Ich will doch nicht deinen ganzen Geburtstags-Monat dahin gehn lassen, liebe Schwester, ohne dir herzlichst zu gru- tuliren! und das mit vollem Recht. Das vollste dazu haben wir ja wohl, da ich erfahre, daß du dich komplet verjüngt hast; im Aussehen, humeur, und Gesundheit. Fahre so fort, liebe Rose! und laß mich dann und wann erfahren, daß du vergnügt bist und dich amüsirst. Dies soll mir ein Ergötzen sein; welches mir öfters mangelt. Eben jetzt, war ich in sechs dicken Wochen nicht aus, und gewiß über vierzehn Tage zu Bette, mit wenigen Stunden Ausnahme auf dem Sopha. Solchen Ausschnaube Schnupfen hatte ich zu leiden; mit Ner- venleiden aller Art. Ohne lesen zu können: ohne Gesellschaft ertragen zu können, die dann auch nicht kam; und zum er- stenmal empfand ich gemeine Langeweile: und hatte mit den gemeinsten Gedanken zu kämpfen. Ein mir fremder, er- stickender Zustand, da mich Krankheit, in Herz und Geist bis jetzt steigerte. -- Varnh. liegt noch seit dem 1. Januar, ein Zimmer zwischen uns, an einem zur Furcht anzuhörenden Husten eben so darnieder. Mahle dir das aus: und wo ich fehle, alles fehlt. Eigentlich dauert meine Konvaleszenz vom vorigen Jahr noch -- gestört, aus tausend Winklen (!) -- fort. Jedoch bin ich seit acht Tagen wieder heiterer: meine Nervenstimmung ist reiner, obgleich ich sehr an Dröhnen leide. Von Natur bin ich aber lebendig, und gewöhnlich un-
An Roſe, im Haag.
Sonnabend, den 30. Januar 1830.
Ich will doch nicht deinen ganzen Geburtstags-Monat dahin gehn laſſen, liebe Schweſter, ohne dir herzlichſt zu gru- tuliren! und das mit vollem Recht. Das vollſte dazu haben wir ja wohl, da ich erfahre, daß du dich komplet verjüngt haſt; im Ausſehen, humeur, und Geſundheit. Fahre ſo fort, liebe Roſe! und laß mich dann und wann erfahren, daß du vergnügt biſt und dich amüſirſt. Dies ſoll mir ein Ergötzen ſein; welches mir öfters mangelt. Eben jetzt, war ich in ſechs dicken Wochen nicht aus, und gewiß über vierzehn Tage zu Bette, mit wenigen Stunden Ausnahme auf dem Sopha. Solchen Ausſchnaube Schnupfen hatte ich zu leiden; mit Ner- venleiden aller Art. Ohne leſen zu können: ohne Geſellſchaft ertragen zu können, die dann auch nicht kam; und zum er- ſtenmal empfand ich gemeine Langeweile: und hatte mit den gemeinſten Gedanken zu kämpfen. Ein mir fremder, er- ſtickender Zuſtand, da mich Krankheit, in Herz und Geiſt bis jetzt ſteigerte. — Varnh. liegt noch ſeit dem 1. Januar, ein Zimmer zwiſchen uns, an einem zur Furcht anzuhörenden Huſten eben ſo darnieder. Mahle dir das aus: und wo ich fehle, alles fehlt. Eigentlich dauert meine Konvaleszenz vom vorigen Jahr noch — geſtört, aus tauſend Winklen (!) — fort. Jedoch bin ich ſeit acht Tagen wieder heiterer: meine Nervenſtimmung iſt reiner, obgleich ich ſehr an Dröhnen leide. Von Natur bin ich aber lebendig, und gewöhnlich un-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0429"n="421"/><divn="2"><head>An Roſe, im Haag.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sonnabend, den 30. Januar 1830.</hi></dateline><lb/><p>Ich will doch nicht deinen <hirendition="#g">ganzen</hi> Geburtstags-Monat<lb/>
dahin gehn laſſen, liebe Schweſter, ohne dir herzlichſt zu gru-<lb/>
