Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Sophie Schröder, in Berlin.


Als ich gestern mit Ungeduld die Berliner Post erwartete,
die mir endlich keine Briefe mitbrachte, ließ ich mir die Ber-
liner Zeitungen als eine Art von hinhaltendem Ersatz geben,
und fand Sie, meine sehr Geliebte, den Landsleuten als Gast
der Muse angekündigt; diese Zeilen können Ihnen mein Be-
dauern, daß ich nicht zu Hause bin Sie zu empfangen, nicht
ausdrücken! Ich habe den wahnsinnig-eiteln Gedanken, daß
in der weiten gebildeten Stadt doch keiner sich befindet, der
so durchdrungen sein kann von dem, was Sie zu leisten ver-
mögen, es auffassen kann wie ich, was Sie sind; und der
auch das anscheinend minder Gelungene so zu stellen und zu
deuten weiß! Ich möchte Sie empfangen, beherbergen: Ihnen
jede materielle Sorge und Besorgung abnehmen: ich Sie ap-
plaudiren; mit Einem Wort, ich die Ceremonien-Fürstin der
Stadt nur auf eine Weile sein, wie ich es jedesmal mit Lei-
denschaft wünsche, wenn ein Künstler in ihren Mauern ist;
Einer, der die Macht hat, das Großartige darzustellen, ohne
Übereinkunftsmanier; dem es gegeben ist, die Leidenschaft zu
kennen, und die Mittel, sie in allen ihren Abschattungen,
auch den wenigst Aufmerksamen, in einer Art musikalischem
Maß und Haltung zu zeigen; der die Natur der Dinge schnell
jedesmal findet, und auch die Mittel, sie auszudrücken. Sie
sehn, ich tödte mich, das zu beschreiben, was gesegnete Künst-
ler sind: sagen kann ich's nicht; aber ich weiß es. Auch mich

An Sophie Schröder, in Berlin.


