mehr und mehr jenes Meer versiegt, und anderm Unbekann- ten weichen muß, und längst, längst weicht; nur die Sonne, die Nahrung und Geist ist, steht noch oben, und behauptet den alten Gang noch.
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. den 5. September 1815. Dienstag Mittag 1 Uhr.
Diesen Augenblick, mein August, erhalt' ich deinen Brief vom 30. mit Troxlers drin, den ich noch nicht gelesen habe: mit Thränen in den Augen setz' ich mich hin, dir für deine Liebe zu antworten. Ich war schon auf meinen Knieen -- man sollte so etwas nicht sagen! -- Gott zu bitten, obgleich ich in allen seinen Willen ergebner bin, als in meinen, daß er mich zu dir führe. -- Du hast es zu sehr nöthig, ich leide zu sehr, wenn du entfernt bist. -- Ich bin über dein, also unser künftiges Schicksal sehr ruhig; hat es sich doch unter ungünstigern Umständen gefunden. Der Kanzler wogt zu sehr; er wogt auf der großen Stelle, die vielen Wellen machen ihn schwanken, wie Alle, die sich auf so reichem Meere befinden. Ich glaube dir auch, daß er viel kämpfte: aber es ist wahrlich ein Kampf, und ein Einzelner kann ihn mit den größten Ein- sichten nur von ungefähr entscheiden. Über den Tod denk' ich wie du; wir wollen zusammenbleiben. So eben erhielt ich wieder von der Arnstein und der Ephraim die liebendsten Briefe, ich werde sie dir künftig schicken, weil ich sie erst Jul- chen mittheilen muß. Mach dir kein Gewissen, treuster, liebe-
mehr und mehr jenes Meer verſiegt, und anderm Unbekann- ten weichen muß, und längſt, längſt weicht; nur die Sonne, die Nahrung und Geiſt iſt, ſteht noch oben, und behauptet den alten Gang noch.
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. den 5. September 1815. Dienstag Mittag 1 Uhr.
Dieſen Augenblick, mein Auguſt, erhalt’ ich deinen Brief vom 30. mit Troxlers drin, den ich noch nicht geleſen habe: mit Thränen in den Augen ſetz’ ich mich hin, dir für deine Liebe zu antworten. Ich war ſchon auf meinen Knieen — man ſollte ſo etwas nicht ſagen! — Gott zu bitten, obgleich ich in allen ſeinen Willen ergebner bin, als in meinen, daß er mich zu dir führe. — Du haſt es zu ſehr nöthig, ich leide zu ſehr, wenn du entfernt biſt. — Ich bin über dein, alſo unſer künftiges Schickſal ſehr ruhig; hat es ſich doch unter ungünſtigern Umſtänden gefunden. Der Kanzler wogt zu ſehr; er wogt auf der großen Stelle, die vielen Wellen machen ihn ſchwanken, wie Alle, die ſich auf ſo reichem Meere befinden. Ich glaube dir auch, daß er viel kämpfte: aber es iſt wahrlich ein Kampf, und ein Einzelner kann ihn mit den größten Ein- ſichten nur von ungefähr entſcheiden. Über den Tod denk’ ich wie du; wir wollen zuſammenbleiben. So eben erhielt ich wieder von der Arnſtein und der Ephraim die liebendſten Briefe, ich werde ſie dir künftig ſchicken, weil ich ſie erſt Jul- chen mittheilen muß. Mach dir kein Gewiſſen, treuſter, liebe-
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mehr und mehr jenes Meer verſiegt, und anderm Unbekann-
ten weichen muß, und längſt, längſt weicht; nur die Sonne,
die Nahrung und Geiſt iſt, ſteht noch oben, und behauptet
den alten Gang noch.
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. den 5. September 1815.
Dienstag Mittag 1 Uhr.
Dieſen Augenblick, mein Auguſt, erhalt’ ich deinen Brief
vom 30. mit Troxlers drin, den ich noch nicht geleſen habe:
mit Thränen in den Augen ſetz’ ich mich hin, dir für deine
Liebe zu antworten. Ich war ſchon auf meinen Knieen —
man ſollte ſo etwas nicht ſagen! — Gott zu bitten, obgleich
ich in allen ſeinen Willen ergebner bin, als in meinen, daß
er mich zu dir führe. — Du haſt es zu ſehr nöthig, ich leide
zu ſehr, wenn du entfernt biſt. — Ich bin über dein, alſo
unſer künftiges Schickſal ſehr ruhig; hat es ſich doch unter
ungünſtigern Umſtänden gefunden. Der Kanzler wogt zu ſehr;
er wogt auf der großen Stelle, die vielen Wellen machen ihn
ſchwanken, wie Alle, die ſich auf ſo reichem Meere befinden.
Ich glaube dir auch, daß er viel kämpfte: aber es iſt wahrlich
ein Kampf, und ein Einzelner kann ihn mit den größten Ein-
ſichten nur von ungefähr entſcheiden. Über den Tod denk’ ich
wie du; wir wollen zuſammenbleiben. So eben erhielt ich
wieder von der Arnſtein und der Ephraim die liebendſten
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/333>, abgerufen am 21.11.2024.
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