Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

die die größte Güte in uns legte; und unsere ahndende Ver-
nunft kann nur vermuthen, daß noch eine höhere erleuchten-
dere Aufgabe in uns aufgehen könne, als jetzt die unserer
größten Sittlichkeit. Dies ist kein Fall: sondern ein Stei-
gen; und nicht wir stimmen mit Gott, das können wir nicht;
er stimmt mit uns ein; er regiert uns, und wir müssen uns
darum frei und unabhängig glauben, -- mühen, und irren:
aber ohne weitere Mährchen ergeben sein. --




Wissen ist eine Vorrathskammer, ein Vorrath; Wissen
ist ein geistiges Haben. Durch Wissen ist man überzeugt:
Liebe ist Überzeugung. --



Richtig Eingesehenes und Ausgedrücktes in der Gegen-
wart, paßt zur Vergangenheit und Zukunft: und ist an die-
sem Zeichen sogar zu erkennen.




Was hier ich seh, getreu berichten,
Das hieße wahrlich dichten.


Gestern den 22. September 1822. einen Sonnabend Abend
in Töplitz erzählte uns Herzogin von Cumberland von Goe-
the's Haus in Frankfurt und von seiner Mutter, wie sie und
die Königin als junge Prinzessinnen dort gewohnt haben, sehr
einnehmend und mit einer ihr so gefälligen Erinnerung, als

die die größte Güte in uns legte; und unſere ahndende Ver-
nunft kann nur vermuthen, daß noch eine höhere erleuchten-
dere Aufgabe in uns aufgehen könne, als jetzt die unſerer
größten Sittlichkeit. Dies iſt kein Fall: ſondern ein Stei-
gen; und nicht wir ſtimmen mit Gott, das können wir nicht;
er ſtimmt mit uns ein; er regiert uns, und wir müſſen uns
darum frei und unabhängig glauben, — mühen, und irren:
aber ohne weitere Mährchen ergeben ſein. —




Wiſſen iſt eine Vorrathskammer, ein Vorrath; Wiſſen
iſt ein geiſtiges Haben. Durch Wiſſen iſt man überzeugt:
Liebe iſt Überzeugung. —



Richtig Eingeſehenes und Ausgedrücktes in der Gegen-
wart, paßt zur Vergangenheit und Zukunft: und iſt an die-
ſem Zeichen ſogar zu erkennen.




Was hier ich ſeh, getreu berichten,
Das hieße wahrlich dichten.


Geſtern den 22. September 1822. einen Sonnabend Abend
in Töplitz erzählte uns Herzogin von Cumberland von Goe-
the’s Haus in Frankfurt und von ſeiner Mutter, wie ſie und
die Königin als junge Prinzeſſinnen dort gewohnt haben, ſehr
einnehmend und mit einer ihr ſo gefälligen Erinnerung, als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0076" n="68"/>
die die größte Güte in uns legte; und un&#x017F;ere ahndende Ver-<lb/>
nunft kann nur vermuthen, daß noch eine höhere erleuchten-<lb/>
dere Aufgabe in uns aufgehen könne, als jetzt die un&#x017F;erer<lb/>
größten Sittlichkeit. Dies i&#x017F;t kein <hi rendition="#g">Fall</hi>: &#x017F;ondern ein Stei-<lb/>
gen; und nicht wir &#x017F;timmen mit Gott, das können wir nicht;<lb/>
er &#x017F;timmt mit uns ein; er regiert uns, und wir mü&#x017F;&#x017F;en uns<lb/>
darum frei und unabhängig glauben, &#x2014; mühen, und irren:<lb/>
aber ohne weitere <hi rendition="#g">Mährchen</hi> ergeben &#x017F;ein. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonnabend, den 18. Mai 1822.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Wi&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t eine Vorrathskammer, ein Vorrath; Wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t ein gei&#x017F;tiges Haben. Durch Wi&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t man überzeugt:<lb/>
Liebe i&#x017F;t Überzeugung. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Richtig Einge&#x017F;ehenes und Ausgedrücktes in der Gegen-<lb/>
wart, paßt zur Vergangenheit und Zukunft: und i&#x017F;t an die-<lb/>
&#x017F;em Zeichen &#x017F;ogar zu erkennen.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">In das Stammbuch zu Graupen in<lb/>
Böhmen, 1822.</hi> </dateline><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Was hier ich &#x017F;eh, getreu berichten,</l><lb/>
              <l>Das hieße wahrlich dichten.</l>
            </lg>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Ge&#x017F;tern den 22. September 1822. einen Sonnabend Abend<lb/>
in Töplitz erzählte uns Herzogin von Cumberland von Goe-<lb/>
the&#x2019;s Haus in Frankfurt und von &#x017F;einer Mutter, wie &#x017F;ie und<lb/>
die Königin als junge Prinze&#x017F;&#x017F;innen dort gewohnt haben, &#x017F;ehr<lb/>
einnehmend und mit einer ihr &#x017F;o gefälligen Erinnerung, als<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0076] die die größte Güte in uns legte; und unſere ahndende Ver- nunft kann nur vermuthen, daß noch eine höhere erleuchten- dere Aufgabe in uns aufgehen könne, als jetzt die unſerer größten Sittlichkeit. Dies iſt kein Fall: ſondern ein Stei- gen; und nicht wir ſtimmen mit Gott, das können wir nicht; er ſtimmt mit uns ein; er regiert uns, und wir müſſen uns darum frei und unabhängig glauben, — mühen, und irren: aber ohne weitere Mährchen ergeben ſein. — Sonnabend, den 18. Mai 1822. Wiſſen iſt eine Vorrathskammer, ein Vorrath; Wiſſen iſt ein geiſtiges Haben. Durch Wiſſen iſt man überzeugt: Liebe iſt Überzeugung. — Richtig Eingeſehenes und Ausgedrücktes in der Gegen- wart, paßt zur Vergangenheit und Zukunft: und iſt an die- ſem Zeichen ſogar zu erkennen. In das Stammbuch zu Graupen in Böhmen, 1822. Was hier ich ſeh, getreu berichten, Das hieße wahrlich dichten. Geſtern den 22. September 1822. einen Sonnabend Abend in Töplitz erzählte uns Herzogin von Cumberland von Goe- the’s Haus in Frankfurt und von ſeiner Mutter, wie ſie und die Königin als junge Prinzeſſinnen dort gewohnt haben, ſehr einnehmend und mit einer ihr ſo gefälligen Erinnerung, als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/76
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/76>, abgerufen am 22.12.2024.