-- man pflegt Zerstreuendes zu sagen -- von außen; wobei man faul sein darf: ich will sagen recht innerlich thätig. So ist's bestimmt im Himmel; hier bringt man seine Tage in lau- ter Zubereitungen um; und findet zum öftersten das Viertel- stündchen Ertrag nicht. Was recht widernatürlich ist, nennt sich Pflicht, und hat Götter und Menschen für sich, und wider uns.
Was ich sagen kann, kommt mir dumm, spielhaft, über- flüssig vor: besonders seit ich F's Buch gelesen. Er sagt kunst- los, und ungeordnet alles darin. -- Hätte er das Buch be- titelt: "Menschlicher Kopf, wie er ist, vor Gebärung eines Buches", und hätte es vorsätzlich so geschrieben, und das Ver- renken des Geistes, und alles Geistigen nach dem positiven Glauben hin, ausscheiden können, mit noch anderm Willkür- lichen mitten im Gedachten, so wär's ein Meisterstück. Lesen Sie's? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Gesichte, das ist im Leben die Hauptsache, wenn es nicht die einzige ist: nämlich wenn man sinnenklug dabei ist. Adieu.
Ihre R.
An Astolf Grafen von Custine, in Fervaques.
Karlsruhe, Donnerstag Mittag den 16. Januar 1817.
Ziemlich heiteres Wetter.
Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava- ter. (Unten am Titelblatt steht:) Manuskript. -- Dies Bü- chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü- scheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge-
— man pflegt Zerſtreuendes zu ſagen — von außen; wobei man faul ſein darf: ich will ſagen recht innerlich thätig. So iſt’s beſtimmt im Himmel; hier bringt man ſeine Tage in lau- ter Zubereitungen um; und findet zum öfterſten das Viertel- ſtündchen Ertrag nicht. Was recht widernatürlich iſt, nennt ſich Pflicht, und hat Götter und Menſchen für ſich, und wider uns.
Was ich ſagen kann, kommt mir dumm, ſpielhaft, über- flüſſig vor: beſonders ſeit ich F’s Buch geleſen. Er ſagt kunſt- los, und ungeordnet alles darin. — Hätte er das Buch be- titelt: „Menſchlicher Kopf, wie er iſt, vor Gebärung eines Buches“, und hätte es vorſätzlich ſo geſchrieben, und das Ver- renken des Geiſtes, und alles Geiſtigen nach dem poſitiven Glauben hin, ausſcheiden können, mit noch anderm Willkür- lichen mitten im Gedachten, ſo wär’s ein Meiſterſtück. Leſen Sie’s? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Geſichte, das iſt im Leben die Hauptſache, wenn es nicht die einzige iſt: nämlich wenn man ſinnenklug dabei iſt. Adieu.
Ihre R.
An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.
Karlsruhe, Donnerstag Mittag den 16. Januar 1817.
Ziemlich heiteres Wetter.
Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava- ter. (Unten am Titelblatt ſteht:) Manuſkript. — Dies Bü- chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü- ſcheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0444"n="436"/>— man pflegt Zerſtreuendes zu ſagen — von außen; wobei<lb/>
man faul ſein darf: ich will ſagen recht innerlich thätig. So<lb/>
iſt’s beſtimmt im Himmel; hier bringt man ſeine Tage in lau-<lb/>
ter Zubereitungen um; und findet zum öfterſten das Viertel-<lb/>ſtündchen Ertrag nicht. Was recht <hirendition="#g">wider</hi>natürlich iſt, nennt<lb/>ſich <hirendition="#g">Pflicht</hi>, und hat Götter und Menſchen für ſich, und<lb/>
wider uns.</p><lb/><p>Was ich ſagen kann, kommt mir dumm, ſpielhaft, über-<lb/>
flüſſig vor: beſonders ſeit ich F’s Buch geleſen. Er ſagt kunſt-<lb/>
los, und ungeordnet <hirendition="#g">alles</hi> darin. — Hätte er das Buch be-<lb/>
titelt: „Menſchlicher Kopf, wie er iſt, vor Gebärung eines<lb/>
Buches“, und hätte es vorſätzlich ſo geſchrieben, und das Ver-<lb/>
renken des Geiſtes, und alles Geiſtigen nach dem poſitiven<lb/>
Glauben hin, ausſcheiden können, mit noch anderm Willkür-<lb/>
lichen mitten im Gedachten, ſo wär’s ein Meiſterſtück. Leſen<lb/>
Sie’s? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Geſichte,<lb/>
das iſt im Leben die <hirendition="#g">Haupt</hi>ſache, wenn es nicht die <hirendition="#g">einzige</hi><lb/>
iſt: nämlich wenn man ſinnenklug dabei iſt. Adieu.</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et">Ihre R.</hi></salute></closer></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Karlsruhe, Donnerstag Mittag den 16. Januar 1817.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Ziemlich heiteres Wetter.</hi></p><lb/><p>Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava-<lb/>
ter. (Unten am Titelblatt ſteht:) Manuſkript. — Dies Bü-<lb/>
chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü-<lb/>ſcheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[436/0444]
— man pflegt Zerſtreuendes zu ſagen — von außen; wobei
man faul ſein darf: ich will ſagen recht innerlich thätig. So
iſt’s beſtimmt im Himmel; hier bringt man ſeine Tage in lau-
ter Zubereitungen um; und findet zum öfterſten das Viertel-
ſtündchen Ertrag nicht. Was recht widernatürlich iſt, nennt
ſich Pflicht, und hat Götter und Menſchen für ſich, und
wider uns.
Was ich ſagen kann, kommt mir dumm, ſpielhaft, über-
flüſſig vor: beſonders ſeit ich F’s Buch geleſen. Er ſagt kunſt-
los, und ungeordnet alles darin. — Hätte er das Buch be-
titelt: „Menſchlicher Kopf, wie er iſt, vor Gebärung eines
Buches“, und hätte es vorſätzlich ſo geſchrieben, und das Ver-
renken des Geiſtes, und alles Geiſtigen nach dem poſitiven
Glauben hin, ausſcheiden können, mit noch anderm Willkür-
lichen mitten im Gedachten, ſo wär’s ein Meiſterſtück. Leſen
Sie’s? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Geſichte,
das iſt im Leben die Hauptſache, wenn es nicht die einzige
iſt: nämlich wenn man ſinnenklug dabei iſt. Adieu.
Ihre R.
An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.
Karlsruhe, Donnerstag Mittag den 16. Januar 1817.
Ziemlich heiteres Wetter.
Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava-
ter. (Unten am Titelblatt ſteht:) Manuſkript. — Dies Bü-
chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü-
ſcheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/444>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.