Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

am besten gehaßt). Also wir drei, du, Rike und ich, umar-
men uns hier. Im Brief. Und du bist so gut, und schickst
mir mit der fahrenden Post den Brief, den ich dir über den
jungen Stael schrieb.

Varnhagen, grüßt. Wie überrascht' ich ihn mit dem
Heft. Adieu.




-- Eifersucht ist Beschämung; darum ist es eine einsame
Leidenschaft -- wie Sie sagen; -- Beschämung, die Rech-
nung ohne den Wirth gemacht zu haben; das fühlt jeder.
Unsre Wünsche, unsre Neigung brachten wir in Anschlag,
nicht die des Andern. Uns lieben wir, den Andern wünschen
wir; darum fühlen wir uns allein. Dies ist sie rein, die Ei-
fersucht. Nun kann noch Neid, und hundertfältige Lebens-
und Geselligkeits-Elemente sich hinein schleichen und mischen;
bei jedem Fall anders. Aber der unselige Mann fühlt sie
wie das unselige Weib: nämlich, den eigentlichen Inbegriff
davon; der Edelste fühlt diese Scham am heftigsten, aber er
allein nur vermag sie in sich auszumerzen, wenn er sich seinen
Irrthum ganz eingesteht. Sollten hier Männer und Weiber
verschieden sein können? Verschiedene Denkfähigkeiten, Kräfte,
Herzen, Schmerzen haben? --




Ich glaube, es giebt nur sehr wenig Menschen, die, wenn
sie empfinden, die große und elegante Welt nur für das an-
zusehen wissen, was sie ist. Gewöhnlich streiten sie sich die-

am beſten gehaßt). Alſo wir drei, du, Rike und ich, umar-
men uns hier. Im Brief. Und du biſt ſo gut, und ſchickſt
mir mit der fahrenden Poſt den Brief, den ich dir über den
jungen Staël ſchrieb.

Varnhagen, grüßt. Wie überraſcht’ ich ihn mit dem
Heft. Adieu.




— Eiferſucht iſt Beſchämung; darum iſt es eine einſame
Leidenſchaft — wie Sie ſagen; — Beſchämung, die Rech-
nung ohne den Wirth gemacht zu haben; das fühlt jeder.
Unſre Wünſche, unſre Neigung brachten wir in Anſchlag,
nicht die des Andern. Uns lieben wir, den Andern wünſchen
wir; darum fühlen wir uns allein. Dies iſt ſie rein, die Ei-
ferſucht. Nun kann noch Neid, und hundertfältige Lebens-
und Geſelligkeits-Elemente ſich hinein ſchleichen und miſchen;
bei jedem Fall anders. Aber der unſelige Mann fühlt ſie
wie das unſelige Weib: nämlich, den eigentlichen Inbegriff
davon; der Edelſte fühlt dieſe Scham am heftigſten, aber er
allein nur vermag ſie in ſich auszumerzen, wenn er ſich ſeinen
Irrthum ganz eingeſteht. Sollten hier Männer und Weiber
verſchieden ſein können? Verſchiedene Denkfähigkeiten, Kräfte,
Herzen, Schmerzen haben? —




