Sinn seiner Kaste ein falscher sein muß! So hat der Erzbi- schof von Paris bei Talma Besuche abgestattet, dem er doch den Ausdruck der seiner Überzeugung nach höchsten Nothwen- digkeit und gottbedürftigen Unterwerfung zu verweigern ein- stimmte, und hat erfahren müssen, wie der Sterbende und seine Freunde laut darthaten, daß sie das Verweigerte nicht bedürfen, wie das Angebotene nicht mögen und brauchen kön- nen. -- Wenn nur ein Punkt Freiheit auf der Erde ist, wo Vernunft eingestanden wird, werden darf, so wird sie sich von da aus schon Platz machen, wenn es auch langsam ginge, und lange dauern sollte. --
1826.
Dramaturgische Blätter, von Ludwig Tieck. Vorrede S. 14. "Wo Natur und Wahrheit in der Dichtung völlig mangeln, da kann der Schauspieler zwar überkleiden und verhüllen, um die Karikatur wieder zu einem Gemählde zurecht zu rücken" u. s. w. -- Nur der Bethmann schadete der ungezähmte Beifall, den sie in der Gurly z. B. erwarb, nicht. Die Rolle ist ein Unsinn, weil solch Mädchen unmög- lich ist, und doch gelang es ihr; "es" als ein Unbestimmtes bezeichnend, ist ihrem Leisten besonders angemessen. -- Und obgleich man sagen könnte, eben diese Rolle sei der wahre Beweis ihrer vielfältigen Talente für die Bühne, die zusam- men genialische Eingebung bildeten, so hat Tieck doch ganz Recht; solche Mißgeburten verführen die Darsteller, und sind sehr verderblich für ein Publikum.
S. 15.
Sinn ſeiner Kaſte ein falſcher ſein muß! So hat der Erzbi- ſchof von Paris bei Talma Beſuche abgeſtattet, dem er doch den Ausdruck der ſeiner Überzeugung nach höchſten Nothwen- digkeit und gottbedürftigen Unterwerfung zu verweigern ein- ſtimmte, und hat erfahren müſſen, wie der Sterbende und ſeine Freunde laut darthaten, daß ſie das Verweigerte nicht bedürfen, wie das Angebotene nicht mögen und brauchen kön- nen. — Wenn nur ein Punkt Freiheit auf der Erde iſt, wo Vernunft eingeſtanden wird, werden darf, ſo wird ſie ſich von da aus ſchon Platz machen, wenn es auch langſam ginge, und lange dauern ſollte. —
1826.
Dramaturgiſche Blätter, von Ludwig Tieck. Vorrede S. 14. „Wo Natur und Wahrheit in der Dichtung völlig mangeln, da kann der Schauſpieler zwar überkleiden und verhüllen, um die Karikatur wieder zu einem Gemählde zurecht zu rücken“ u. ſ. w. — Nur der Bethmann ſchadete der ungezähmte Beifall, den ſie in der Gurly z. B. erwarb, nicht. Die Rolle iſt ein Unſinn, weil ſolch Mädchen unmög- lich iſt, und doch gelang es ihr; „es“ als ein Unbeſtimmtes bezeichnend, iſt ihrem Leiſten beſonders angemeſſen. — Und obgleich man ſagen könnte, eben dieſe Rolle ſei der wahre Beweis ihrer vielfältigen Talente für die Bühne, die zuſam- men genialiſche Eingebung bildeten, ſo hat Tieck doch ganz Recht; ſolche Mißgeburten verführen die Darſteller, und ſind ſehr verderblich für ein Publikum.
