Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Steine, kalkige Sandgruben, und ganz verfallene Festungs-
stücke und Schutt. Das Volk verlangte es; und schrie zu F.,
der ihr König war, er möchte Ja sagen! Er stand grausam
verbissen da, und sah nach der Tiefe: man schrie stärker und
heftiger, und forderte sein Ja; immer dichter an mir; sie
faßten, mit den Augen auf F., an meine Kleider; ich suchte
ihm in die Augen zu sehen, und schrie immer: "Du wirst
doch nicht Ja sagen?" Er stand unbeweglich verlegen da;
verlegen gegen das Volk, noch nicht Ja gesagt zu haben. "Du
wirst doch nicht Ja sagen?" schrie ich wieder; das Volk schrie
auch: und er. "Ja!" sagte er. Man ergriff mich, stürzte
mich über den Wall; von Stein fiel ich zu Stein, und als
ich nach der letzten Tiefe kommen sollte, erwachte ich.

Und wußte in tiefster Seele wohl, wie F. gegen mich
war. Auch machte mir der Traum ganz den Eindruck, als
ob die Geschichte wahr gewesen wäre: ich war still; aber ich
hatte mich nicht geirrt. --

Fünfter Traum. Diesen schrieb ich Marwitz gleich
den Morgen nachher, als er mir geträumt hatte, weil ich ihn
nicht vergessen wollte, und er mich sehr affizirt hatte. -- --




Ich glaube, ich werde wohl eingewilligt haben, diesen
Jammerweg des Lebens zu gehn, und als Mensch menschliche
Geschicke zu erfahren; oder es mag ein Höherer, mit tieferer
Einsicht, weil er es für mich als gut erkannte, diese Einwilli-
gung für mich gegeben haben; genug, die Einwilligung denke
ich mir immer, und dieser Gedanke nur kann mich trösten für

Steine, kalkige Sandgruben, und ganz verfallene Feſtungs-
ſtücke und Schutt. Das Volk verlangte es; und ſchrie zu F.,
der ihr König war, er möchte Ja ſagen! Er ſtand grauſam
verbiſſen da, und ſah nach der Tiefe: man ſchrie ſtärker und
heftiger, und forderte ſein Ja; immer dichter an mir; ſie
faßten, mit den Augen auf F., an meine Kleider; ich ſuchte
ihm in die Augen zu ſehen, und ſchrie immer: „Du wirſt
doch nicht Ja ſagen?“ Er ſtand unbeweglich verlegen da;
verlegen gegen das Volk, noch nicht Ja geſagt zu haben. „Du
wirſt doch nicht Ja ſagen?“ ſchrie ich wieder; das Volk ſchrie
auch: und er. „Ja!“ ſagte er. Man ergriff mich, ſtürzte
mich über den Wall; von Stein fiel ich zu Stein, und als
ich nach der letzten Tiefe kommen ſollte, erwachte ich.

Und wußte in tiefſter Seele wohl, wie F. gegen mich
war. Auch machte mir der Traum ganz den Eindruck, als
ob die Geſchichte wahr geweſen wäre: ich war ſtill; aber ich
hatte mich nicht geirrt. —

Fünfter Traum. Dieſen ſchrieb ich Marwitz gleich
den Morgen nachher, als er mir geträumt hatte, weil ich ihn
nicht vergeſſen wollte, und er mich ſehr affizirt hatte. — —




Ich glaube, ich werde wohl eingewilligt haben, dieſen
Jammerweg des Lebens zu gehn, und als Menſch menſchliche
Geſchicke zu erfahren; oder es mag ein Höherer, mit tieferer
Einſicht, weil er es für mich als gut erkannte, dieſe Einwilli-
gung für mich gegeben haben; genug, die Einwilligung denke
ich mir immer, und dieſer Gedanke nur kann mich tröſten für

