Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Gentz, in Wien.


Schon nicht einmal auf ein Billet können Sie antwor-
ten
, nicht einmal auf eines, welches mich krank meldet!
N'importe; hier ist die Antwort, die Sie verlangen. -- Frau
von H. war lange Jahre leidend, und immer leidender, --
weil die Lebensplagen -- mes dragons nennt dies Madame
de Sevigne -- ihr nicht aufhalfen: und aufgeholfen muß
man nach dreißig werden. Sie war auf falschen Boden ge-
bracht; den alle ihre Kräfte nicht zum richtigen wandlen
konnten: und ein ewiges Arbeiten daran; und an sich selbst,
dies in Tugend recht und gut finden zu wollen; auch littera-
risches Arbeiten; hiezu das Abfallen aller Freude und Schutz
bringenden Blätter des Lebensbaumes, bei zunehmenden Ta-
gen! -- -- noch immer Hoffnungsirritation, aber wenigster
Trost. Sie war geehrt, und hatte viele Freunde. Acht Wo-
chen vor ihrem Tode etwa, habe ich sie noch, unter den Lin-
den, im Saldernschen Hause, in einer Prachtwohnung, die sie
eben eingenommen hatte, besucht. Sie sprach viel und heftig,
und ordnete viel an; wir hatten uns der Cholera wegen nicht
gesehen; wir schrieben uns; dann wurden wir beide kränker;
ich schickte ihr Spargel, Ananas, Blumen; und was sonst
man sich nicht selbst kauft: hauptsächlich als Liebeszeichen;
was sie nöthig hatte. Zehn Tage vor ihrem Tode erhielt ich
ein Billet, von dem ich wußte, es sei das letzte. Dies Wort
und Tod kam nicht darin vor. Ich hatte ihr Vertrauen über

An Gentz, in Wien.


Schon nicht einmal auf ein Billet können Sie antwor-
ten
, nicht einmal auf eines, welches mich krank meldet!
N’importe; hier iſt die Antwort, die Sie verlangen. — Frau
von H. war lange Jahre leidend, und immer leidender, —
weil die Lebensplagen — mes dragons nennt dies Madame
de Sevigné — ihr nicht aufhalfen: und aufgeholfen muß
man nach dreißig werden. Sie war auf falſchen Boden ge-
bracht; den alle ihre Kräfte nicht zum richtigen wandlen
konnten: und ein ewiges Arbeiten daran; und an ſich ſelbſt,
dies in Tugend recht und gut finden zu wollen; auch littera-
riſches Arbeiten; hiezu das Abfallen aller Freude und Schutz
bringenden Blätter des Lebensbaumes, bei zunehmenden Ta-
gen! — — noch immer Hoffnungsirritation, aber wenigſter
Troſt. Sie war geehrt, und hatte viele Freunde. Acht Wo-
chen vor ihrem Tode etwa, habe ich ſie noch, unter den Lin-
den, im Saldernſchen Hauſe, in einer Prachtwohnung, die ſie
eben eingenommen hatte, beſucht. Sie ſprach viel und heftig,
und ordnete viel an; wir hatten uns der Cholera wegen nicht
geſehen; wir ſchrieben uns; dann wurden wir beide kränker;
ich ſchickte ihr Spargel, Ananas, Blumen; und was ſonſt
man ſich nicht ſelbſt kauft: hauptſächlich als Liebeszeichen;
was ſie nöthig hatte. Zehn Tage vor ihrem Tode erhielt ich
ein Billet, von dem ich wußte, es ſei das letzte. Dies Wort
und Tod kam nicht darin vor. Ich hatte ihr Vertrauen über

