Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

die die lebendigsten Verbindungen dort haben; erst wollten ihn
les dames begueules, noch wegen Lucinde strafend, meiden;
aber -- ja ja, ja ja! sie sind beehrt! Er soll besonders vor-
trefflich sprechen; finden alle Salonisten.

Adieu, adieu!
Friedrike Varnhagen.

Anmerk. Gentz hatte nach vielem andern Überschwänglichen noch
dieses zum Schluß geschrieben:

"Und gleichwohl kann ich mich des geheimen Wunsches nicht erweh-
ren, daß Ihnen möglichst viel Zeit zu freien Ausarbeitungen bleibe, weil
ich in Deutschland Wenige, sehr Wenige kenne, die gediegnere Werke zu
liefern vermöchten, und weil mir selbst Ihre kleinsten Aufsatze lieber sind,
als die meisten Depeschen, die ich zu lesen verdammt sind.

Haben Sie die Güte, mich Ihrer liebenswürdigen Gemahlin zu em-
pfehlen. Ich weiß gewiß, daß sie mich nie aufgegeben hat, wenn
wir uns gleich durch Briefe nicht mehr mit einander verständigen können.
Sagen Sie ihr, daß ich mich ziemlich wohl befinde, daß mir aber häufig
(welches sie ohne Zweifel sehr mißbilligen wird) gewisse Verse des alten
Haller vor der Seele schweben, die ich, um diesen Brief nicht so melan-
cholisch zu schließen, auf ein abgesondertes Blatt schreiben will. --


"Jetzt fühlet schon mein Leib die Näherung des Nichts;
Des Lebens lange Last erdrückt die müden Glieder;
Die Freude flieht von mir mit flatterndem Gefieder
Der sorgenfreien Jugend zu.
Mein Ekel, der sich mehrt, verstellt den Reiz des Lichs,
Und streuet auf die Welt den hoffnungslosen Schattent;
Ich fühle meinen Geist in jeder Zeil' ermatten,
Und keinen Trieb, als nach der Ruhr

Hallers Gedicht über die Ewigkeit."




23 *

die die lebendigſten Verbindungen dort haben; erſt wollten ihn
les dames bégueules, noch wegen Lucinde ſtrafend, meiden;
aber — ja ja, ja ja! ſie ſind beehrt! Er ſoll beſonders vor-
trefflich ſprechen; finden alle Saloniſten.

Adieu, adieu!
Friedrike Varnhagen.

Anmerk. Gentz hatte nach vielem andern Überſchwänglichen noch
dieſes zum Schluß geſchrieben:

„Und gleichwohl kann ich mich des geheimen Wunſches nicht erweh-
ren, daß Ihnen möglichſt viel Zeit zu freien Ausarbeitungen bleibe, weil
ich in Deutſchland Wenige, ſehr Wenige kenne, die gediegnere Werke zu
liefern vermöchten, und weil mir ſelbſt Ihre kleinſten Aufſatze lieber ſind,
als die meiſten Depeſchen, die ich zu leſen verdammt ſind.

Haben Sie die Güte, mich Ihrer liebenswürdigen Gemahlin zu em-
pfehlen. Ich weiß gewiß, daß ſie mich nie aufgegeben hat, wenn
wir uns gleich durch Briefe nicht mehr mit einander verſtändigen können.
Sagen Sie ihr, daß ich mich ziemlich wohl befinde, daß mir aber häufig
(welches ſie ohne Zweifel ſehr mißbilligen wird) gewiſſe Verſe des alten
Haller vor der Seele ſchweben, die ich, um dieſen Brief nicht ſo melan-
choliſch zu ſchließen, auf ein abgeſondertes Blatt ſchreiben will. —


„Jetzt fühlet ſchon mein Leib die Näherung des Nichts;
Des Lebens lange Laſt erdrückt die müden Glieder;
Die Freude flieht von mir mit flatterndem Gefieder
Der ſorgenfreien Jugend zu.
Mein Ekel, der ſich mehrt, verſtellt den Reiz des Lichs,
Und ſtreuet auf die Welt den hoffnungsloſen Schattent;
Ich fühle meinen Geiſt in jeder Zeil’ ermatten,
Und keinen Trieb, als nach der Ruhr

