Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

schöpfe, Wesen, leiden gewiß noch mehr, vermissen mehr; und
müssen ihr Glück immer mehr selbst machen. Ja ich kann
mir Regionen denken, wo die Wesen nur Andrer Glück be-
reiten und Unglück abwenden. Ist es nicht hier schon so?
Das reinste geht in etwas über, was für uns Nichts wird.
Daher in allen Philosophieen der Punkt, den die unphiloso-
phischen, nicht denkfähigen Menschen so leicht lächerlich finden.
Leicht ist dies allerdings; aber nicht so, den Philosophen bis
dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies
Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu ist kein Instrument
im Kopf vorhanden.




(Mündlich.)

"Ich habe mir nun auch eine Grabschrift erdacht. Sie
soll heißen:

Gute Menschen, wenn etwas Gutes für die Mensch-
heit geschieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch
meiner." --




Eine groß-bedenkliche Geschichtsansicht habe ich heute
Gelegenheit gehabt mir vorzustellen; -- als ich in Familien-
angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä-
gen hatte.

Als Christus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge-
halten wurde, waren seine Ankläger und Verfolger die Herr-
schenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem siegenden großen

III. 32

ſchöpfe, Weſen, leiden gewiß noch mehr, vermiſſen mehr; und
müſſen ihr Glück immer mehr ſelbſt machen. Ja ich kann
mir Regionen denken, wo die Weſen nur Andrer Glück be-
reiten und Unglück abwenden. Iſt es nicht hier ſchon ſo?
Das reinſte geht in etwas über, was für uns Nichts wird.
Daher in allen Philoſophieen der Punkt, den die unphiloſo-
phiſchen, nicht denkfähigen Menſchen ſo leicht lächerlich finden.
Leicht iſt dies allerdings; aber nicht ſo, den Philoſophen bis
dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies
Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu iſt kein Inſtrument
im Kopf vorhanden.




(Mündlich.)

„Ich habe mir nun auch eine Grabſchrift erdacht. Sie
ſoll heißen:

Gute Menſchen, wenn etwas Gutes für die Menſch-
heit geſchieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch
meiner.“ —




Eine groß-bedenkliche Geſchichtsanſicht habe ich heute
Gelegenheit gehabt mir vorzuſtellen; — als ich in Familien-
angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä-
gen hatte.

Als Chriſtus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge-
halten wurde, waren ſeine Ankläger und Verfolger die Herr-
ſchenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem ſiegenden großen

III. 32
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0505" n="497"/>
&#x017F;chöpfe, We&#x017F;en, leiden gewiß noch mehr, vermi&#x017F;&#x017F;en mehr; und<lb/>&#x017F;&#x017F;en ihr Glück immer mehr &#x017F;elb&#x017F;t machen. Ja ich kann<lb/>
mir Regionen denken, wo die We&#x017F;en nur Andrer Glück be-<lb/>
reiten und Unglück abwenden. I&#x017F;t es nicht hier &#x017F;chon &#x017F;o?<lb/>
Das rein&#x017F;te geht in etwas über, was für uns <hi rendition="#g">Nichts</hi> wird.<lb/>
Daher in allen Philo&#x017F;ophieen der Punkt, den die unphilo&#x017F;o-<lb/>
phi&#x017F;chen, nicht denkfähigen Men&#x017F;chen &#x017F;o leicht lächerlich finden.<lb/>
Leicht i&#x017F;t dies allerdings; aber nicht &#x017F;o, den Philo&#x017F;ophen bis<lb/>
dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies<lb/>
Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu i&#x017F;t kein In&#x017F;trument<lb/>
im Kopf vorhanden.</p><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonntag. Er&#x017F;ter O&#x017F;tertag, den 3. April 1831.</hi> </dateline>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p> <hi rendition="#c">(<hi rendition="#g">Mündlich</hi>.)</hi> </p><lb/>
            <p>&#x201E;Ich habe mir nun auch eine Grab&#x017F;chrift erdacht. Sie<lb/>
&#x017F;oll heißen:</p><lb/>
            <p>Gute Men&#x017F;chen, wenn etwas Gutes für die Men&#x017F;ch-<lb/>
heit ge&#x017F;chieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch<lb/>
meiner.&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et">April, 1831.</hi> </dateline>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Eine groß-bedenkliche Ge&#x017F;chichtsan&#x017F;icht habe ich heute<lb/>
Gelegenheit gehabt mir vorzu&#x017F;tellen; &#x2014; als ich in Familien-<lb/>
angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä-<lb/>
gen hatte.</p><lb/>
            <p>Als Chri&#x017F;tus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge-<lb/>
halten wurde, waren &#x017F;eine Ankläger und Verfolger die Herr-<lb/>
&#x017F;chenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem &#x017F;iegenden großen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III.</hi> 32</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[497/0505] ſchöpfe, Weſen, leiden gewiß noch mehr, vermiſſen mehr; und müſſen ihr Glück immer mehr ſelbſt machen. Ja ich kann mir Regionen denken, wo die Weſen nur Andrer Glück be- reiten und Unglück abwenden. Iſt es nicht hier ſchon ſo? Das reinſte geht in etwas über, was für uns Nichts wird. Daher in allen Philoſophieen der Punkt, den die unphiloſo- phiſchen, nicht denkfähigen Menſchen ſo leicht lächerlich finden. Leicht iſt dies allerdings; aber nicht ſo, den Philoſophen bis dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu iſt kein Inſtrument im Kopf vorhanden. Sonntag. Erſter Oſtertag, den 3. April 1831. (Mündlich.) „Ich habe mir nun auch eine Grabſchrift erdacht. Sie ſoll heißen: Gute Menſchen, wenn etwas Gutes für die Menſch- heit geſchieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch meiner.“ — April, 1831. Eine groß-bedenkliche Geſchichtsanſicht habe ich heute Gelegenheit gehabt mir vorzuſtellen; — als ich in Familien- angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä- gen hatte. Als Chriſtus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge- halten wurde, waren ſeine Ankläger und Verfolger die Herr- ſchenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem ſiegenden großen III. 32

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/505
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/505>, abgerufen am 20.11.2024.