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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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An Varnhagen, in Karlsruhe.


Nach großem Regen von gestern, schönes regnerisches
Wetter.

Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo
nur unsere Leute spielten, und Kast's mit mir waren, wo ich
einen großen Thaler verspielt habe, auf schönen Nummern;
17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver-
stand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der
gestern Abend noch freundlichst vor meinem Hause um halb
12 hielt; mir deinen lieben englischen Brief reichen ließ, und
mir versprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. -- Ich
sehne mich sehr nach dir. War gestern sehr empfindlich: war
von einem Sonnenuntergang -- wie er vielleicht alle dreißig
Jahr sich macht: ich sah ihn mit Hannchen und Auguste: sie
waren ganz hin davon. Gold. Feengold -- wie von der
rührendsten Menschenscene ergriffen; in größter Emotion:
weinte den Abend ordentlich, als Narischkin russisch-spanische
Lieder sang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen.
Darauf kam dein liebster Brief, und der Stael ihr Tod!
"Lourdement et profondement!" (Als man sie zuletzt gefragt
hatte, ob sie geschlafen.) Freilich. So ist's. Nur ein tiefe-
res
Schlafen; das ist auch unser Leben: (dies fühl' ich
alles, wie das Dasein.) -- ein Schlaf in einem größern Leben;
und man ist nicht gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in
den andern; wenigstens ist's gewiß selten so; und kann sehr
gut anders sein
. Das hab' ich alles an meinen Schlaf-

An Varnhagen, in Karlsruhe.


Nach großem Regen von geſtern, ſchönes regneriſches
Wetter.

Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo
nur unſere Leute ſpielten, und Kaſt’s mit mir waren, wo ich
einen großen Thaler verſpielt habe, auf ſchönen Nummern;
17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver-
ſtand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der
geſtern Abend noch freundlichſt vor meinem Hauſe um halb
12 hielt; mir deinen lieben engliſchen Brief reichen ließ, und
mir verſprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. — Ich
ſehne mich ſehr nach dir. War geſtern ſehr empfindlich: war
von einem Sonnenuntergang — wie er vielleicht alle dreißig
Jahr ſich macht: ich ſah ihn mit Hannchen und Auguſte: ſie
waren ganz hin davon. Gold. Feengold — wie von der
rührendſten Menſchenſcene ergriffen; in größter Emotion:
weinte den Abend ordentlich, als Nariſchkin ruſſiſch-ſpaniſche
Lieder ſang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen.
Darauf kam dein liebſter Brief, und der Staël ihr Tod!
„Lourdement et profondément!” (Als man ſie zuletzt gefragt
hatte, ob ſie geſchlafen.) Freilich. So iſt’s. Nur ein tiefe-
res
Schlafen; das iſt auch unſer Leben: (dies fühl’ ich
alles, wie das Daſein.) — ein Schlaf in einem größern Leben;
und man iſt nicht gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in
den andern; wenigſtens iſt’s gewiß ſelten ſo; und kann ſehr
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. Das hab’ ich alles an meinen Schlaf-

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[469/0477] An Varnhagen, in Karlsruhe. Baden, Dienstag 1 Uhr Mittag, den 5. Auguſt 1817. Nach großem Regen von geſtern, ſchönes regneriſches Wetter. Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo nur unſere Leute ſpielten, und Kaſt’s mit mir waren, wo ich einen großen Thaler verſpielt habe, auf ſchönen Nummern; 17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver- ſtand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der geſtern Abend noch freundlichſt vor meinem Hauſe um halb 12 hielt; mir deinen lieben engliſchen Brief reichen ließ, und mir verſprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. — Ich ſehne mich ſehr nach dir. War geſtern ſehr empfindlich: war von einem Sonnenuntergang — wie er vielleicht alle dreißig Jahr ſich macht: ich ſah ihn mit Hannchen und Auguſte: ſie waren ganz hin davon. Gold. Feengold — wie von der rührendſten Menſchenſcene ergriffen; in größter Emotion: weinte den Abend ordentlich, als Nariſchkin ruſſiſch-ſpaniſche Lieder ſang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen. Darauf kam dein liebſter Brief, und der Staël ihr Tod! „Lourdement et profondément!” (Als man ſie zuletzt gefragt hatte, ob ſie geſchlafen.) Freilich. So iſt’s. Nur ein tiefe- res Schlafen; das iſt auch unſer Leben: (dies fühl’ ich alles, wie das Daſein.) — ein Schlaf in einem größern Leben; und man iſt nicht gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in den andern; wenigſtens iſt’s gewiß ſelten ſo; und kann ſehr gut anders ſein. Das hab’ ich alles an meinen Schlaf-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/477>, abgerufen am 21.12.2024.