Als ich geſtern mit Ungeduld die Berliner Poſt erwartete,
die mir endlich keine Briefe mitbrachte, ließ ich mir die Ber-
liner Zeitungen als eine Art von hinhaltendem Erſatz geben,
und fand Sie, meine ſehr Geliebte, den Landsleuten als Gaſt
der Muſe angekündigt; dieſe Zeilen können Ihnen mein Be-
dauern, daß ich nicht zu Hauſe bin Sie zu empfangen, nicht
ausdrücken! Ich habe den wahnſinnig-eiteln Gedanken, daß
in der weiten gebildeten Stadt doch keiner ſich befindet, der
ſo durchdrungen ſein kann von dem, was Sie zu leiſten ver-
mögen, es auffaſſen kann wie ich, was Sie ſind; und der
auch das anſcheinend minder Gelungene ſo zu ſtellen und zu
deuten weiß! Ich möchte Sie empfangen, beherbergen: Ihnen
jede materielle Sorge und Beſorgung abnehmen: ich Sie ap-
plaudiren; mit Einem Wort, ich die Ceremonien-Fürſtin der
Stadt nur auf eine Weile ſein, wie ich es jedesmal mit Lei-
denſchaft wünſche, wenn ein Künſtler in ihren Mauern iſt;
Einer, der die Macht hat, das Großartige darzuſtellen, ohne
Übereinkunftsmanier; dem es gegeben iſt, die Leidenſchaft zu
kennen, und die Mittel, ſie in allen ihren Abſchattungen,
auch den wenigſt Aufmerkſamen, in einer Art muſikaliſchem
Maß und Haltung zu zeigen; der die Natur der Dinge ſchnell
jedesmal findet, und auch die Mittel, ſie auszudrücken. Sie
ſehn, ich tödte mich, das zu beſchreiben, was geſegnete Künſt-
ler ſind: ſagen kann ich’s nicht; aber ich weiß es. Auch mich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0501" n="493"/>
        <div n="2">
          <head>An Sophie Schröder, in Berlin.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Frankfurt a. M., den 31. Oktober 1817.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Als ich ge&#x017F;tern mit Ungeduld die Berliner Po&#x017F;t erwartete,<lb/>
die mir endlich keine Briefe mitbrachte, ließ ich mir die Ber-<lb/>
liner Zeitungen als eine Art von hinhaltendem Er&#x017F;atz geben,<lb/>
und fand Sie, meine &#x017F;ehr Geliebte, den Landsleuten als Ga&#x017F;t<lb/>
der Mu&#x017F;e angekündigt; die&#x017F;e Zeilen können Ihnen mein Be-<lb/>
dauern, daß <hi rendition="#g">ich</hi> nicht zu Hau&#x017F;e bin Sie zu empfangen, <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/>
ausdrücken! Ich habe den wahn&#x017F;innig-eiteln Gedanken, <hi rendition="#g">daß</hi><lb/>
in der weiten gebildeten Stadt doch keiner &#x017F;ich befindet, der<lb/>
&#x017F;o durchdrungen &#x017F;ein kann von dem, was Sie zu lei&#x017F;ten ver-<lb/>
mögen, es auffa&#x017F;&#x017F;en kann wie ich, <hi rendition="#g">was Sie &#x017F;ind</hi>; und der<lb/>
auch das an&#x017F;cheinend minder Gelungene &#x017F;o zu &#x017F;tellen und zu<lb/>
deuten weiß! Ich möchte Sie empfangen, beherbergen: Ihnen<lb/>
jede materielle Sorge und Be&#x017F;orgung abnehmen: <hi rendition="#g">ich</hi> Sie ap-<lb/>
plaudiren; mit Einem Wort, ich die Ceremonien-Für&#x017F;tin der<lb/>
Stadt nur auf eine Weile &#x017F;ein, wie ich es jedesmal mit Lei-<lb/>
den&#x017F;chaft wün&#x017F;che, wenn ein Kün&#x017F;tler in ihren Mauern i&#x017F;t;<lb/>
Einer, der die Macht hat, das Großartige darzu&#x017F;tellen, ohne<lb/>
Übereinkunftsmanier; dem es gegeben i&#x017F;t, die Leiden&#x017F;chaft zu<lb/>
kennen, und die Mittel, &#x017F;ie in allen ihren Ab&#x017F;chattungen,<lb/>
auch den wenig&#x017F;t Aufmerk&#x017F;amen, in einer Art mu&#x017F;ikali&#x017F;chem<lb/>
Maß und Haltung zu zeigen; der die Natur der Dinge &#x017F;chnell<lb/>
jedesmal findet, und auch die Mittel, &#x017F;ie auszudrücken. Sie<lb/>
&#x017F;ehn, ich tödte mich, das zu be&#x017F;chreiben, was ge&#x017F;egnete Kün&#x017F;t-<lb/>
ler &#x017F;ind: &#x017F;agen kann ich&#x2019;s nicht; aber ich weiß es. Auch mich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[493/0501] An Sophie Schröder, in Berlin. Frankfurt a. M., den 31. Oktober 1817. Als ich geſtern mit Ungeduld die Berliner Poſt erwartete, die mir endlich keine Briefe mitbrachte, ließ ich mir die Ber- liner Zeitungen als eine Art von hinhaltendem Erſatz geben, und fand Sie, meine ſehr Geliebte, den Landsleuten als Gaſt der Muſe angekündigt; dieſe Zeilen können Ihnen mein Be- dauern, daß ich nicht zu Hauſe bin Sie zu empfangen, nicht ausdrücken! Ich habe den wahnſinnig-eiteln Gedanken, daß in der weiten gebildeten Stadt doch keiner ſich befindet, der ſo durchdrungen ſein kann von dem, was Sie zu leiſten ver- mögen, es auffaſſen kann wie ich, was Sie ſind; und der auch das anſcheinend minder Gelungene ſo zu ſtellen und zu deuten weiß! Ich möchte Sie empfangen, beherbergen: Ihnen jede materielle Sorge und Beſorgung abnehmen: ich Sie ap- plaudiren; mit Einem Wort, ich die Ceremonien-Fürſtin der Stadt nur auf eine Weile ſein, wie ich es jedesmal mit Lei- denſchaft wünſche, wenn ein Künſtler in ihren Mauern iſt; Einer, der die Macht hat, das Großartige darzuſtellen, ohne Übereinkunftsmanier; dem es gegeben iſt, die Leidenſchaft zu kennen, und die Mittel, ſie in allen ihren Abſchattungen, auch den wenigſt Aufmerkſamen, in einer Art muſikaliſchem Maß und Haltung zu zeigen; der die Natur der Dinge ſchnell jedesmal findet, und auch die Mittel, ſie auszudrücken. Sie ſehn, ich tödte mich, das zu beſchreiben, was geſegnete Künſt- ler ſind: ſagen kann ich’s nicht; aber ich weiß es. Auch mich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/501
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/501>, abgerufen am 21.12.2024.