Vom körperlichen Tanz weiß man schon etwas: so ar- beitslos nach schönster Musik will die Seele sich bewegen; von ihr lernen wir den Tanz. Musik ist Geistes- und Em- pfindungsfreiheit. Melodie, unsre Empfindungsfähigkeit ohne zwingende Beziehung nach eigner Lust und Wahl bewegt. Harmonie, fertige Rechnungsresultate, unserm Geist durch's Ohr zur genießenden Schau geliefert. -- Welche Geistes- und Seelenzustände der Vergangenheit, dem jetzigen Gedächtniß entschwunden, setzt dies voraus! Darum liebt der Mensch Musik. Je höher und reiner sie ist, je weniger liegen unsere Zustände auf ihr: -- oft muß sie unsere mittragen; alle Lei- den und Leidenschaften -- je weniger Publikum hat sie dann: und noch Einmal sei es gesagt, "une pipe de tabac" und jedes Lied, was zu gemeinern Zuständen paßt, wird Volkslied. Vor der Hand.
Berlin, den 4. Januar 1824.
Es kann nichts helfen ein großes Schicksal zu haben; wenn man nicht weiß, das man eines hat. Es hat ein jeder ein großes Schicksal, der da weiß, was er für eines hat.
An Friedrich August Wolf.
Sonntag, den 4. Januar 1824.
Die geflügelten Boten, die Sie so gütig waren mir zu senden, können Sie zu wahren Liebestäubchen umwandlen, wenn sie uns die Freude machen wollen, guter Herr Geheime-
Vom körperlichen Tanz weiß man ſchon etwas: ſo ar- beitslos nach ſchönſter Muſik will die Seele ſich bewegen; von ihr lernen wir den Tanz. Muſik iſt Geiſtes- und Em- pfindungsfreiheit. Melodie, unſre Empfindungsfähigkeit ohne zwingende Beziehung nach eigner Luſt und Wahl bewegt. Harmonie, fertige Rechnungsreſultate, unſerm Geiſt durch’s Ohr zur genießenden Schau geliefert. — Welche Geiſtes- und Seelenzuſtände der Vergangenheit, dem jetzigen Gedächtniß entſchwunden, ſetzt dies voraus! Darum liebt der Menſch Muſik. Je höher und reiner ſie iſt, je weniger liegen unſere Zuſtände auf ihr: — oft muß ſie unſere mittragen; alle Lei- den und Leidenſchaften — je weniger Publikum hat ſie dann: und noch Einmal ſei es geſagt, „une pipe de tabac” und jedes Lied, was zu gemeinern Zuſtänden paßt, wird Volkslied. Vor der Hand.
Berlin, den 4. Januar 1824.
Es kann nichts helfen ein großes Schickſal zu haben; wenn man nicht weiß, das man eines hat. Es hat ein jeder ein großes Schickſal, der da weiß, was er für eines hat.
An Friedrich Auguſt Wolf.
Sonntag, den 4. Januar 1824.
Die geflügelten Boten, die Sie ſo gütig waren mir zu ſenden, können Sie zu wahren Liebestäubchen umwandlen, wenn ſie uns die Freude machen wollen, guter Herr Geheime-
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Vom körperlichen Tanz weiß man ſchon etwas: ſo ar-
beitslos nach ſchönſter Muſik will die Seele ſich bewegen;
von ihr lernen wir den Tanz. Muſik iſt Geiſtes- und Em-
pfindungsfreiheit. Melodie, unſre Empfindungsfähigkeit ohne
zwingende Beziehung nach eigner Luſt und Wahl bewegt.
Harmonie, fertige Rechnungsreſultate, unſerm Geiſt durch’s
Ohr zur genießenden Schau geliefert. — Welche Geiſtes- und
Seelenzuſtände der Vergangenheit, dem jetzigen Gedächtniß
entſchwunden, ſetzt dies voraus! Darum liebt der Menſch
Muſik. Je höher und reiner ſie iſt, je weniger liegen unſere
Zuſtände auf ihr: — oft muß ſie unſere mittragen; alle Lei-
den und Leidenſchaften — je weniger Publikum hat ſie dann:
und noch Einmal ſei es geſagt, „une pipe de tabac” und
jedes Lied, was zu gemeinern Zuſtänden paßt, wird Volkslied.
Vor der Hand.
Berlin, den 4. Januar 1824.
Es kann nichts helfen ein großes Schickſal zu haben;
wenn man nicht weiß, das man eines hat. Es hat ein jeder
ein großes Schickſal, der da weiß, was er für eines hat.
An Friedrich Auguſt Wolf.
Sonntag, den 4. Januar 1824.
Die geflügelten Boten, die Sie ſo gütig waren mir zu
ſenden, können Sie zu wahren Liebestäubchen umwandlen,
wenn ſie uns die Freude machen wollen, guter Herr Geheime-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/138>, abgerufen am 22.12.2024.
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