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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Eine Sache wissen, ist mehr als sie sein. Darum können
wir Gott nicht wissen: und nur insofern für uns sein, als
wir von uns wissen.



An Rosa Maria Assing, in Hamburg.

Meine theure liebe Schwägerin! Liebe arme Rosa! Was
hilft es Ihnen, daß mein Herz, mein wirkliches auf der lin-
ken Seite, wie von einem Dolch getroffen ist! Könnte ich
Ihren gerechten, herben, bittern Schmerz dadurch lindern!
August seinen! Und doch, liebe Frau, arme liebe Tochter,
waren Sie mein erstes Wort. Nichts hat Ähnlichkeit mit dem
Verlust von Eltern. Ohne alle Empfindsamkeit, ohne allen
Pakt noch Versprechung, sind sie unsre ersten, gewissesten
Freunde. Wir setzen voraus, daß sie uns rathen, helfen, lie-
ben müssen, und an ihrem Todestag nehmen wir diese große
stumme Voraussetzung erst zurück, und erfahren dadurch, daß
wir auf sie gelebt hatten. Keiner kann dies Herbste für den
Andern abmachen! Ich habe es ganz empfunden, als ich
meine theure Mutter verlor. Im Oktober 1809 war's, und
täglich spreche ich mit ihr! -- ich habe ihr aufgewartet bis
im letzten Augenblick. Was haben Sie jetzt ausgehalten,
liebe Rosa! Manchmal ist dies ein Trost: wissen Sie also,
Eine lebt, die all Ihren Schmerz, und ihn ganz kennt. Zu
sagen ist nichts über dies große allgemeine Geheimniß.


Eine Sache wiſſen, iſt mehr als ſie ſein. Darum können
wir Gott nicht wiſſen: und nur inſofern für uns ſein, als
wir von uns wiſſen.



An Roſa Maria Aſſing, in Hamburg.

Meine theure liebe Schwägerin! Liebe arme Roſa! Was
hilft es Ihnen, daß mein Herz, mein wirkliches auf der lin-
ken Seite, wie von einem Dolch getroffen iſt! Könnte ich
Ihren gerechten, herben, bittern Schmerz dadurch lindern!
Auguſt ſeinen! Und doch, liebe Frau, arme liebe Tochter,
waren Sie mein erſtes Wort. Nichts hat Ähnlichkeit mit dem
Verluſt von Eltern. Ohne alle Empfindſamkeit, ohne allen
Pakt noch Verſprechung, ſind ſie unſre erſten, gewiſſeſten
Freunde. Wir ſetzen voraus, daß ſie uns rathen, helfen, lie-
ben müſſen, und an ihrem Todestag nehmen wir dieſe große
ſtumme Vorausſetzung erſt zurück, und erfahren dadurch, daß
wir auf ſie gelebt hatten. Keiner kann dies Herbſte für den
Andern abmachen! Ich habe es ganz empfunden, als ich
meine theure Mutter verlor. Im Oktober 1809 war’s, und
täglich ſpreche ich mit ihr! — ich habe ihr aufgewartet bis
im letzten Augenblick. Was haben Sie jetzt ausgehalten,
liebe Roſa! Manchmal iſt dies ein Troſt: wiſſen Sie alſo,
Eine lebt, die all Ihren Schmerz, und ihn ganz kennt. Zu
ſagen iſt nichts über dies große allgemeine Geheimniß.

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[246/0254] Sommer, 1826. Eine Sache wiſſen, iſt mehr als ſie ſein. Darum können wir Gott nicht wiſſen: und nur inſofern für uns ſein, als wir von uns wiſſen. An Roſa Maria Aſſing, in Hamburg. Berlin, den 17. Auguſt 1826. Meine theure liebe Schwägerin! Liebe arme Roſa! Was hilft es Ihnen, daß mein Herz, mein wirkliches auf der lin- ken Seite, wie von einem Dolch getroffen iſt! Könnte ich Ihren gerechten, herben, bittern Schmerz dadurch lindern! Auguſt ſeinen! Und doch, liebe Frau, arme liebe Tochter, waren Sie mein erſtes Wort. Nichts hat Ähnlichkeit mit dem Verluſt von Eltern. Ohne alle Empfindſamkeit, ohne allen Pakt noch Verſprechung, ſind ſie unſre erſten, gewiſſeſten Freunde. Wir ſetzen voraus, daß ſie uns rathen, helfen, lie- ben müſſen, und an ihrem Todestag nehmen wir dieſe große ſtumme Vorausſetzung erſt zurück, und erfahren dadurch, daß wir auf ſie gelebt hatten. Keiner kann dies Herbſte für den Andern abmachen! Ich habe es ganz empfunden, als ich meine theure Mutter verlor. Im Oktober 1809 war’s, und täglich ſpreche ich mit ihr! — ich habe ihr aufgewartet bis im letzten Augenblick. Was haben Sie jetzt ausgehalten, liebe Roſa! Manchmal iſt dies ein Troſt: wiſſen Sie alſo, Eine lebt, die all Ihren Schmerz, und ihn ganz kennt. Zu ſagen iſt nichts über dies große allgemeine Geheimniß.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/254>, abgerufen am 20.11.2024.