trat selbst aus der Menschheit. -- Dies alles ist lange noch nichts Klares und Bestimmtes: aber auf diesem Wege wird es gewiß gefunden werden, was das Gewissen ist. Eigentlich, wir selbst: unsre Nabelschnur an einer hohen Mutter, von der das Kind nichts weiß. Da allein fängt Persönlichkeit an. Miteinsicht. --
Donnerstag, den 15. Oktober 1829.
An Frau von Sun Sun Sun.
Sonntag Abend, den 17. Oktober 1829.
Mit einer kleinen Variation könnte ich Ihnen schreiben, womit Sie Ihren Brief anfangen: "Ich habe so lange ge- schwiegen, daß ich mir fast das Recht aus den Händen gege- ben, endlich sprechen zu dürfen." Ich möchte schweigen. Weil ich zu viel, und besonders zu gründlich zu sprechen hätte; und doch würd' ich die Schwierigkeit des Federhaltens überwinden, und dann bald in die Tiefe mich konzentrirt fin- den, die mir, die Feder in der Hand, eigentlich natürlich ist; könnt' ich nur irgend glauben, daß dies Sie mit in diese Tiefe führte, oder vielmehr, darin erhielte. Aber nur zu bald läch- len und sprechen Sie sich daraus wieder empor; wo verführ- liche Liebenswürdigkeit gilt, wie eine Münze; und verschmähen es nicht, sich selbst damit auszuzahlen. Diese Worte, Liebe, stehen nun Einmal hier: stünden aber nicht, ohne die Veran- lassungen, die Sie selbst in Ihrem Briefe, wie willentlich da- zu ausspielten (wie im Kartenspiel). Ich hätte sonst meine
III. 26
trat ſelbſt aus der Menſchheit. — Dies alles iſt lange noch nichts Klares und Beſtimmtes: aber auf dieſem Wege wird es gewiß gefunden werden, was das Gewiſſen iſt. Eigentlich, wir ſelbſt: unſre Nabelſchnur an einer hohen Mutter, von der das Kind nichts weiß. Da allein fängt Perſönlichkeit an. Miteinſicht. —
Donnerstag, den 15. Oktober 1829.
An Frau von ☉ ☉ ☉.
Sonntag Abend, den 17. Oktober 1829.
Mit einer kleinen Variation könnte ich Ihnen ſchreiben, womit Sie Ihren Brief anfangen: „Ich habe ſo lange ge- ſchwiegen, daß ich mir faſt das Recht aus den Händen gege- ben, endlich ſprechen zu dürfen.“ Ich möchte ſchweigen. Weil ich zu viel, und beſonders zu gründlich zu ſprechen hätte; und doch würd’ ich die Schwierigkeit des Federhaltens überwinden, und dann bald in die Tiefe mich konzentrirt fin- den, die mir, die Feder in der Hand, eigentlich natürlich iſt; könnt’ ich nur irgend glauben, daß dies Sie mit in dieſe Tiefe führte, oder vielmehr, darin erhielte. Aber nur zu bald läch- len und ſprechen Sie ſich daraus wieder empor; wo verführ- liche Liebenswürdigkeit gilt, wie eine Münze; und verſchmähen es nicht, ſich ſelbſt damit auszuzahlen. Dieſe Worte, Liebe, ſtehen nun Einmal hier: ſtünden aber nicht, ohne die Veran- laſſungen, die Sie ſelbſt in Ihrem Briefe, wie willentlich da- zu ausſpielten (wie im Kartenſpiel). Ich hätte ſonſt meine
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trat ſelbſt aus der Menſchheit. — Dies alles iſt lange noch
nichts Klares und Beſtimmtes: aber auf dieſem Wege wird
es gewiß gefunden werden, was das Gewiſſen iſt. Eigentlich,
wir ſelbſt: unſre Nabelſchnur an einer hohen Mutter, von
der das Kind nichts weiß. Da allein fängt Perſönlichkeit an.
Miteinſicht. —
Donnerstag, den 15. Oktober 1829.
An Frau von ☉ ☉ ☉.
Sonntag Abend, den 17. Oktober 1829.
Mit einer kleinen Variation könnte ich Ihnen ſchreiben,
womit Sie Ihren Brief anfangen: „Ich habe ſo lange ge-
ſchwiegen, daß ich mir faſt das Recht aus den Händen gege-
ben, endlich ſprechen zu dürfen.“ Ich möchte ſchweigen.
Weil ich zu viel, und beſonders zu gründlich zu ſprechen
hätte; und doch würd’ ich die Schwierigkeit des Federhaltens
überwinden, und dann bald in die Tiefe mich konzentrirt fin-
den, die mir, die Feder in der Hand, eigentlich natürlich iſt;
könnt’ ich nur irgend glauben, daß dies Sie mit in dieſe Tiefe
führte, oder vielmehr, darin erhielte. Aber nur zu bald läch-
len und ſprechen Sie ſich daraus wieder empor; wo verführ-
liche Liebenswürdigkeit gilt, wie eine Münze; und verſchmähen
es nicht, ſich ſelbſt damit auszuzahlen. Dieſe Worte, Liebe,
ſtehen nun Einmal hier: ſtünden aber nicht, ohne die Veran-
laſſungen, die Sie ſelbſt in Ihrem Briefe, wie willentlich da-
zu ausſpielten (wie im Kartenſpiel). Ich hätte ſonſt meine
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/409>, abgerufen am 20.11.2024.
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