S. 15.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0264"n="256"/>
Sinn ſeiner Kaſte ein falſcher ſein muß! So hat der Erzbi-<lb/>ſchof von Paris bei Talma Beſuche abgeſtattet, dem er doch<lb/>
den Ausdruck der ſeiner Überzeugung nach höchſten Nothwen-<lb/>
digkeit und gottbedürftigen Unterwerfung zu verweigern ein-<lb/>ſtimmte, und hat erfahren müſſen, wie der Sterbende und<lb/>ſeine Freunde laut darthaten, daß ſie das Verweigerte nicht<lb/>
bedürfen, wie das Angebotene nicht mögen und brauchen kön-<lb/>
nen. — Wenn nur ein Punkt Freiheit auf der Erde iſt, wo<lb/>
Vernunft eingeſtanden wird, werden darf, ſo wird ſie ſich von<lb/>
da aus ſchon Platz machen, wenn es auch langſam ginge,<lb/>
und lange dauern ſollte. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">1826.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#g">Dramaturgiſche Blätter, von Ludwig Tieck</hi>.<lb/>
Vorrede S. 14. „Wo Natur und Wahrheit in der Dichtung<lb/>
völlig mangeln, da kann der Schauſpieler zwar überkleiden<lb/>
und verhüllen, um die Karikatur wieder zu einem Gemählde<lb/>
zurecht zu rücken“ u. ſ. w. — Nur der Bethmann ſchadete<lb/>
der ungezähmte Beifall, den ſie in der Gurly z. B. erwarb,<lb/>
nicht. Die Rolle iſt ein Unſinn, weil ſolch Mädchen unmög-<lb/>
lich iſt, und doch gelang es ihr; „es“ als ein Unbeſtimmtes<lb/>
bezeichnend, iſt ihrem Leiſten beſonders angemeſſen. — Und<lb/>
obgleich man ſagen könnte, eben dieſe Rolle ſei der wahre<lb/>
Beweis ihrer vielfältigen Talente für die Bühne, die zuſam-<lb/>
men genialiſche Eingebung bildeten, ſo hat Tieck doch ganz<lb/>
Recht; ſolche Mißgeburten verführen die Darſteller, und ſind<lb/>ſehr verderblich für ein Publikum.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">S. 15.</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[256/0264]
Sinn ſeiner Kaſte ein falſcher ſein muß! So hat der Erzbi-
ſchof von Paris bei Talma Beſuche abgeſtattet, dem er doch
den Ausdruck der ſeiner Überzeugung nach höchſten Nothwen-
digkeit und gottbedürftigen Unterwerfung zu verweigern ein-
ſtimmte, und hat erfahren müſſen, wie der Sterbende und
ſeine Freunde laut darthaten, daß ſie das Verweigerte nicht
bedürfen, wie das Angebotene nicht mögen und brauchen kön-
nen. — Wenn nur ein Punkt Freiheit auf der Erde iſt, wo
Vernunft eingeſtanden wird, werden darf, ſo wird ſie ſich von
da aus ſchon Platz machen, wenn es auch langſam ginge,
und lange dauern ſollte. —
1826.
Dramaturgiſche Blätter, von Ludwig Tieck.
Vorrede S. 14. „Wo Natur und Wahrheit in der Dichtung
völlig mangeln, da kann der Schauſpieler zwar überkleiden
und verhüllen, um die Karikatur wieder zu einem Gemählde
zurecht zu rücken“ u. ſ. w. — Nur der Bethmann ſchadete
der ungezähmte Beifall, den ſie in der Gurly z. B. erwarb,
nicht. Die Rolle iſt ein Unſinn, weil ſolch Mädchen unmög-
lich iſt, und doch gelang es ihr; „es“ als ein Unbeſtimmtes
bezeichnend, iſt ihrem Leiſten beſonders angemeſſen. — Und
obgleich man ſagen könnte, eben dieſe Rolle ſei der wahre
Beweis ihrer vielfältigen Talente für die Bühne, die zuſam-
men genialiſche Eingebung bildeten, ſo hat Tieck doch ganz
Recht; ſolche Mißgeburten verführen die Darſteller, und ſind
ſehr verderblich für ein Publikum.
S. 15.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/264>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.