Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Baader hatte mir, als ich ihn eben persönlich kennen
lernte, ein großes Interesse eingeflößt: und ich hörte ihn wirk-
lich erhellende Blitzworte sagen; es nahm mich ungemein für
ihn ein, daß er sich gedrungen fühlte, mit allen Menschen zu
sprechen: ich fand es schön, daß ihm jedes Menschengebilde
ein Mensch war, und daß er mit den etwas Bessern sich zu
erörtern gedrungen fühlte, es zu lieben schien. --



(Mündlich.)

"Varnhagen! du mußt in den Garten! Nein, du glaubst
es nicht, welche Rosen! Alle sind sie da, eilig und zugleich
hervorgetreten, wie wenn die Schildwacht heraus ruft!"




An Varnhagen, in Hamburg.

Regnerisches, graues, schwüles, dunstiges Wetter.

Ich schreibe auf dem Bogen, den du gefaltet hast, und
mit deiner Feder und deinem Tintfaß in der Mittelstube.
Theurer lieber Freund! Es ist gut, sich einmal zu trennen.
Da erfährt man, wie lieb man hat: und wer man ist. Alle
deine Gedanken, deine Sensationen, dein Sitzen, deinen Schlaf,
das Wetter, alles rechnete ich nach! Es ist besser kein Son-
nenschein. Hast du wohl etwas geschlafen? den gestrigen
Abend genoß ich mit dir. Wie du es wolltest fuhr ich aus.
Nach Schöneberg, bis über's Dorf weg: ich wollte wahre
Reisechauffee riechen: und dann umgekehrt. Göttlich grün,

Baader hatte mir, als ich ihn eben perſönlich kennen
lernte, ein großes Intereſſe eingeflößt: und ich hörte ihn wirk-
lich erhellende Blitzworte ſagen; es nahm mich ungemein für
ihn ein, daß er ſich gedrungen fühlte, mit allen Menſchen zu
ſprechen: ich fand es ſchön, daß ihm jedes Menſchengebilde
ein Menſch war, und daß er mit den etwas Beſſern ſich zu
erörtern gedrungen fühlte, es zu lieben ſchien. —



(Mündlich.)

„Varnhagen! du mußt in den Garten! Nein, du glaubſt
es nicht, welche Roſen! Alle ſind ſie da, eilig und zugleich
hervorgetreten, wie wenn die Schildwacht heraus ruft!“




An Varnhagen, in Hamburg.

Regneriſches, graues, ſchwüles, dunſtiges Wetter.

