dem allgemeinen Gesetze des Schönen von selbst hervor, daß auch die Zerstörung alles Lebens selbst wieder im sinnlichen Bilde erscheinen muß (Leichnam, Sarg u. s. w.).
§. 87.
Das Schöne ist reine Form (§. 55). Die reine Form ist wesentlich1 zugleich ein, zwar im Abstracten nicht zu bestimmendes (§. 55, 3), für jede Sphäre des Lebens aber aus ihrer Qualität streng hervorgehendes und genau begrenztes Maß der Verhältnisse des Gebildes. Dieses Maß überschreitet das Erhabene, und zwar in's Unendliche, zugleich aber muß es gemäß der Bestim- mung seines Wesens als Widerspruch (§. 84) die Form oder das begrenzte Maß festhalten. Die Form als Grenze muß zugleich bleiben und in's Un- gewisse verschwimmen; das Erhabene ist in Einem geformt und formlos. Diese2 widersprechende Bestimmtheit stellt sich in der erhabenen Erscheinung entweder dadurch dar, daß sie in die Form theilweise einlenkt und theilweise von ihr so abweicht, daß der Schein einer unendlich fortfließenden Abweichung entsteht, oder so, daß die Form im Ganzen zwar festgehalten, aber so erweitert ist, daß die untergeordneten Einzeltheile verschwinden. Im letzteren Fall wäre der Gegenstand schön, wenn nicht der Abstand der Umgebung wäre. Ueberhaupt, da das Erhabene ein Verhältnißbegriff ist, so zieht es dadurch Vieles in seinen Kreis, was ohne den Abstand unter eine andere Kategorie fiele. In beiden Fällen aber ist der Gegenstand dunkel und Dunkel ist Merkmal aller Er- habenheit (Burke).
1. Schon Kant hat das Erhabene, wiewohl nicht streng, als ein Formloses bestimmt (a. a. O. §. 23): "das Schöne der Natur betrifft die Form des Gegenstands, die in der Begrenzung besteht; das Erhabene ist dagegen auch an einem formlosen Gegenstande zu finden, sofern Un- begrenztheit an ihm oder durch dessen Veranlassung vorgestellt und doch Totalität derselben hinzugedacht wird." Dieses "auch" hätte Kant weg- gelassen, wenn er die zwei Formen unterschieden hätte, auf die unser §. aufmerksam macht; er mochte z. B. an erhabene Statuen denken, welche doch die reine Grenze der menschlichen Proportion nicht verlassen. Weiße (Aesth. §. 22) hebt die Gestaltlosigkeit als wesentliche Bestimmung alles Erhabenen hervor und definirt sie als ein "Hinausgehen der endlichen Erscheinung über diejenigen Verhältnisse, innerhalb deren als besonderer und einzelner ihre eigenthümliche Schönheit beschlossen ist"; überhaupt
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dem allgemeinen Geſetze des Schönen von ſelbſt hervor, daß auch die Zerſtörung alles Lebens ſelbſt wieder im ſinnlichen Bilde erſcheinen muß (Leichnam, Sarg u. ſ. w.).
§. 87.
Das Schöne iſt reine Form (§. 55). Die reine Form iſt weſentlich1 zugleich ein, zwar im Abſtracten nicht zu beſtimmendes (§. 55, 3), für jede Sphäre des Lebens aber aus ihrer Qualität ſtreng hervorgehendes und genau begrenztes Maß der Verhältniſſe des Gebildes. Dieſes Maß überſchreitet das Erhabene, und zwar in’s Unendliche, zugleich aber muß es gemäß der Beſtim- mung ſeines Weſens als Widerſpruch (§. 84) die Form oder das begrenzte Maß feſthalten. Die Form als Grenze muß zugleich bleiben und in’s Un- gewiſſe verſchwimmen; das Erhabene iſt in Einem geformt und formlos. Dieſe2 widerſprechende Beſtimmtheit ſtellt ſich in der erhabenen Erſcheinung entweder dadurch dar, daß ſie in die Form theilweiſe einlenkt und theilweiſe von ihr ſo abweicht, daß der Schein einer unendlich fortfließenden Abweichung entſteht, oder ſo, daß die Form im Ganzen zwar feſtgehalten, aber ſo erweitert iſt, daß die untergeordneten Einzeltheile verſchwinden. Im letzteren Fall wäre der Gegenſtand ſchön, wenn nicht der Abſtand der Umgebung wäre. Ueberhaupt, da das Erhabene ein Verhältnißbegriff iſt, ſo zieht es dadurch Vieles in ſeinen Kreis, was ohne den Abſtand unter eine andere Kategorie fiele. In beiden Fällen aber iſt der Gegenſtand dunkel und Dunkel iſt Merkmal aller Er- habenheit (Burke).