Ich glaube, es giebt nur ſehr wenig Menſchen, die, wenn
ſie empfinden, die große und elegante Welt nur für das an-
zuſehen wiſſen, was ſie iſt. Gewöhnlich ſtreiten ſie ſich die-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0071" n="63"/>
am be&#x017F;ten gehaßt). Al&#x017F;o wir drei, du, Rike und ich, umar-<lb/>
men uns hier. Im Brief. Und du bi&#x017F;t &#x017F;o gut, und &#x017F;chick&#x017F;t<lb/>
mir mit der fahrenden Po&#x017F;t den Brief, den ich dir über den<lb/>
jungen Sta<hi rendition="#aq">ë</hi>l &#x017F;chrieb.</p><lb/>
            <p>Varnhagen, grüßt. Wie überra&#x017F;cht&#x2019; ich ihn mit dem<lb/>
Heft. Adieu.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonnabend, den 16. März 1822.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; Eifer&#x017F;ucht i&#x017F;t Be&#x017F;chämung; darum i&#x017F;t es eine ein&#x017F;ame<lb/>
Leiden&#x017F;chaft &#x2014; wie Sie &#x017F;agen; &#x2014; Be&#x017F;chämung, die Rech-<lb/>
nung ohne den Wirth gemacht zu haben; das fühlt jeder.<lb/><hi rendition="#g">Un&#x017F;re</hi> Wün&#x017F;che, <hi rendition="#g">un&#x017F;re</hi> Neigung brachten wir in An&#x017F;chlag,<lb/>
nicht die des Andern. Uns lieben wir, den Andern wün&#x017F;chen<lb/>
wir; darum fühlen wir uns allein. Dies i&#x017F;t &#x017F;ie rein, die Ei-<lb/>
fer&#x017F;ucht. Nun kann noch Neid, und hundertfältige Lebens-<lb/>
und Ge&#x017F;elligkeits-Elemente &#x017F;ich hinein &#x017F;chleichen und mi&#x017F;chen;<lb/>
bei jedem Fall anders. Aber der un&#x017F;elige Mann fühlt &#x017F;ie<lb/>
wie das un&#x017F;elige Weib: nämlich, den eigentlichen Inbegriff<lb/>
davon; der Edel&#x017F;te fühlt die&#x017F;e Scham am heftig&#x017F;ten, aber er<lb/>
allein nur vermag &#x017F;ie in &#x017F;ich auszumerzen, wenn er &#x017F;ich &#x017F;einen<lb/>
Irrthum ganz einge&#x017F;teht. Sollten hier Männer und Weiber<lb/>
ver&#x017F;chieden &#x017F;ein können? Ver&#x017F;chiedene Denkfähigkeiten, Kräfte,<lb/>
Herzen, Schmerzen haben? &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Freitag Abend, den 5. April 1822.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Ich glaube, es giebt nur &#x017F;ehr wenig Men&#x017F;chen, die, wenn<lb/>
&#x017F;ie empfinden, die große und elegante Welt nur für das an-<lb/>
zu&#x017F;ehen wi&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie i&#x017F;t. Gewöhnlich &#x017F;treiten &#x017F;ie &#x017F;ich die-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0071] am beſten gehaßt). Alſo wir drei, du, Rike und ich, umar- men uns hier. Im Brief. Und du biſt ſo gut, und ſchickſt mir mit der fahrenden Poſt den Brief, den ich dir über den jungen Staël ſchrieb. Varnhagen, grüßt. Wie überraſcht’ ich ihn mit dem Heft. Adieu. Sonnabend, den 16. März 1822. — Eiferſucht iſt Beſchämung; darum iſt es eine einſame Leidenſchaft — wie Sie ſagen; — Beſchämung, die Rech- nung ohne den Wirth gemacht zu haben; das fühlt jeder. Unſre Wünſche, unſre Neigung brachten wir in Anſchlag, nicht die des Andern. Uns lieben wir, den Andern wünſchen wir; darum fühlen wir uns allein. Dies iſt ſie rein, die Ei- ferſucht. Nun kann noch Neid, und hundertfältige Lebens- und Geſelligkeits-Elemente ſich hinein ſchleichen und miſchen; bei jedem Fall anders. Aber der unſelige Mann fühlt ſie wie das unſelige Weib: nämlich, den eigentlichen Inbegriff davon; der Edelſte fühlt dieſe Scham am heftigſten, aber er allein nur vermag ſie in ſich auszumerzen, wenn er ſich ſeinen Irrthum ganz eingeſteht. Sollten hier Männer und Weiber verſchieden ſein können? Verſchiedene Denkfähigkeiten, Kräfte, Herzen, Schmerzen haben? — Freitag Abend, den 5. April 1822. Ich glaube, es giebt nur ſehr wenig Menſchen, die, wenn ſie empfinden, die große und elegante Welt nur für das an- zuſehen wiſſen, was ſie iſt. Gewöhnlich ſtreiten ſie ſich die-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/71
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/71>, abgerufen am 20.11.2024.