Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

-- man pflegt Zerstreuendes zu sagen -- von außen; wobei
man faul sein darf: ich will sagen recht innerlich thätig. So
ist's bestimmt im Himmel; hier bringt man seine Tage in lau-
ter Zubereitungen um; und findet zum öftersten das Viertel-
stündchen Ertrag nicht. Was recht widernatürlich ist, nennt
sich Pflicht, und hat Götter und Menschen für sich, und
wider uns.

Was ich sagen kann, kommt mir dumm, spielhaft, über-
flüssig vor: besonders seit ich F's Buch gelesen. Er sagt kunst-
los, und ungeordnet alles darin. -- Hätte er das Buch be-
titelt: "Menschlicher Kopf, wie er ist, vor Gebärung eines
Buches", und hätte es vorsätzlich so geschrieben, und das Ver-
renken des Geistes, und alles Geistigen nach dem positiven
Glauben hin, ausscheiden können, mit noch anderm Willkür-
lichen mitten im Gedachten, so wär's ein Meisterstück. Lesen
Sie's? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Gesichte,
das ist im Leben die Hauptsache, wenn es nicht die einzige
ist: nämlich wenn man sinnenklug dabei ist. Adieu.

Ihre R.


An Astolf Grafen von Custine, in Fervaques.


Ziemlich heiteres Wetter.

Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava-
ter. (Unten am Titelblatt steht:) Manuskript. -- Dies Bü-
chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü-
scheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge-

— man pflegt Zerſtreuendes zu ſagen — von außen; wobei
man faul ſein darf: ich will ſagen recht innerlich thätig. So
iſt’s beſtimmt im Himmel; hier bringt man ſeine Tage in lau-
ter Zubereitungen um; und findet zum öfterſten das Viertel-
ſtündchen Ertrag nicht. Was recht widernatürlich iſt, nennt
ſich Pflicht, und hat Götter und Menſchen für ſich, und
wider uns.

Was ich ſagen kann, kommt mir dumm, ſpielhaft, über-
flüſſig vor: beſonders ſeit ich F’s Buch geleſen. Er ſagt kunſt-
los, und ungeordnet alles darin. — Hätte er das Buch be-
titelt: „Menſchlicher Kopf, wie er iſt, vor Gebärung eines
Buches“, und hätte es vorſätzlich ſo geſchrieben, und das Ver-
renken des Geiſtes, und alles Geiſtigen nach dem poſitiven
Glauben hin, ausſcheiden können, mit noch anderm Willkür-
lichen mitten im Gedachten, ſo wär’s ein Meiſterſtück. Leſen
Sie’s? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Geſichte,
das iſt im Leben die Hauptſache, wenn es nicht die einzige
iſt: nämlich wenn man ſinnenklug dabei iſt. Adieu.

Ihre R.


An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.


Ziemlich heiteres Wetter.

Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava-
ter. (Unten am Titelblatt ſteht:) Manuſkript. — Dies Bü-
chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü-
ſcheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0444" n="436"/>
&#x2014; man pflegt Zer&#x017F;treuendes zu &#x017F;agen &#x2014; von außen; wobei<lb/>
man faul &#x017F;ein darf: ich will &#x017F;agen recht innerlich thätig. So<lb/>
i&#x017F;t&#x2019;s be&#x017F;timmt im Himmel; hier bringt man &#x017F;eine Tage in lau-<lb/>
ter Zubereitungen um; und findet zum öfter&#x017F;ten das Viertel-<lb/>
&#x017F;tündchen Ertrag nicht. Was recht <hi rendition="#g">wider</hi>natürlich i&#x017F;t, nennt<lb/>
&#x017F;ich <hi rendition="#g">Pflicht</hi>, und hat Götter und Men&#x017F;chen für &#x017F;ich, und<lb/>
wider uns.</p><lb/>
          <p>Was ich &#x017F;agen kann, kommt mir dumm, &#x017F;pielhaft, über-<lb/>
flü&#x017F;&#x017F;ig vor: be&#x017F;onders &#x017F;eit ich F&#x2019;s Buch gele&#x017F;en. Er &#x017F;agt kun&#x017F;t-<lb/>
los, und ungeordnet <hi rendition="#g">alles</hi> darin. &#x2014; Hätte er das Buch be-<lb/>
titelt: &#x201E;Men&#x017F;chlicher Kopf, wie er i&#x017F;t, vor Gebärung eines<lb/>
Buches&#x201C;, und hätte es vor&#x017F;ätzlich &#x017F;o ge&#x017F;chrieben, und das Ver-<lb/>
renken des Gei&#x017F;tes, und alles Gei&#x017F;tigen nach dem po&#x017F;itiven<lb/>
Glauben hin, aus&#x017F;cheiden können, mit noch anderm Willkür-<lb/>
lichen mitten im Gedachten, &#x017F;o wär&#x2019;s ein Mei&#x017F;ter&#x017F;tück. Le&#x017F;en<lb/>
Sie&#x2019;s? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Ge&#x017F;ichte,<lb/>
das i&#x017F;t im Leben die <hi rendition="#g">Haupt</hi>&#x017F;ache, wenn es nicht die <hi rendition="#g">einzige</hi><lb/>
i&#x017F;t: nämlich wenn man &#x017F;innenklug dabei i&#x017F;t. Adieu.</p><lb/>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#et">Ihre R.</hi> </salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An A&#x017F;tolf Grafen von Cu&#x017F;tine, in Fervaques.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Karlsruhe, Donnerstag Mittag den 16. Januar 1817.</hi> </dateline><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Ziemlich heiteres Wetter.</hi> </p><lb/>
          <p>Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava-<lb/>
ter. (Unten am Titelblatt &#x017F;teht:) Manu&#x017F;kript. &#x2014; Dies Bü-<lb/>
chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü-<lb/>
&#x017F;cheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0444] — man pflegt Zerſtreuendes zu ſagen — von außen; wobei man faul ſein darf: ich will ſagen recht innerlich thätig. So iſt’s beſtimmt im Himmel; hier bringt man ſeine Tage in lau- ter Zubereitungen um; und findet zum öfterſten das Viertel- ſtündchen Ertrag nicht. Was recht widernatürlich iſt, nennt ſich Pflicht, und hat Götter und Menſchen für ſich, und wider uns. Was ich ſagen kann, kommt mir dumm, ſpielhaft, über- flüſſig vor: beſonders ſeit ich F’s Buch geleſen. Er ſagt kunſt- los, und ungeordnet alles darin. — Hätte er das Buch be- titelt: „Menſchlicher Kopf, wie er iſt, vor Gebärung eines Buches“, und hätte es vorſätzlich ſo geſchrieben, und das Ver- renken des Geiſtes, und alles Geiſtigen nach dem poſitiven Glauben hin, ausſcheiden können, mit noch anderm Willkür- lichen mitten im Gedachten, ſo wär’s ein Meiſterſtück. Leſen Sie’s? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Geſichte, das iſt im Leben die Hauptſache, wenn es nicht die einzige iſt: nämlich wenn man ſinnenklug dabei iſt. Adieu. Ihre R. An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques. Karlsruhe, Donnerstag Mittag den 16. Januar 1817. Ziemlich heiteres Wetter. Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava- ter. (Unten am Titelblatt ſteht:) Manuſkript. — Dies Bü- chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü- ſcheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/444
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/444>, abgerufen am 21.11.2024.