Irrthum mag ich nicht mit dem Besten, was ich habe, die- nen: weder aus Trotz, noch heuchlender Scham; sei es meine eigene -- wenn ich schweige -- oder Ihre, wenn Sie weg- bleiben. Schl. kann mich nicht ersetzen: eben so toll wäre es, wenn ich ihn zu ersetzen vermeinte: Können Sie zwei solche Freunde nicht ertragen? Lassen Sie sich von ihm be- leben! anfachen, bezaubern, erhöhen, stärken, ergänzen! Glück auf! für beide: dazu hat der Mensch Sprache, Mittheilung: das ist der Musterumgang. Der, den wir Alle, unter den hideusesten Masken sogar, suchen; nach dem alle Kreaturen schmachten; mit dunklerem, oder hellerem Bewußtsein; der, den ich Allen bereiten möchte, und Freunden -- in meiner Schwäche noch -- am meisten gönne: schwelgen Sie in die- sem Glück, in diesem Fund: aber lassen Sie sich nicht über- wältigen; nicht vernichten; entäußern Sie sich Ihres Ur- theils nicht. Wenn Sie thun, wie Sie mir schreiben: so machen Sie sich gewissermaßen somnambül, und kennen nicht mehr Ihren Besitz; sind wie krankhaft auf einer Weide, die Ihnen schmeckte. Fragen Sie den Freund selbst, ob er nur so zu wirken wünscht; oder an höhere Aufnahmfähigkeit nicht auch höhere Ansprüche haben muß, und hat.
Sommer, 1831.
-- So lieb' ich von Staatsgeschäften reden zu hören, wie Hr. von Henning sprach, und ich es zufällig mit anhörte. Ich dachte gleich an den wackern Holländer, der mir vor vie- len Jahren einmal so gut gefiel, weil er, nach vielen Phrasen der Andern über damals beliebte Streitpunkte, so die Ver-
33 *
Irrthum mag ich nicht mit dem Beſten, was ich habe, die- nen: weder aus Trotz, noch heuchlender Scham; ſei es meine eigene — wenn ich ſchweige — oder Ihre, wenn Sie weg- bleiben. Schl. kann mich nicht erſetzen: eben ſo toll wäre es, wenn ich ihn zu erſetzen vermeinte: Können Sie zwei ſolche Freunde nicht ertragen? Laſſen Sie ſich von ihm be- leben! anfachen, bezaubern, erhöhen, ſtärken, ergänzen! Glück auf! für beide: dazu hat der Menſch Sprache, Mittheilung: das iſt der Muſterumgang. Der, den wir Alle, unter den hideuſeſten Masken ſogar, ſuchen; nach dem alle Kreaturen ſchmachten; mit dunklerem, oder hellerem Bewußtſein; der, den ich Allen bereiten möchte, und Freunden — in meiner Schwäche noch — am meiſten gönne: ſchwelgen Sie in die- ſem Glück, in dieſem Fund: aber laſſen Sie ſich nicht über- wältigen; nicht vernichten; entäußern Sie ſich Ihres Ur- theils nicht. Wenn Sie thun, wie Sie mir ſchreiben: ſo machen Sie ſich gewiſſermaßen ſomnambül, und kennen nicht mehr Ihren Beſitz; ſind wie krankhaft auf einer Weide, die Ihnen ſchmeckte. Fragen Sie den Freund ſelbſt, ob er nur ſo zu wirken wünſcht; oder an höhere Aufnahmfähigkeit nicht auch höhere Anſprüche haben muß, und hat.
Sommer, 1831.
