die eben gesprochen hatte, antwortet die Königin: Frau von Guttenhofen! -- "Die Frau von Guttenhofen? fährt Frau Goethe lebhaft auf, die so grob war? Lassen Ihro Majestät ihr nun gleich befehlen, sie soll sich ihre Ärmel abschneiden!" In der größten Wuth sagte sie das. Die Herzogin freute sich dieses Ausfalls noch. Jetzt tragen alle Menschen lange weite Ärmel; alles ist verändert: mit dieser Bemerkung fing auch die Herzogin ihre Erzählung an: "Wie man noch so auf Kostüme hielt." Jetzt ist es besser. Jetzt halten viele Fürsten auf Besseres. --
Den 2. November 1822.
Das Wort "Geist der Zeit" möchte ich außer Umlauf setzen können; es verwirrt entsetzlich. "Die allgemeine Über- zeugung," möchte ich es nennen, was man im Guten damit zu bezeichnen denkt. Als man die vermeintlichen Hexen ver- brannte; das war der Geist der Zeit: die allgemeine Über- zeugung machte aber, daß dieser alberne Gräuel aufhörte. -- Und so herrschen diese beiden sehr verschiedenen Zustände oft noch neben einander, wenn auch die allgemeine Überzeugung den Geist der Zeit immer verdrängen muß.
Sonntag, den 3. November 1822.
Präsumption ist schon, wenn man in der Meinung oder Überzeugung, daß es einem gelingen würde, etwas unternimmt, welches Andern mißlungen ist. Demüthigkeit, wenn man trotz einer solchen Überzeugung, und wenn sie die evidenteste ist,
die eben geſprochen hatte, antwortet die Königin: Frau von Guttenhofen! — „Die Frau von Guttenhofen? fährt Frau Goethe lebhaft auf, die ſo grob war? Laſſen Ihro Majeſtät ihr nun gleich befehlen, ſie ſoll ſich ihre Ärmel abſchneiden!“ In der größten Wuth ſagte ſie das. Die Herzogin freute ſich dieſes Ausfalls noch. Jetzt tragen alle Menſchen lange weite Ärmel; alles iſt verändert: mit dieſer Bemerkung fing auch die Herzogin ihre Erzählung an: „Wie man noch ſo auf Koſtüme hielt.“ Jetzt iſt es beſſer. Jetzt halten viele Fürſten auf Beſſeres. —
Den 2. November 1822.
Das Wort „Geiſt der Zeit“ möchte ich außer Umlauf ſetzen können; es verwirrt entſetzlich. „Die allgemeine Über- zeugung,“ möchte ich es nennen, was man im Guten damit zu bezeichnen denkt. Als man die vermeintlichen Hexen ver- brannte; das war der Geiſt der Zeit: die allgemeine Über- zeugung machte aber, daß dieſer alberne Gräuel aufhörte. — Und ſo herrſchen dieſe beiden ſehr verſchiedenen Zuſtände oft noch neben einander, wenn auch die allgemeine Überzeugung den Geiſt der Zeit immer verdrängen muß.
Sonntag, den 3. November 1822.
Präſumption iſt ſchon, wenn man in der Meinung oder Überzeugung, daß es einem gelingen würde, etwas unternimmt, welches Andern mißlungen iſt. Demüthigkeit, wenn man trotz einer ſolchen Überzeugung, und wenn ſie die evidenteſte iſt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0080"n="72"/>
die eben geſprochen hatte, antwortet die Königin: Frau von<lb/>
Guttenhofen! —„Die Frau von Guttenhofen? fährt Frau<lb/>
Goethe lebhaft auf, die ſo grob war? Laſſen Ihro Majeſtät<lb/>
ihr nun gleich befehlen, ſie ſoll ſich <hirendition="#g">ihre</hi> Ärmel abſchneiden!“<lb/>
In der größten Wuth ſagte ſie das. Die Herzogin freute<lb/>ſich dieſes Ausfalls noch. Jetzt tragen alle Menſchen lange<lb/><hirendition="#g">weite</hi> Ärmel; alles iſt verändert: mit dieſer Bemerkung fing<lb/>
auch die Herzogin ihre Erzählung an: „Wie man noch ſo<lb/>
auf Koſtüme hielt.“ Jetzt iſt es beſſer. Jetzt halten viele<lb/>
Fürſten auf Beſſeres. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Den 2. November 1822.</hi></dateline><lb/><p>Das Wort „Geiſt der Zeit“ möchte ich außer Umlauf<lb/>ſetzen können; es verwirrt entſetzlich. „Die allgemeine Über-<lb/>
zeugung,“ möchte ich es nennen, was man im Guten damit<lb/>
zu bezeichnen denkt. Als man die vermeintlichen Hexen ver-<lb/>
brannte; das war der Geiſt der Zeit: die allgemeine Über-<lb/>
zeugung machte aber, daß dieſer alberne Gräuel aufhörte. —<lb/>
Und ſo herrſchen dieſe beiden ſehr verſchiedenen Zuſtände oft<lb/>
noch neben einander, wenn auch die allgemeine Überzeugung<lb/>
den Geiſt der Zeit immer verdrängen muß.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sonntag, den 3. November 1822.</hi></dateline><lb/><p>Präſumption iſt ſchon, wenn man in der Meinung oder<lb/>
Überzeugung, daß es einem gelingen würde, etwas unternimmt,<lb/>
welches Andern mißlungen iſt. Demüthigkeit, wenn man trotz<lb/>
einer ſolchen Überzeugung, und wenn ſie die evidenteſte iſt,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[72/0080]
die eben geſprochen hatte, antwortet die Königin: Frau von
Guttenhofen! — „Die Frau von Guttenhofen? fährt Frau
Goethe lebhaft auf, die ſo grob war? Laſſen Ihro Majeſtät
ihr nun gleich befehlen, ſie ſoll ſich ihre Ärmel abſchneiden!“
In der größten Wuth ſagte ſie das. Die Herzogin freute
ſich dieſes Ausfalls noch. Jetzt tragen alle Menſchen lange
weite Ärmel; alles iſt verändert: mit dieſer Bemerkung fing
auch die Herzogin ihre Erzählung an: „Wie man noch ſo
auf Koſtüme hielt.“ Jetzt iſt es beſſer. Jetzt halten viele
Fürſten auf Beſſeres. —
Den 2. November 1822.
Das Wort „Geiſt der Zeit“ möchte ich außer Umlauf
ſetzen können; es verwirrt entſetzlich. „Die allgemeine Über-
zeugung,“ möchte ich es nennen, was man im Guten damit
zu bezeichnen denkt. Als man die vermeintlichen Hexen ver-
brannte; das war der Geiſt der Zeit: die allgemeine Über-
zeugung machte aber, daß dieſer alberne Gräuel aufhörte. —
Und ſo herrſchen dieſe beiden ſehr verſchiedenen Zuſtände oft
noch neben einander, wenn auch die allgemeine Überzeugung
den Geiſt der Zeit immer verdrängen muß.
Sonntag, den 3. November 1822.
Präſumption iſt ſchon, wenn man in der Meinung oder
Überzeugung, daß es einem gelingen würde, etwas unternimmt,
welches Andern mißlungen iſt. Demüthigkeit, wenn man trotz
einer ſolchen Überzeugung, und wenn ſie die evidenteſte iſt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/80>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.