor, daß bei dieſer Form von dem ſittlichen Gehalte noch ab-
geſehen wird (vergl. §. 105). Es darf nur etwas eintreten, was ihr die Furcht-
barkeit nimmt und zugleich ein Mißverhältniß zwiſchen der Gewalt der Erregung
und ihrem Gegenſtande aufdeckt, ſo iſt die komiſche Brechung vorhanden. Aber2
auch die zum bleibenden Zuſtande gewordene Verſenkung in ein Einzelnes, ſey
dies nun eine unter der Bedingung des richtigen Maßes berechtigte Befriedigung
des Geiſtes oder der Sinne, in welch letzterem Falle die Leidenſchaft Laſter
heißt, tritt nun auf als ein durch den komiſchen Bruch ſich zerſtörender Anſchein
von Erhabenheit, wenn der Widerſpruch der reinen Allgemeinheit des Willens
mit dem einzelnen Zwecke, in den ſie ſich legt, in der Thätigkeit ſelbſt vor die
Anſchauung tritt. Noch unmittelbarer ſtellt ſich der unſtete Wille als komiſch3
dar.

1. Der Zorn z. B. iſt erhaben durch ſeine ſtürmiſche Gewalt; er iſt
auch berechtigt, wenn er für einen wahrhaften Zweck durch Trägheit und
Ränke durchſchlägt. Allein Jähzorn ohne entſprechende Urſache iſt komiſch.
Allerdings wird dazu noch etwas gefordert, nämlich die Abweſenheit des
Furchtbaren. Aus allem Bisherigen erhellt, daß dies bewirkt wird durch
ein auffallendes Mißlingen. Es kann nicht vermieden werden, dieſe
negative Bedingung ſchon hier in der Darſtellung des erſten Glieds bald
anzudeuten, bald auszuſprechen; eigentlich aber iſt der Ort, ſie als
weſentlich hervorzuſtellen, in der Darſtellung des Gegenglieds.

2. Die Grillen, Schrullen, üblen Angewöhnungen, die eingewurzelten
Fehler, die Laſter treten hier auf. Sie haben ihren Grund zum Theil in
einem an ſich berechtigten geiſtigen Zwecke: die Neugierde im Wiſſenstrieb,
die Geſchwätzigkeit im Zwecke der geiſtigen Mittheilung, die Eitelkeit im
Selbſtgefühle, die Pedanterei im Ordnungstriebe, die Liebhabereien z. B.
des Sammlers, des Alterthümlers u. dgl. in der Wiſſenſchaft oder einer
andern an ſich wohlbegründeten Richtung, und alle dieſe Ausartungen ſind

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[365/0379] nur relativ ſind. Im Komiſchen aber verhält es ſich anders aus dem §. 156 genannten Grunde. Man denke z. B. an den Mann auf einem Bilde Hogarths, der eine hölzerne Dachrinne abſägt und ſich auf das Ende ſetzt, das abzuſägen iſt, und mit dem er auch, nachdem er durchgeſägt, herabfällt. §. 162. Wie leicht das Erhabene der Leidenſchaft dem Komiſchen verfällt, geht daraus hervor, daß bei dieſer Form von dem ſittlichen Gehalte noch ab- geſehen wird (vergl. §. 105). Es darf nur etwas eintreten, was ihr die Furcht- barkeit nimmt und zugleich ein Mißverhältniß zwiſchen der Gewalt der Erregung und ihrem Gegenſtande aufdeckt, ſo iſt die komiſche Brechung vorhanden. Aber auch die zum bleibenden Zuſtande gewordene Verſenkung in ein Einzelnes, ſey dies nun eine unter der Bedingung des richtigen Maßes berechtigte Befriedigung des Geiſtes oder der Sinne, in welch letzterem Falle die Leidenſchaft Laſter heißt, tritt nun auf als ein durch den komiſchen Bruch ſich zerſtörender Anſchein von Erhabenheit, wenn der Widerſpruch der reinen Allgemeinheit des Willens mit dem einzelnen Zwecke, in den ſie ſich legt, in der Thätigkeit ſelbſt vor die Anſchauung tritt. Noch unmittelbarer ſtellt ſich der unſtete Wille als komiſch dar. 1. Der Zorn z. B. iſt erhaben durch ſeine ſtürmiſche Gewalt; er iſt auch berechtigt, wenn er für einen wahrhaften Zweck durch Trägheit und Ränke durchſchlägt. Allein Jähzorn ohne entſprechende Urſache iſt komiſch. Allerdings wird dazu noch etwas gefordert, nämlich die Abweſenheit des Furchtbaren. Aus allem Bisherigen erhellt, daß dies bewirkt wird durch ein auffallendes Mißlingen. Es kann nicht vermieden werden, dieſe negative Bedingung ſchon hier in der Darſtellung des erſten Glieds bald anzudeuten, bald auszuſprechen; eigentlich aber iſt der Ort, ſie als weſentlich hervorzuſtellen, in der Darſtellung des Gegenglieds. 2. Die Grillen, Schrullen, üblen Angewöhnungen, die eingewurzelten Fehler, die Laſter treten hier auf. Sie haben ihren Grund zum Theil in einem an ſich berechtigten geiſtigen Zwecke: die Neugierde im Wiſſenstrieb, die Geſchwätzigkeit im Zwecke der geiſtigen Mittheilung, die Eitelkeit im Selbſtgefühle, die Pedanterei im Ordnungstriebe, die Liebhabereien z. B. des Sammlers, des Alterthümlers u. dgl. in der Wiſſenſchaft oder einer andern an ſich wohlbegründeten Richtung, und alle dieſe Ausartungen ſind

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/379>, abgerufen am 21.12.2024.