1. Schon Kant hat das Erhabene, wiewohl nicht ſtreng, als ein Formloſes beſtimmt (a. a. O. §. 23): „das Schöne der Natur betrifft die Form des Gegenſtands, die in der Begrenzung beſteht; das Erhabene iſt dagegen auch an einem formloſen Gegenſtande zu finden, ſofern Un- begrenztheit an ihm oder durch deſſen Veranlaſſung vorgeſtellt und doch Totalität derſelben hinzugedacht wird.“ Dieſes „auch“ hätte Kant weg- gelaſſen, wenn er die zwei Formen unterſchieden hätte, auf die unſer §. aufmerkſam macht; er mochte z. B. an erhabene Statuen denken, welche doch die reine Grenze der menſchlichen Proportion nicht verlaſſen. Weiße (Aeſth. §. 22) hebt die Geſtaltloſigkeit als weſentliche Beſtimmung alles Erhabenen hervor und definirt ſie als ein „Hinausgehen der endlichen Erſcheinung über diejenigen Verhältniſſe, innerhalb deren als beſonderer und einzelner ihre eigenthümliche Schönheit beſchloſſen iſt“; überhaupt
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dem allgemeinen Geſetze des Schönen von ſelbſt hervor, daß auch die
Zerſtörung alles Lebens ſelbſt wieder im ſinnlichen Bilde erſcheinen muß
(Leichnam, Sarg u. ſ. w.).
§. 87.
Das Schöne iſt reine Form (§. 55). Die reine Form iſt weſentlich
zugleich ein, zwar im Abſtracten nicht zu beſtimmendes (§. 55, 3), für jede
Sphäre des Lebens aber aus ihrer Qualität ſtreng hervorgehendes und genau
begrenztes Maß der Verhältniſſe des Gebildes. Dieſes Maß überſchreitet das
Erhabene, und zwar in’s Unendliche, zugleich aber muß es gemäß der Beſtim-
mung ſeines Weſens als Widerſpruch (§. 84) die Form oder das begrenzte
Maß feſthalten. Die Form als Grenze muß zugleich bleiben und in’s Un-
gewiſſe verſchwimmen; das Erhabene iſt in Einem geformt und formlos. Dieſe
widerſprechende Beſtimmtheit ſtellt ſich in der erhabenen Erſcheinung entweder
dadurch dar, daß ſie in die Form theilweiſe einlenkt und theilweiſe von ihr ſo
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oder ſo, daß die Form im Ganzen zwar feſtgehalten, aber ſo erweitert iſt,
daß die untergeordneten Einzeltheile verſchwinden. Im letzteren Fall wäre der
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da das Erhabene ein Verhältnißbegriff iſt, ſo zieht es dadurch Vieles in ſeinen
Kreis, was ohne den Abſtand unter eine andere Kategorie fiele. In beiden
Fällen aber iſt der Gegenſtand dunkel und Dunkel iſt Merkmal aller Er-
habenheit (Burke).
1. Schon Kant hat das Erhabene, wiewohl nicht ſtreng, als ein
Formloſes beſtimmt (a. a. O. §. 23): „das Schöne der Natur betrifft
die Form des Gegenſtands, die in der Begrenzung beſteht; das Erhabene
iſt dagegen auch an einem formloſen Gegenſtande zu finden, ſofern Un-
begrenztheit an ihm oder durch deſſen Veranlaſſung vorgeſtellt und doch
Totalität derſelben hinzugedacht wird.“ Dieſes „auch“ hätte Kant weg-
gelaſſen, wenn er die zwei Formen unterſchieden hätte, auf die unſer §.
aufmerkſam macht; er mochte z. B. an erhabene Statuen denken, welche
doch die reine Grenze der menſchlichen Proportion nicht verlaſſen. Weiße
(Aeſth. §. 22) hebt die Geſtaltloſigkeit als weſentliche Beſtimmung alles
Erhabenen hervor und definirt ſie als ein „Hinausgehen der endlichen
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und einzelner ihre eigenthümliche Schönheit beſchloſſen iſt“; überhaupt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/241>, abgerufen am 30.12.2024.
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