Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

u. s. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die hiesigen Di-
plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle
auf einem Klumpen; Gott, du hast's gesehen! Hier in Frank-
furt habe ich mir überhaupt in der Einsamkeit und bei Goe-
thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philosophie der
Geschichte, sehr viel ausgedacht. Herder ist merkwürdig.
Ganz weit, unbezähmt in seinen Ideen, in seinen Einfällen,
Voraussetzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogist
für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er-
scheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens
Beschreibung! --

Der Kr. v. W. hat wieder nach dir gefragt, und be-
greift nicht, warum er dich nicht gesehen. So sind die Men-
schen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber
alles nicht helfen! Wir müssen Alle auf den Bettchen schla-
fen, die wir uns machen. Publizisten, "Marquisinnen, Prin-
zessinnen, Bauergretchen;" Leporello in Don Juan. --



An Varnhagen, in Paris.


Nur wenige Zeit hab' ich, weil die Post geht, und gestern
nahmen mir den Tag Barnekow's; und Abends war ich und
besonders meine Augen zu schwach. -- Deinen Brief vom 18.
erhielt ich gestern Mittag durch Otterst. bei Barnekow's, mit
denen ich spaziren gewesen war, und eben speisen wollte.
Fouche wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches sie

u. ſ. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die hieſigen Di-
plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle
auf einem Klumpen; Gott, du haſt’s geſehen! Hier in Frank-
furt habe ich mir überhaupt in der Einſamkeit und bei Goe-
thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philoſophie der
Geſchichte, ſehr viel ausgedacht. Herder iſt merkwürdig.
Ganz weit, unbezähmt in ſeinen Ideen, in ſeinen Einfällen,
Vorausſetzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogiſt
für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er-
ſcheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens
Beſchreibung! —

Der Kr. v. W. hat wieder nach dir gefragt, und be-
greift nicht, warum er dich nicht geſehen. So ſind die Men-
ſchen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber
alles nicht helfen! Wir müſſen Alle auf den Bettchen ſchla-
fen, die wir uns machen. Publiziſten, „Marquiſinnen, Prin-
zeſſinnen, Bauergretchen;“ Leporello in Don Juan. —



An Varnhagen, in Paris.


Nur wenige Zeit hab’ ich, weil die Poſt geht, und geſtern
nahmen mir den Tag Barnekow’s; und Abends war ich und
beſonders meine Augen zu ſchwach. — Deinen Brief vom 18.
erhielt ich geſtern Mittag durch Otterſt. bei Barnekow’s, mit
denen ich ſpaziren geweſen war, und eben ſpeiſen wollte.
Fouché wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0362" n="354"/>
u. &#x017F;. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die <hi rendition="#g">hie&#x017F;igen</hi> Di-<lb/>
plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle<lb/>
auf einem Klumpen; <hi rendition="#g">Gott</hi>, du ha&#x017F;t&#x2019;s ge&#x017F;ehen! Hier in Frank-<lb/>
furt habe ich mir überhaupt in der Ein&#x017F;amkeit und bei Goe-<lb/>
thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philo&#x017F;ophie der<lb/>
Ge&#x017F;chichte, &#x017F;ehr viel ausgedacht. Herder i&#x017F;t <hi rendition="#g">merkwürdig</hi>.<lb/>
Ganz weit, unbezähmt in &#x017F;einen Ideen, in &#x017F;einen Einfällen,<lb/>
Voraus&#x017F;etzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogi&#x017F;t<lb/>
für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er-<lb/>
&#x017F;cheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens<lb/>
Be&#x017F;chreibung! &#x2014;</p><lb/>
            <p>Der Kr. v. W. hat <hi rendition="#g">wieder</hi> nach dir gefragt, und be-<lb/>
greift nicht, warum er dich nicht ge&#x017F;ehen. So <hi rendition="#g">&#x017F;ind</hi> die Men-<lb/>
&#x017F;chen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber<lb/>
alles nicht helfen! Wir mü&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#g">Alle</hi> auf den Bettchen &#x017F;chla-<lb/>
fen, die wir uns machen. Publizi&#x017F;ten, &#x201E;Marqui&#x017F;innen, Prin-<lb/>
ze&#x017F;&#x017F;innen, Bauergretchen;&#x201C; Leporello in Don Juan. &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Paris.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Frankfurt a. M. Dienstag Morgen 9 Uhr den 24. Oktober 1815.<lb/>
Neblig, und Hoffnung zu &#x017F;chönem Wetter.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Nur wenige Zeit hab&#x2019; ich, weil die Po&#x017F;t geht, und ge&#x017F;tern<lb/>
nahmen mir den Tag Barnekow&#x2019;s; und Abends war ich und<lb/>
be&#x017F;onders meine Augen zu &#x017F;chwach. &#x2014; Deinen Brief vom 18.<lb/>
erhielt ich ge&#x017F;tern Mittag durch Otter&#x017F;t. bei Barnekow&#x2019;s, mit<lb/>
denen ich &#x017F;paziren gewe&#x017F;en war, und eben &#x017F;pei&#x017F;en wollte.<lb/>
Fouch<hi rendition="#aq">é</hi> wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches &#x017F;ie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0362] u. ſ. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die hieſigen Di- plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle auf einem Klumpen; Gott, du haſt’s geſehen! Hier in Frank- furt habe ich mir überhaupt in der Einſamkeit und bei Goe- thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philoſophie der Geſchichte, ſehr viel ausgedacht. Herder iſt merkwürdig. Ganz weit, unbezähmt in ſeinen Ideen, in ſeinen Einfällen, Vorausſetzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogiſt für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er- ſcheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens Beſchreibung! — Der Kr. v. W. hat wieder nach dir gefragt, und be- greift nicht, warum er dich nicht geſehen. So ſind die Men- ſchen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber alles nicht helfen! Wir müſſen Alle auf den Bettchen ſchla- fen, die wir uns machen. Publiziſten, „Marquiſinnen, Prin- zeſſinnen, Bauergretchen;“ Leporello in Don Juan. — An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. Dienstag Morgen 9 Uhr den 24. Oktober 1815. Neblig, und Hoffnung zu ſchönem Wetter. Nur wenige Zeit hab’ ich, weil die Poſt geht, und geſtern nahmen mir den Tag Barnekow’s; und Abends war ich und beſonders meine Augen zu ſchwach. — Deinen Brief vom 18. erhielt ich geſtern Mittag durch Otterſt. bei Barnekow’s, mit denen ich ſpaziren geweſen war, und eben ſpeiſen wollte. Fouché wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/362
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/362>, abgerufen am 21.12.2024.