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0062" n="54"/>
Steine, kalkige Sandgruben, und ganz verfallene Fe&#x017F;tungs-<lb/>
&#x017F;tücke und Schutt. Das Volk verlangte es; und &#x017F;chrie zu F.,<lb/>
der ihr König war, er möchte Ja &#x017F;agen! Er &#x017F;tand grau&#x017F;am<lb/>
verbi&#x017F;&#x017F;en da, und &#x017F;ah nach der Tiefe: man &#x017F;chrie &#x017F;tärker und<lb/>
heftiger, und forderte &#x017F;ein Ja; immer dichter an mir; &#x017F;ie<lb/>
faßten, mit den Augen auf F., an meine Kleider; ich &#x017F;uchte<lb/>
ihm in die Augen zu &#x017F;ehen, und &#x017F;chrie immer: &#x201E;Du wir&#x017F;t<lb/>
doch nicht Ja &#x017F;agen?&#x201C; Er &#x017F;tand unbeweglich verlegen da;<lb/>
verlegen gegen das Volk, noch nicht Ja ge&#x017F;agt zu haben. &#x201E;Du<lb/>
wir&#x017F;t doch nicht <hi rendition="#g">Ja</hi> &#x017F;agen?&#x201C; &#x017F;chrie ich wieder; das Volk &#x017F;chrie<lb/>
auch: und er. &#x201E;<hi rendition="#g">Ja</hi>!&#x201C; &#x017F;agte er. Man ergriff mich, &#x017F;türzte<lb/>
mich über den Wall; von Stein fiel ich zu Stein, und als<lb/>
ich nach der letzten Tiefe kommen &#x017F;ollte, erwachte ich.</p><lb/>
            <p>Und wußte in tief&#x017F;ter Seele wohl, wie F. gegen mich<lb/>
war. Auch machte mir der Traum ganz den Eindruck, als<lb/>
ob die Ge&#x017F;chichte wahr gewe&#x017F;en wäre: ich war &#x017F;till; aber ich<lb/>
hatte mich nicht geirrt. &#x2014;</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Fünfter Traum</hi>. Die&#x017F;en &#x017F;chrieb ich Marwitz gleich<lb/>
den Morgen nachher, als er mir geträumt hatte, weil ich ihn<lb/>
nicht verge&#x017F;&#x017F;en wollte, und er mich &#x017F;ehr affizirt hatte. &#x2014; &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, Sommer 1812.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Ich glaube, ich werde wohl eingewilligt haben, die&#x017F;en<lb/>
Jammerweg des Lebens zu gehn, und als Men&#x017F;ch men&#x017F;chliche<lb/>
Ge&#x017F;chicke zu erfahren; oder es mag ein Höherer, mit tieferer<lb/>
Ein&#x017F;icht, weil er es für mich als gut erkannte, die&#x017F;e Einwilli-<lb/>
gung für mich gegeben haben; genug, die Einwilligung denke<lb/>
ich mir immer, und die&#x017F;er Gedanke nur kann mich trö&#x017F;ten für<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0062] Steine, kalkige Sandgruben, und ganz verfallene Feſtungs- ſtücke und Schutt. Das Volk verlangte es; und ſchrie zu F., der ihr König war, er möchte Ja ſagen! Er ſtand grauſam verbiſſen da, und ſah nach der Tiefe: man ſchrie ſtärker und heftiger, und forderte ſein Ja; immer dichter an mir; ſie faßten, mit den Augen auf F., an meine Kleider; ich ſuchte ihm in die Augen zu ſehen, und ſchrie immer: „Du wirſt doch nicht Ja ſagen?“ Er ſtand unbeweglich verlegen da; verlegen gegen das Volk, noch nicht Ja geſagt zu haben. „Du wirſt doch nicht Ja ſagen?“ ſchrie ich wieder; das Volk ſchrie auch: und er. „Ja!“ ſagte er. Man ergriff mich, ſtürzte mich über den Wall; von Stein fiel ich zu Stein, und als ich nach der letzten Tiefe kommen ſollte, erwachte ich. Und wußte in tiefſter Seele wohl, wie F. gegen mich war. Auch machte mir der Traum ganz den Eindruck, als ob die Geſchichte wahr geweſen wäre: ich war ſtill; aber ich hatte mich nicht geirrt. — Fünfter Traum. Dieſen ſchrieb ich Marwitz gleich den Morgen nachher, als er mir geträumt hatte, weil ich ihn nicht vergeſſen wollte, und er mich ſehr affizirt hatte. — — Berlin, Sommer 1812. Ich glaube, ich werde wohl eingewilligt haben, dieſen Jammerweg des Lebens zu gehn, und als Menſch menſchliche Geſchicke zu erfahren; oder es mag ein Höherer, mit tieferer Einſicht, weil er es für mich als gut erkannte, dieſe Einwilli- gung für mich gegeben haben; genug, die Einwilligung denke ich mir immer, und dieſer Gedanke nur kann mich tröſten für

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/62
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/62>, abgerufen am 21.11.2024.