Betragen ich nicht so nennen würde, wenn er es sonst nicht versäumte. Alles dies bildet keinen stillen ehrwürdigen Karak- ter, ist kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur so scheint, so soll es mir lieb sein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich glaube, die Andern irren sich über ihn. Frau von H. lieb' ich, wenn ich sie sehe. Sie ist, wie sie aussieht: und mir ist unverständlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein mit ihr, und diese Zeit war angenehm. Ich beneide fast allen Menschen, auch ganz untergeordneten sonst, ihr haltungsvol- les, leidenschaftloses Betragen. Fr. von H. besitzt das vorzüg- lich. Es kleidet so gut! Ich komme darin immer mehr aus dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch so ruhig werde; und mißfalle mir äußerst; obgleich ich genau weiß, woher es kommt. Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re- sultaten gekommen bin: und darauf hört man noch weniger, als auf diese, oder Behauptungen. In einer bessern Lage, mit einer bessern oder härtern Persönlichkeit fällt einem das nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht werde ich Einmal plötzlich über diese abscheuliche Art zu sein Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Saussure. Wir blieben zu Hause. --
Sonnabend, den 8. Januar 1820.
-- Ich affektire nichts. Verberge mein Bestes; und meine Krankheit. Dore sieht es nur; unsichtbare Geister; Gott, mein ewiger Zeuge. Kolossal zwinge ich mich, und kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun in sein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge-
Betragen ich nicht ſo nennen würde, wenn er es ſonſt nicht verſäumte. Alles dies bildet keinen ſtillen ehrwürdigen Karak- ter, iſt kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur ſo ſcheint, ſo ſoll es mir lieb ſein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich glaube, die Andern irren ſich über ihn. Frau von H. lieb’ ich, wenn ich ſie ſehe. Sie iſt, wie ſie ausſieht: und mir iſt unverſtändlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein mit ihr, und dieſe Zeit war angenehm. Ich beneide faſt allen Menſchen, auch ganz untergeordneten ſonſt, ihr haltungsvol- les, leidenſchaftloſes Betragen. Fr. von H. beſitzt das vorzüg- lich. Es kleidet ſo gut! Ich komme darin immer mehr aus dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch ſo ruhig werde; und mißfalle mir äußerſt; obgleich ich genau weiß, woher es kommt. Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re- ſultaten gekommen bin: und darauf hört man noch weniger, als auf dieſe, oder Behauptungen. In einer beſſern Lage, mit einer beſſern oder härtern Perſönlichkeit fällt einem das nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht werde ich Einmal plötzlich über dieſe abſcheuliche Art zu ſein Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Sauſſure. Wir blieben zu Hauſe. —
Sonnabend, den 8. Januar 1820.
— Ich affektire nichts. Verberge mein Beſtes; und meine Krankheit. Dore ſieht es nur; unſichtbare Geiſter; Gott, mein ewiger Zeuge. Koloſſal zwinge ich mich, und kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun in ſein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0013"n="5"/>
Betragen ich nicht ſo nennen würde, wenn er es ſonſt nicht<lb/>
verſäumte. Alles dies bildet keinen ſtillen ehrwürdigen Karak-<lb/>
ter, iſt kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur ſo ſcheint,<lb/>ſo ſoll es mir lieb ſein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich<lb/>
glaube, die Andern irren ſich über ihn. Frau von H. lieb’<lb/>
ich, <hirendition="#g">wenn</hi> ich ſie ſehe. Sie iſt, wie ſie ausſieht: und mir iſt<lb/>
unverſtändlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein<lb/>
mit ihr, und dieſe Zeit war angenehm. Ich beneide faſt allen<lb/>
Menſchen, auch ganz untergeordneten ſonſt, ihr haltungsvol-<lb/>
les, leidenſchaftloſes Betragen. Fr. von H. beſitzt das vorzüg-<lb/>
lich. Es kleidet ſo gut! Ich komme darin immer mehr aus<lb/>
dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch ſo ruhig werde; und<lb/>
mißfalle mir äußerſt; obgleich ich genau weiß, woher es kommt.<lb/>
Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re-<lb/>ſultaten gekommen bin: und darauf hört man <hirendition="#g">noch</hi> weniger,<lb/>
als auf dieſe, oder Behauptungen. In einer beſſern Lage,<lb/>
mit einer beſſern oder härtern Perſönlichkeit fällt einem das<lb/>
nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht<lb/>
werde ich Einmal plötzlich über dieſe abſcheuliche Art zu ſein<lb/>
Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Sauſſure. Wir<lb/>
blieben zu Hauſe. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sonnabend, den 8. Januar 1820.</hi></dateline><lb/><p>— Ich affektire <hirendition="#g">nichts</hi>. Verberge mein Beſtes; und<lb/>
meine Krankheit. Dore ſieht es nur; unſichtbare Geiſter;<lb/>
Gott, mein ewiger Zeuge. Koloſſal zwinge ich mich, und<lb/>
kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun<lb/>
in ſein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[5/0013]
Betragen ich nicht ſo nennen würde, wenn er es ſonſt nicht
verſäumte. Alles dies bildet keinen ſtillen ehrwürdigen Karak-
ter, iſt kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur ſo ſcheint,
ſo ſoll es mir lieb ſein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich
glaube, die Andern irren ſich über ihn. Frau von H. lieb’
ich, wenn ich ſie ſehe. Sie iſt, wie ſie ausſieht: und mir iſt
unverſtändlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein
mit ihr, und dieſe Zeit war angenehm. Ich beneide faſt allen
Menſchen, auch ganz untergeordneten ſonſt, ihr haltungsvol-
les, leidenſchaftloſes Betragen. Fr. von H. beſitzt das vorzüg-
lich. Es kleidet ſo gut! Ich komme darin immer mehr aus
dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch ſo ruhig werde; und
mißfalle mir äußerſt; obgleich ich genau weiß, woher es kommt.
Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re-
ſultaten gekommen bin: und darauf hört man noch weniger,
als auf dieſe, oder Behauptungen. In einer beſſern Lage,
mit einer beſſern oder härtern Perſönlichkeit fällt einem das
nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht
werde ich Einmal plötzlich über dieſe abſcheuliche Art zu ſein
Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Sauſſure. Wir
blieben zu Hauſe. —
Sonnabend, den 8. Januar 1820.
— Ich affektire nichts. Verberge mein Beſtes; und
meine Krankheit. Dore ſieht es nur; unſichtbare Geiſter;
Gott, mein ewiger Zeuge. Koloſſal zwinge ich mich, und
kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun
in ſein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/13>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.