Ich ſchreibe auf dem Bogen, den du gefaltet haſt, und
mit deiner Feder und deinem Tintfaß in der Mittelſtube.
Theurer lieber Freund! Es iſt gut, ſich einmal zu trennen.
Da erfährt man, wie lieb man hat: und wer man iſt. Alle
deine Gedanken, deine Senſationen, dein Sitzen, deinen Schlaf,
das Wetter, alles rechnete ich nach! Es iſt beſſer kein Son-
nenſchein. Haſt du wohl etwas geſchlafen? den geſtrigen
Abend genoß ich mit dir. Wie du es wollteſt fuhr ich aus.
Nach Schöneberg, bis über’s Dorf weg: ich wollte wahre
Reiſechauffée riechen: und dann umgekehrt. Göttlich grün,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0115" n="107"/>
            <p>Baader hatte mir, als ich ihn eben per&#x017F;önlich kennen<lb/>
lernte, ein großes Intere&#x017F;&#x017F;e eingeflößt: und ich hörte ihn wirk-<lb/>
lich erhellende Blitzworte &#x017F;agen; es nahm mich ungemein für<lb/>
ihn ein, daß er &#x017F;ich gedrungen fühlte, mit allen Men&#x017F;chen zu<lb/>
&#x017F;prechen: ich fand es &#x017F;chön, daß ihm jedes Men&#x017F;chengebilde<lb/>
ein Men&#x017F;ch war, und daß er mit den etwas Be&#x017F;&#x017F;ern &#x017F;ich zu<lb/>
erörtern gedrungen fühlte, es zu lieben &#x017F;chien. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">(Mündlich.)</hi> </hi> </p><lb/>
            <p>&#x201E;Varnhagen! du <hi rendition="#g">mußt</hi> in den Garten! Nein, du glaub&#x017F;t<lb/>
es nicht, <hi rendition="#g">welche</hi> Ro&#x017F;en! <hi rendition="#g">Alle</hi> &#x017F;ind &#x017F;ie da, eilig und zugleich<lb/>
hervorgetreten, wie wenn die Schildwacht <hi rendition="#g">heraus</hi> ruft!&#x201C;</p><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 14. Juni 1823.</hi> </dateline>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Hamburg.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Dienstag Vormittag, den 15. Juli 1823. halb 11.</hi> </dateline><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">Regneri&#x017F;ches, graues, &#x017F;chwüles, dun&#x017F;tiges Wetter.</hi> </p><lb/>
            <p>Ich &#x017F;chreibe auf dem Bogen, den du gefaltet ha&#x017F;t, und<lb/>
mit deiner Feder und deinem Tintfaß in der Mittel&#x017F;tube.<lb/>
Theurer lieber Freund! Es i&#x017F;t gut, &#x017F;ich einmal zu trennen.<lb/>
Da erfährt man, wie lieb man hat: und wer man <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi>. Alle<lb/>
deine Gedanken, deine Sen&#x017F;ationen, dein Sitzen, deinen Schlaf,<lb/>
das Wetter, alles rechnete ich nach! Es i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er kein Son-<lb/>
nen&#x017F;chein. Ha&#x017F;t du wohl etwas ge&#x017F;chlafen? den ge&#x017F;trigen<lb/>
Abend genoß ich <hi rendition="#g">mit</hi> dir. Wie du es wollte&#x017F;t fuhr ich aus.<lb/>
Nach Schöneberg, bis über&#x2019;s Dorf weg: ich wollte wahre<lb/>
Rei&#x017F;echauff<hi rendition="#aq">é</hi>e riechen: und dann umgekehrt. Göttlich grün,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0115] Baader hatte mir, als ich ihn eben perſönlich kennen lernte, ein großes Intereſſe eingeflößt: und ich hörte ihn wirk- lich erhellende Blitzworte ſagen; es nahm mich ungemein für ihn ein, daß er ſich gedrungen fühlte, mit allen Menſchen zu ſprechen: ich fand es ſchön, daß ihm jedes Menſchengebilde ein Menſch war, und daß er mit den etwas Beſſern ſich zu erörtern gedrungen fühlte, es zu lieben ſchien. — (Mündlich.) „Varnhagen! du mußt in den Garten! Nein, du glaubſt es nicht, welche Roſen! Alle ſind ſie da, eilig und zugleich hervorgetreten, wie wenn die Schildwacht heraus ruft!“ Den 14. Juni 1823. An Varnhagen, in Hamburg. Dienstag Vormittag, den 15. Juli 1823. halb 11. Regneriſches, graues, ſchwüles, dunſtiges Wetter. Ich ſchreibe auf dem Bogen, den du gefaltet haſt, und mit deiner Feder und deinem Tintfaß in der Mittelſtube. Theurer lieber Freund! Es iſt gut, ſich einmal zu trennen. Da erfährt man, wie lieb man hat: und wer man iſt. Alle deine Gedanken, deine Senſationen, dein Sitzen, deinen Schlaf, das Wetter, alles rechnete ich nach! Es iſt beſſer kein Son- nenſchein. Haſt du wohl etwas geſchlafen? den geſtrigen Abend genoß ich mit dir. Wie du es wollteſt fuhr ich aus. Nach Schöneberg, bis über’s Dorf weg: ich wollte wahre Reiſechauffée riechen: und dann umgekehrt. Göttlich grün,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/115
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/115>, abgerufen am 22.12.2024.