Klasse hat Einfluß; nur das was eigentlich sein soll. Adieu für heute. Nächstens mehr! --
An Frau von Goethe, in Weimar.
Sommer 1823.
"Und in allen Stücken billig sein, heißt sein eigen Selbst zerstören." Dieser Spruch wird von Wenigen zitirt, so sehr gerecht sind doch mitunter die Vielen! Bitterer Reue voll wend' ich ihn hier auf mich selbst an; da sie mir nicht helfen wird, mich künftig weniger bescheiden zu machen: man trägt die Bescheidenheit, ist sie ein Fehler, wie sein Gesicht, ohne es je vertauschen zu können, mit sich herum, für's Leben. Nur allzu heilig hielt ich Ihre Morgenstunden in Berlin, von de- nen Sie mir Einmal sagten, daß Sie sie zu Sprachstunden und Ihrer Korrespondenz nach Hause gebrauchten; da andre Damen diese Ordnung brachen, und den Lohn Sie zu sehen dafür hatten! und wohl sonst es noch anzustellen wußten, daß sie Sie öfter sahen. Ich blieb mit dem tiefen Wunsch, still, und sitzen. Erlauben Sie mir wenigstens jetzt Ihnen mein leb- haftes Bedauren nachzurufen! da ein stummes Papier es Ih- nen bringt, mit dem Sie nach Gefallen schalten können. Auch dies würde nicht bis zu Ihnen gelangen, wenn sogar auch schon beschrieben: wollt' ich nicht, daß das beifolgende Blatt von Ihnen und den Ihrigen durchgesehen würde. Unsre ganze Nation zeichnet zu wenig dergleichen auf, woraus sich am Ende Memoiren bilden, oder wenigstens daraus beurtheilen
Klaſſe hat Einfluß; nur das was eigentlich ſein ſoll. Adieu für heute. Nächſtens mehr! —
An Frau von Goethe, in Weimar.
Sommer 1823.
„Und in allen Stücken billig ſein, heißt ſein eigen Selbſt zerſtören.“ Dieſer Spruch wird von Wenigen zitirt, ſo ſehr gerecht ſind doch mitunter die Vielen! Bitterer Reue voll wend’ ich ihn hier auf mich ſelbſt an; da ſie mir nicht helfen wird, mich künftig weniger beſcheiden zu machen: man trägt die Beſcheidenheit, iſt ſie ein Fehler, wie ſein Geſicht, ohne es je vertauſchen zu können, mit ſich herum, für’s Leben. Nur allzu heilig hielt ich Ihre Morgenſtunden in Berlin, von de- nen Sie mir Einmal ſagten, daß Sie ſie zu Sprachſtunden und Ihrer Korreſpondenz nach Hauſe gebrauchten; da andre Damen dieſe Ordnung brachen, und den Lohn Sie zu ſehen dafür hatten! und wohl ſonſt es noch anzuſtellen wußten, daß ſie Sie öfter ſahen. Ich blieb mit dem tiefen Wunſch, ſtill, und ſitzen. Erlauben Sie mir wenigſtens jetzt Ihnen mein leb- haftes Bedauren nachzurufen! da ein ſtummes Papier es Ih- nen bringt, mit dem Sie nach Gefallen ſchalten können. Auch dies würde nicht bis zu Ihnen gelangen, wenn ſogar auch ſchon beſchrieben: wollt’ ich nicht, daß das beifolgende Blatt von Ihnen und den Ihrigen durchgeſehen würde. Unſre ganze Nation zeichnet zu wenig dergleichen auf, woraus ſich am Ende Memoiren bilden, oder wenigſtens daraus beurtheilen
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Klaſſe hat Einfluß; nur das was eigentlich ſein ſoll. Adieu
für heute. Nächſtens mehr! —
An Frau von Goethe, in Weimar.
Sommer 1823.
„Und in allen Stücken billig ſein, heißt ſein eigen Selbſt
zerſtören.“ Dieſer Spruch wird von Wenigen zitirt, ſo ſehr
gerecht ſind doch mitunter die Vielen! Bitterer Reue voll
wend’ ich ihn hier auf mich ſelbſt an; da ſie mir nicht helfen
wird, mich künftig weniger beſcheiden zu machen: man trägt
die Beſcheidenheit, iſt ſie ein Fehler, wie ſein Geſicht, ohne
es je vertauſchen zu können, mit ſich herum, für’s Leben. Nur
allzu heilig hielt ich Ihre Morgenſtunden in Berlin, von de-
nen Sie mir Einmal ſagten, daß Sie ſie zu Sprachſtunden
und Ihrer Korreſpondenz nach Hauſe gebrauchten; da andre
Damen dieſe Ordnung brachen, und den Lohn Sie zu ſehen
dafür hatten! und wohl ſonſt es noch anzuſtellen wußten, daß
ſie Sie öfter ſahen. Ich blieb mit dem tiefen Wunſch, ſtill,
und ſitzen. Erlauben Sie mir wenigſtens jetzt Ihnen mein leb-
haftes Bedauren nachzurufen! da ein ſtummes Papier es Ih-
nen bringt, mit dem Sie nach Gefallen ſchalten können. Auch
dies würde nicht bis zu Ihnen gelangen, wenn ſogar auch
ſchon beſchrieben: wollt’ ich nicht, daß das beifolgende Blatt
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Nation zeichnet zu wenig dergleichen auf, woraus ſich am
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/113>, abgerufen am 20.11.2024.
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