tuliren! und das mit vollem Recht. Das vollſte dazu haben<lb/>
wir ja wohl, da ich erfahre, daß du dich komplet verjüngt<lb/>
haſt; im Ausſehen, <hirendition="#aq">humeur,</hi> und Geſundheit. Fahre ſo fort,<lb/>
liebe Roſe! und laß mich dann und wann erfahren, daß du<lb/>
vergnügt biſt und dich amüſirſt. Dies ſoll mir ein Ergötzen<lb/>ſein; welches mir öfters mangelt. Eben jetzt, war ich in ſechs<lb/><hirendition="#g">dicken</hi> Wochen nicht aus, und gewiß über vierzehn Tage zu<lb/>
Bette, mit wenigen Stunden Ausnahme auf dem Sopha.<lb/>
Solchen Ausſchnaube Schnupfen hatte ich zu leiden; mit Ner-<lb/>
venleiden aller Art. Ohne leſen zu können: ohne Geſellſchaft<lb/>
ertragen zu können, die dann auch nicht kam; und zum er-<lb/>ſtenmal empfand ich <hirendition="#g">gemeine</hi> Langeweile: und hatte mit<lb/>
den gemeinſten Gedanken zu kämpfen. Ein mir fremder, er-<lb/>ſtickender Zuſtand, da mich Krankheit, in Herz und Geiſt bis<lb/>
jetzt ſteigerte. — Varnh. liegt noch ſeit dem 1. Januar, ein<lb/>
Zimmer zwiſchen uns, an einem zur Furcht anzuhörenden<lb/>
Huſten eben ſo darnieder. Mahle dir das aus: und wo <hirendition="#g">ich</hi><lb/>
fehle, <hirendition="#g">alles</hi> fehlt. Eigentlich dauert meine Konvaleszenz vom<lb/>
vorigen Jahr noch — geſtört, aus tauſend Winklen (!) —<lb/>
fort. Jedoch bin ich ſeit acht Tagen wieder heiterer: meine<lb/>
Nervenſtimmung iſt <hirendition="#g">reiner</hi>, obgleich ich ſehr an <hirendition="#g">Dröhnen</hi><lb/>
leide. Von Natur bin ich aber lebendig, und gewöhnlich un-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[421/0429]
An Roſe, im Haag.
Sonnabend, den 30. Januar 1830.
Ich will doch nicht deinen ganzen Geburtstags-Monat
dahin gehn laſſen, liebe Schweſter, ohne dir herzlichſt zu gru-
tuliren! und das mit vollem Recht. Das vollſte dazu haben
wir ja wohl, da ich erfahre, daß du dich komplet verjüngt
haſt; im Ausſehen, humeur, und Geſundheit. Fahre ſo fort,
liebe Roſe! und laß mich dann und wann erfahren, daß du
vergnügt biſt und dich amüſirſt. Dies ſoll mir ein Ergötzen
ſein; welches mir öfters mangelt. Eben jetzt, war ich in ſechs
dicken Wochen nicht aus, und gewiß über vierzehn Tage zu
Bette, mit wenigen Stunden Ausnahme auf dem Sopha.
Solchen Ausſchnaube Schnupfen hatte ich zu leiden; mit Ner-
venleiden aller Art. Ohne leſen zu können: ohne Geſellſchaft
ertragen zu können, die dann auch nicht kam; und zum er-
ſtenmal empfand ich gemeine Langeweile: und hatte mit
den gemeinſten Gedanken zu kämpfen. Ein mir fremder, er-
ſtickender Zuſtand, da mich Krankheit, in Herz und Geiſt bis
jetzt ſteigerte. — Varnh. liegt noch ſeit dem 1. Januar, ein
Zimmer zwiſchen uns, an einem zur Furcht anzuhörenden
Huſten eben ſo darnieder. Mahle dir das aus: und wo ich
fehle, alles fehlt. Eigentlich dauert meine Konvaleszenz vom
vorigen Jahr noch — geſtört, aus tauſend Winklen (!) —
fort. Jedoch bin ich ſeit acht Tagen wieder heiterer: meine
Nervenſtimmung iſt reiner, obgleich ich ſehr an Dröhnen
leide. Von Natur bin ich aber lebendig, und gewöhnlich un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/429>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.