Nach großem Regen von gestern, schönes regnerisches Wetter.
Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo nur unsere Leute spielten, und Kast's mit mir waren, wo ich einen großen Thaler verspielt habe, auf schönen Nummern; 17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver- stand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der gestern Abend noch freundlichst vor meinem Hause um halb 12 hielt; mir deinen lieben englischen Brief reichen ließ, und mir versprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. -- Ich sehne mich sehr nach dir. War gestern sehr empfindlich: war von einem Sonnenuntergang -- wie er vielleicht alle dreißig Jahr sich macht: ich sah ihn mit Hannchen und Auguste: sie waren ganz hin davon. Gold. Feengold -- wie von der rührendsten Menschenscene ergriffen; in größter Emotion: weinte den Abend ordentlich, als Narischkin russisch-spanische Lieder sang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen. Darauf kam dein liebster Brief, und der Stael ihr Tod! "Lourdement et profondement!" (Als man sie zuletzt gefragt hatte, ob sie geschlafen.) Freilich. So ist's. Nur ein tiefe- res Schlafen; das ist auch unser Leben: (dies fühl' ich alles, wie das Dasein.) -- ein Schlaf in einem größern Leben; und man ist nicht gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in den andern; wenigstens ist's gewiß selten so; und kann sehr gut anders sein. Das hab' ich alles an meinen Schlaf-
An Varnhagen, in Karlsruhe.
Baden, Dienstag 1 Uhr Mittag, den 5. Auguſt 1817.
Nach großem Regen von geſtern, ſchönes regneriſches Wetter.
Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo nur unſere Leute ſpielten, und Kaſt’s mit mir waren, wo ich einen großen Thaler verſpielt habe, auf ſchönen Nummern; 17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver- ſtand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der geſtern Abend noch freundlichſt vor meinem Hauſe um halb 12 hielt; mir deinen lieben engliſchen Brief reichen ließ, und mir verſprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. — Ich ſehne mich ſehr nach dir. War geſtern ſehr empfindlich: war von einem Sonnenuntergang — wie er vielleicht alle dreißig Jahr ſich macht: ich ſah ihn mit Hannchen und Auguſte: ſie waren ganz hin davon. Gold. Feengold — wie von der rührendſten Menſchenſcene ergriffen; in größter Emotion: weinte den Abend ordentlich, als Nariſchkin ruſſiſch-ſpaniſche Lieder ſang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen. Darauf kam dein liebſter Brief, und der Staël ihr Tod! „Lourdement et profondément!” (Als man ſie zuletzt gefragt hatte, ob ſie geſchlafen.) Freilich. So iſt’s. Nur ein tiefe- res Schlafen; das iſt auch unſer Leben: (dies fühl’ ich alles, wie das Daſein.) — ein Schlaf in einem größern Leben; und man iſt nicht gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in den andern; wenigſtens iſt’s gewiß ſelten ſo; und kann ſehr gut anders ſein. Das hab’ ich alles an meinen Schlaf-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0477"n="469"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in Karlsruhe.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Baden, Dienstag 1 Uhr Mittag, den 5. Auguſt 1817.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Nach <hirendition="#g">großem</hi> Regen von geſtern, <hirendition="#g">ſchönes</hi> regneriſches<lb/>
Wetter.</hi></p><lb/><p>Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo<lb/><hirendition="#g">nur</hi> unſere Leute ſpielten, und Kaſt’s mit mir waren, wo ich<lb/>
einen großen Thaler verſpielt habe, auf ſchönen Nummern;<lb/>
17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver-<lb/>ſtand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der<lb/>
geſtern Abend noch freundlichſt vor meinem Hauſe um halb<lb/>
12 hielt; mir deinen lieben engliſchen Brief reichen ließ, und<lb/>
mir verſprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. — Ich<lb/>ſehne mich ſehr nach dir. War geſtern ſehr empfindlich: war<lb/>
von einem Sonnenuntergang — wie er vielleicht alle dreißig<lb/>
Jahr ſich macht: ich ſah ihn mit Hannchen und Auguſte: ſie<lb/>
waren ganz hin davon. <hirendition="#g">Gold</hi>. Feengold — wie von der<lb/>
rührendſten Menſchenſcene ergriffen; in größter Emotion:<lb/>
weinte den Abend ordentlich, als Nariſchkin ruſſiſch-ſpaniſche<lb/>
Lieder ſang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen.<lb/>
Darauf kam dein liebſter Brief, und der Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l ihr Tod!<lb/><hirendition="#aq">„Lourdement et profondément!”</hi> (Als man ſie zuletzt gefragt<lb/>
hatte, ob ſie geſchlafen.) Freilich. So iſt’s. Nur ein <hirendition="#g">tiefe-<lb/>
res</hi> Schlafen; das iſt auch unſer <hirendition="#g">Leben</hi>: (dies <hirendition="#g">fühl’</hi> ich<lb/>
alles, wie das Daſein.) — ein Schlaf in einem größern Leben;<lb/>
und man iſt <hirendition="#g">nicht</hi> gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in<lb/>
den andern; wenigſtens iſt’s gewiß ſelten ſo; und kann <hirendition="#g">ſehr<lb/>
gut anders ſein</hi>. Das hab’ ich alles an <hirendition="#g">meinen</hi> Schlaf-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[469/0477]
An Varnhagen, in Karlsruhe.
Baden, Dienstag 1 Uhr Mittag, den 5. Auguſt 1817.
Nach großem Regen von geſtern, ſchönes regneriſches
Wetter.
Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo
nur unſere Leute ſpielten, und Kaſt’s mit mir waren, wo ich
einen großen Thaler verſpielt habe, auf ſchönen Nummern;
17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver-
ſtand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der
geſtern Abend noch freundlichſt vor meinem Hauſe um halb
12 hielt; mir deinen lieben engliſchen Brief reichen ließ, und
mir verſprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. — Ich
ſehne mich ſehr nach dir. War geſtern ſehr empfindlich: war
von einem Sonnenuntergang — wie er vielleicht alle dreißig
Jahr ſich macht: ich ſah ihn mit Hannchen und Auguſte: ſie
waren ganz hin davon. Gold. Feengold — wie von der
rührendſten Menſchenſcene ergriffen; in größter Emotion:
weinte den Abend ordentlich, als Nariſchkin ruſſiſch-ſpaniſche
Lieder ſang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen.
Darauf kam dein liebſter Brief, und der Staël ihr Tod!
„Lourdement et profondément!” (Als man ſie zuletzt gefragt
hatte, ob ſie geſchlafen.) Freilich. So iſt’s. Nur ein tiefe-
res Schlafen; das iſt auch unſer Leben: (dies fühl’ ich
alles, wie das Daſein.) — ein Schlaf in einem größern Leben;
und man iſt nicht gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in
den andern; wenigſtens iſt’s gewiß ſelten ſo; und kann ſehr
gut anders ſein. Das hab’ ich alles an meinen Schlaf-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/477>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.