— So lieb’ ich von Staatsgeſchäften reden zu hören, wie Hr. von Henning ſprach, und ich es zufällig mit anhörte. Ich dachte gleich an den wackern Holländer, der mir vor vie- len Jahren einmal ſo gut gefiel, weil er, nach vielen Phraſen der Andern über damals beliebte Streitpunkte, ſo die Ver-
33 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0523"n="515"/>
Irrthum mag ich nicht mit dem Beſten, was ich habe, die-<lb/>
nen: weder aus Trotz, noch heuchlender Scham; ſei es meine<lb/>
eigene — wenn ich ſchweige — oder Ihre, wenn Sie weg-<lb/><hirendition="#g">bleiben</hi>. Schl. kann mich nicht erſetzen: eben ſo toll wäre<lb/>
es, wenn ich ihn zu erſetzen vermeinte: Können Sie zwei<lb/>ſolche Freunde nicht ertragen? Laſſen Sie ſich von ihm be-<lb/>
leben! anfachen, bezaubern, erhöhen, ſtärken, ergänzen! Glück<lb/>
auf! für beide: dazu hat der Menſch Sprache, Mittheilung:<lb/>
das iſt der Muſterumgang. Der, den wir Alle, unter den<lb/>
hideuſeſten Masken ſogar, ſuchen; nach dem alle Kreaturen<lb/>ſchmachten; mit dunklerem, oder hellerem Bewußtſein; der,<lb/>
den ich Allen bereiten möchte, und Freunden — in meiner<lb/>
Schwäche noch — am meiſten gönne: ſchwelgen Sie in die-<lb/>ſem Glück, in dieſem Fund: aber laſſen Sie ſich nicht über-<lb/>
wältigen; nicht vernichten; entäußern Sie ſich Ihres <hirendition="#g">Ur-<lb/>
theils</hi> nicht. Wenn Sie thun, wie Sie mir ſchreiben: ſo<lb/>
machen Sie ſich gewiſſermaßen ſomnambül, und kennen nicht<lb/>
mehr Ihren Beſitz; ſind wie krankhaft auf einer Weide, die<lb/>
Ihnen ſchmeckte. Fragen Sie den Freund ſelbſt, ob er nur<lb/>ſo zu wirken wünſcht; oder an höhere Aufnahmfähigkeit nicht<lb/>
auch höhere Anſprüche haben muß, und hat.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sommer, 1831.</hi></dateline><lb/><p>— So lieb’ ich von Staatsgeſchäften reden zu hören,<lb/>
wie Hr. von Henning ſprach, und ich es zufällig mit anhörte.<lb/>
Ich dachte gleich an den wackern Holländer, der mir vor vie-<lb/>
len Jahren einmal ſo gut gefiel, weil er, nach vielen Phraſen<lb/>
der Andern über damals beliebte Streitpunkte, ſo die Ver-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">33 *</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[515/0523]
Irrthum mag ich nicht mit dem Beſten, was ich habe, die-
nen: weder aus Trotz, noch heuchlender Scham; ſei es meine
eigene — wenn ich ſchweige — oder Ihre, wenn Sie weg-
bleiben. Schl. kann mich nicht erſetzen: eben ſo toll wäre
es, wenn ich ihn zu erſetzen vermeinte: Können Sie zwei
ſolche Freunde nicht ertragen? Laſſen Sie ſich von ihm be-
leben! anfachen, bezaubern, erhöhen, ſtärken, ergänzen! Glück
auf! für beide: dazu hat der Menſch Sprache, Mittheilung:
das iſt der Muſterumgang. Der, den wir Alle, unter den
hideuſeſten Masken ſogar, ſuchen; nach dem alle Kreaturen
ſchmachten; mit dunklerem, oder hellerem Bewußtſein; der,
den ich Allen bereiten möchte, und Freunden — in meiner
Schwäche noch — am meiſten gönne: ſchwelgen Sie in die-
ſem Glück, in dieſem Fund: aber laſſen Sie ſich nicht über-
wältigen; nicht vernichten; entäußern Sie ſich Ihres Ur-
theils nicht. Wenn Sie thun, wie Sie mir ſchreiben: ſo
machen Sie ſich gewiſſermaßen ſomnambül, und kennen nicht
mehr Ihren Beſitz; ſind wie krankhaft auf einer Weide, die
Ihnen ſchmeckte. Fragen Sie den Freund ſelbſt, ob er nur
ſo zu wirken wünſcht; oder an höhere Aufnahmfähigkeit nicht
auch höhere Anſprüche haben muß, und hat.
Sommer, 1831.
— So lieb’ ich von Staatsgeſchäften reden zu hören,
wie Hr. von Henning ſprach, und ich es zufällig mit anhörte.
Ich dachte gleich an den wackern Holländer, der mir vor vie-
len Jahren einmal ſo gut gefiel, weil er, nach vielen Phraſen
der Andern über damals beliebte Streitpunkte, ſo die Ver-
33 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/523>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.