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0556" n="548"/>
        <div n="2">
          <head>An Gentz, in Wien.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, den 6. Januar 1832. Graues Wetter.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Schon nicht einmal auf ein Billet können Sie <hi rendition="#g">antwor-<lb/>
ten</hi>, nicht einmal auf eines, welches mich krank meldet!<lb/><hi rendition="#aq">N&#x2019;importe;</hi> hier i&#x017F;t die Antwort, die Sie verlangen. &#x2014; Frau<lb/>
von H. war lange Jahre leidend, und immer leidender, &#x2014;<lb/>
weil die Lebensplagen &#x2014; <hi rendition="#aq">mes dragons</hi> nennt dies Madame<lb/>
de Sevign<hi rendition="#aq">é</hi> &#x2014; ihr nicht aufhalfen: und aufgeholfen muß<lb/>
man nach dreißig werden. Sie war auf fal&#x017F;chen Boden ge-<lb/>
bracht; den alle <hi rendition="#g">ihre</hi> Kräfte nicht zum richtigen wandlen<lb/>
konnten: und ein ewiges Arbeiten daran; und an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
dies in Tugend recht und gut finden zu wollen; auch littera-<lb/>
ri&#x017F;ches Arbeiten; hiezu das Abfallen aller Freude und Schutz<lb/>
bringenden Blätter des Lebensbaumes, bei zunehmenden Ta-<lb/>
gen! &#x2014; &#x2014; noch immer Hoffnungsirritation, aber wenig&#x017F;ter<lb/>
Tro&#x017F;t. Sie war geehrt, und hatte viele Freunde. Acht Wo-<lb/>
chen vor ihrem Tode etwa, habe ich &#x017F;ie noch, unter den Lin-<lb/>
den, im Saldern&#x017F;chen Hau&#x017F;e, in einer Prachtwohnung, die &#x017F;ie<lb/>
eben eingenommen hatte, be&#x017F;ucht. Sie &#x017F;prach viel und heftig,<lb/>
und ordnete viel an; wir hatten uns der Cholera wegen nicht<lb/>
ge&#x017F;ehen; wir &#x017F;chrieben uns; dann wurden wir beide kränker;<lb/>
ich &#x017F;chickte ihr Spargel, Ananas, Blumen; und was &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
man &#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t kauft: haupt&#x017F;ächlich als Liebeszeichen;<lb/>
was &#x017F;ie nöthig hatte. Zehn Tage vor ihrem Tode erhielt ich<lb/>
ein Billet, von dem ich wußte, es &#x017F;ei das letzte. Dies Wort<lb/>
und Tod kam nicht darin vor. Ich hatte ihr Vertrauen über<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[548/0556] An Gentz, in Wien. Freitag, den 6. Januar 1832. Graues Wetter. Schon nicht einmal auf ein Billet können Sie antwor- ten, nicht einmal auf eines, welches mich krank meldet! N’importe; hier iſt die Antwort, die Sie verlangen. — Frau von H. war lange Jahre leidend, und immer leidender, — weil die Lebensplagen — mes dragons nennt dies Madame de Sevigné — ihr nicht aufhalfen: und aufgeholfen muß man nach dreißig werden. Sie war auf falſchen Boden ge- bracht; den alle ihre Kräfte nicht zum richtigen wandlen konnten: und ein ewiges Arbeiten daran; und an ſich ſelbſt, dies in Tugend recht und gut finden zu wollen; auch littera- riſches Arbeiten; hiezu das Abfallen aller Freude und Schutz bringenden Blätter des Lebensbaumes, bei zunehmenden Ta- gen! — — noch immer Hoffnungsirritation, aber wenigſter Troſt. Sie war geehrt, und hatte viele Freunde. Acht Wo- chen vor ihrem Tode etwa, habe ich ſie noch, unter den Lin- den, im Saldernſchen Hauſe, in einer Prachtwohnung, die ſie eben eingenommen hatte, beſucht. Sie ſprach viel und heftig, und ordnete viel an; wir hatten uns der Cholera wegen nicht geſehen; wir ſchrieben uns; dann wurden wir beide kränker; ich ſchickte ihr Spargel, Ananas, Blumen; und was ſonſt man ſich nicht ſelbſt kauft: hauptſächlich als Liebeszeichen; was ſie nöthig hatte. Zehn Tage vor ihrem Tode erhielt ich ein Billet, von dem ich wußte, es ſei das letzte. Dies Wort und Tod kam nicht darin vor. Ich hatte ihr Vertrauen über

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/556
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/556>, abgerufen am 20.11.2024.