men kann, erlaub' ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der Bitte, sie auch da, nämlich im Keller -- oder sonst einem küh- len Ort -- bis Sie sie an Ihren Tisch nöthigen, lassen zu wollen! Sie ist sehr schön eingemacht; und gerne rühme ich mich dessen, seit unserm gestrigen Gespräch: weil ich diesen Prozeß von einer Dame lernte, die in Musik, in Englisch und Italiänisch, Unterricht giebt; Deutsch und Französisch wie wir und Franzosen spricht und schreibt; die schönsten weiblichen Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin ist; lustig und verständig obenein. So wünschen Sie ja die Mäd- chen. Ich suche ihr also abzulernen. Nehmen Sie meine Drei- stigkeit wegen ihrem Grund, des besten Willens, daß Sie ein wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf!
Ihre ergebene Fr. V.
Berlin, Dienstag den 25. August 1823.
Mittag, bei großer heller Hitze.
Es ist ein krankhafter, schwächlicher Geistes- und Karakter- zustand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal- ten. Das thun die Menschen, die auch von dem Lobe ge- schmeichelt sind, das ihnen von solchen Leuten, die sie ver- achten, gezollt wird; von Lob über Eigenschaften, die sie über- zeugt sind nicht zu besitzen, oder die sie selbst verachten. --
Dienstag, den 25. August 1823.
"Geist haben" kann doch nur bedeuten: unsern Verstand nicht nur auf nöthige und nächste Dinge richten, sondern den Trieb, ihn diese immer von neuem auf entferntere wirken, und
men kann, erlaub’ ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der Bitte, ſie auch da, nämlich im Keller — oder ſonſt einem küh- len Ort — bis Sie ſie an Ihren Tiſch nöthigen, laſſen zu wollen! Sie iſt ſehr ſchön eingemacht; und gerne rühme ich mich deſſen, ſeit unſerm geſtrigen Geſpräch: weil ich dieſen Prozeß von einer Dame lernte, die in Muſik, in Engliſch und Italiäniſch, Unterricht giebt; Deutſch und Franzöſiſch wie wir und Franzoſen ſpricht und ſchreibt; die ſchönſten weiblichen Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin iſt; luſtig und verſtändig obenein. So wünſchen Sie ja die Mäd- chen. Ich ſuche ihr alſo abzulernen. Nehmen Sie meine Drei- ſtigkeit wegen ihrem Grund, des beſten Willens, daß Sie ein wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf!
Ihre ergebene Fr. V.
Berlin, Dienstag den 25. Auguſt 1823.
Mittag, bei großer heller Hitze.
Es iſt ein krankhafter, ſchwächlicher Geiſtes- und Karakter- zuſtand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal- ten. Das thun die Menſchen, die auch von dem Lobe ge- ſchmeichelt ſind, das ihnen von ſolchen Leuten, die ſie ver- achten, gezollt wird; von Lob über Eigenſchaften, die ſie über- zeugt ſind nicht zu beſitzen, oder die ſie ſelbſt verachten. —
Dienstag, den 25. Auguſt 1823.
„Geiſt haben“ kann doch nur bedeuten: unſern Verſtand nicht nur auf nöthige und nächſte Dinge richten, ſondern den Trieb, ihn dieſe immer von neuem auf entferntere wirken, und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0125"n="117"/>
men kann, erlaub’ ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der<lb/>
Bitte, ſie auch da, nämlich im Keller — oder ſonſt einem küh-<lb/>
len Ort — bis Sie ſie an Ihren Tiſch nöthigen, laſſen zu<lb/>
wollen! Sie iſt ſehr ſchön eingemacht; und gerne rühme ich<lb/>
mich deſſen, ſeit unſerm geſtrigen Geſpräch: weil ich dieſen<lb/>
Prozeß von einer Dame lernte, die in Muſik, in Engliſch und<lb/>
Italiäniſch, Unterricht giebt; Deutſch und Franzöſiſch wie wir<lb/>
und Franzoſen ſpricht und ſchreibt; die ſchönſten weiblichen<lb/>
Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin iſt;<lb/>
luſtig und verſtändig obenein. So wünſchen Sie ja die Mäd-<lb/>
chen. Ich ſuche ihr alſo abzulernen. Nehmen Sie meine Drei-<lb/>ſtigkeit wegen ihrem Grund, des beſten Willens, daß Sie ein<lb/>
wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf!</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et">Ihre ergebene Fr. V.</hi></salute></closer></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Berlin, Dienstag den 25. Auguſt 1823.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Mittag, bei großer heller Hitze.</hi></p><lb/><p>Es iſt ein krankhafter, ſchwächlicher Geiſtes- und Karakter-<lb/>
zuſtand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal-<lb/>
ten. Das thun die Menſchen, die auch von dem Lobe ge-<lb/>ſchmeichelt ſind, das ihnen von ſolchen Leuten, die ſie ver-<lb/>
achten, gezollt wird; von Lob über Eigenſchaften, die ſie über-<lb/>
zeugt ſind nicht zu beſitzen, oder die ſie ſelbſt verachten. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Dienstag, den 25. Auguſt 1823.</hi></dateline><lb/><p>„Geiſt haben“ kann doch nur bedeuten: unſern Verſtand<lb/>
nicht nur auf nöthige und nächſte Dinge richten, ſondern den<lb/>
Trieb, ihn dieſe immer von neuem auf entferntere wirken, und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[117/0125]
men kann, erlaub’ ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der
Bitte, ſie auch da, nämlich im Keller — oder ſonſt einem küh-
len Ort — bis Sie ſie an Ihren Tiſch nöthigen, laſſen zu
wollen! Sie iſt ſehr ſchön eingemacht; und gerne rühme ich
mich deſſen, ſeit unſerm geſtrigen Geſpräch: weil ich dieſen
Prozeß von einer Dame lernte, die in Muſik, in Engliſch und
Italiäniſch, Unterricht giebt; Deutſch und Franzöſiſch wie wir
und Franzoſen ſpricht und ſchreibt; die ſchönſten weiblichen
Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin iſt;
luſtig und verſtändig obenein. So wünſchen Sie ja die Mäd-
chen. Ich ſuche ihr alſo abzulernen. Nehmen Sie meine Drei-
ſtigkeit wegen ihrem Grund, des beſten Willens, daß Sie ein
wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf!
Ihre ergebene Fr. V.
Berlin, Dienstag den 25. Auguſt 1823.
Mittag, bei großer heller Hitze.
Es iſt ein krankhafter, ſchwächlicher Geiſtes- und Karakter-
zuſtand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal-
ten. Das thun die Menſchen, die auch von dem Lobe ge-
ſchmeichelt ſind, das ihnen von ſolchen Leuten, die ſie ver-
achten, gezollt wird; von Lob über Eigenſchaften, die ſie über-
zeugt ſind nicht zu beſitzen, oder die ſie ſelbſt verachten. —
Dienstag, den 25. Auguſt 1823.
„Geiſt haben“ kann doch nur bedeuten: unſern Verſtand
nicht nur auf nöthige und nächſte Dinge richten, ſondern den
Trieb, ihn dieſe immer von neuem auf entferntere wirken, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/125>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.