Hallers Gedicht über die Ewigkeit.“




23 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0363" n="355"/>
die die lebendig&#x017F;ten Verbindungen dort haben; er&#x017F;t wollten ihn<lb/><hi rendition="#aq">les dames bégueules,</hi> noch wegen Lucinde &#x017F;trafend, meiden;<lb/>
aber &#x2014; ja ja, ja ja! &#x017F;ie &#x017F;ind beehrt! Er &#x017F;oll be&#x017F;onders vor-<lb/>
trefflich &#x017F;prechen; finden alle Saloni&#x017F;ten.</p>
            <closer>
              <salute>Adieu, adieu!<lb/><hi rendition="#et">Friedrike Varnhagen.</hi></salute>
            </closer>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#g">Anmerk</hi>. Gentz hatte nach vielem andern Über&#x017F;chwänglichen noch<lb/>
die&#x017F;es zum Schluß ge&#x017F;chrieben:</p><lb/>
            <p>&#x201E;Und gleichwohl kann ich mich des geheimen Wun&#x017F;ches nicht erweh-<lb/>
ren, daß Ihnen möglich&#x017F;t viel Zeit zu freien Ausarbeitungen bleibe, weil<lb/>
ich in Deut&#x017F;chland Wenige, &#x017F;ehr Wenige kenne, die gediegnere Werke zu<lb/>
liefern vermöchten, und weil mir &#x017F;elb&#x017F;t Ihre klein&#x017F;ten Auf&#x017F;atze lieber &#x017F;ind,<lb/>
als die mei&#x017F;ten Depe&#x017F;chen, die ich zu le&#x017F;en verdammt &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>Haben Sie die Güte, mich Ihrer liebenswürdigen Gemahlin zu em-<lb/>
pfehlen. Ich weiß gewiß, daß &#x017F;ie mich nie <hi rendition="#g">aufgegeben</hi> hat, wenn<lb/>
wir uns gleich durch Briefe nicht mehr mit einander ver&#x017F;tändigen können.<lb/>
Sagen Sie ihr, daß ich mich ziemlich wohl befinde, daß mir aber häufig<lb/>
(welches &#x017F;ie ohne Zweifel &#x017F;ehr mißbilligen wird) gewi&#x017F;&#x017F;e Ver&#x017F;e des alten<lb/>
Haller vor der Seele &#x017F;chweben, die ich, um die&#x017F;en Brief nicht &#x017F;o melan-<lb/>
choli&#x017F;ch zu &#x017F;chließen, auf ein abge&#x017F;ondertes Blatt &#x017F;chreiben will. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Wien, den 7. December 1828.&#x201C;</hi> </dateline><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>&#x201E;Jetzt fühlet &#x017F;chon mein Leib die Näherung des Nichts;</l><lb/>
              <l>Des Lebens lange La&#x017F;t erdrückt die müden Glieder;</l><lb/>
              <l>Die Freude flieht von mir mit flatterndem Gefieder</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;orgenfreien Jugend zu.</l><lb/>
              <l>Mein Ekel, der &#x017F;ich mehrt, ver&#x017F;tellt den Reiz des Lichs,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;treuet auf die Welt den hoffnungslo&#x017F;en Schattent;</l><lb/>
              <l>Ich fühle meinen Gei&#x017F;t in jeder Zeil&#x2019; ermatten,</l><lb/>
              <l>Und keinen Trieb, als nach der Ruhr</l>
            </lg><lb/>
            <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Hallers Gedicht über die Ewigkeit</hi>.&#x201C;</hi> </p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig">23 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0363] die die lebendigſten Verbindungen dort haben; erſt wollten ihn les dames bégueules, noch wegen Lucinde ſtrafend, meiden; aber — ja ja, ja ja! ſie ſind beehrt! Er ſoll beſonders vor- trefflich ſprechen; finden alle Saloniſten. Adieu, adieu! Friedrike Varnhagen. Anmerk. Gentz hatte nach vielem andern Überſchwänglichen noch dieſes zum Schluß geſchrieben: „Und gleichwohl kann ich mich des geheimen Wunſches nicht erweh- ren, daß Ihnen möglichſt viel Zeit zu freien Ausarbeitungen bleibe, weil ich in Deutſchland Wenige, ſehr Wenige kenne, die gediegnere Werke zu liefern vermöchten, und weil mir ſelbſt Ihre kleinſten Aufſatze lieber ſind, als die meiſten Depeſchen, die ich zu leſen verdammt ſind. Haben Sie die Güte, mich Ihrer liebenswürdigen Gemahlin zu em- pfehlen. Ich weiß gewiß, daß ſie mich nie aufgegeben hat, wenn wir uns gleich durch Briefe nicht mehr mit einander verſtändigen können. Sagen Sie ihr, daß ich mich ziemlich wohl befinde, daß mir aber häufig (welches ſie ohne Zweifel ſehr mißbilligen wird) gewiſſe Verſe des alten Haller vor der Seele ſchweben, die ich, um dieſen Brief nicht ſo melan- choliſch zu ſchließen, auf ein abgeſondertes Blatt ſchreiben will. — Wien, den 7. December 1828.“ „Jetzt fühlet ſchon mein Leib die Näherung des Nichts; Des Lebens lange Laſt erdrückt die müden Glieder; Die Freude flieht von mir mit flatterndem Gefieder Der ſorgenfreien Jugend zu. Mein Ekel, der ſich mehrt, verſtellt den Reiz des Lichs, Und ſtreuet auf die Welt den hoffnungsloſen Schattent; Ich fühle meinen Geiſt in jeder Zeil’ ermatten, Und keinen Trieb, als nach der Ruhr Hallers Gedicht über die Ewigkeit.“ 23 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/363
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/363>, abgerufen am 22.12.2024.