Holder Karakter! Ich wäre rasend geworden, wenn sie mich nach einer andern Station gefahren hätten. Aber See- len, wie Sie, geschieht und entwickelt sich alles leichter, weil sie alles leichter, auch loser, nehmen; aber sehen Sie auch Ein- mal mein Gesicht, und Ihres! Wenn die Natur -- und was ist die Natur? Alles; von Anbeginn an: Kleinigkeiten! -- solche Dekrete ausspricht, dann wehre sich mal Einer; oder bessere sich! Was hätte ich nicht gleich beim ersten Deichsel- bruch für verdeichselte Brüche gesehen! und für Dukaten im Geiste schwinden! -- Eins bitt' ich mir aus, Traute! -- Sie sollen mir nämlich im äußersten Detail trauen! -- über Ihre Angelegenheiten haben Sie holt die Gnod! mich immer sehr au fait zu setzen; sonst sitz' ich und zerbreche mir immerweg den Kopf mit den größten Sorgen. Die grünen Bohnen, den Spargel, habe ich Ihnen -- auch mit einigem Nachrechnen -- beneidet; hier weiß ich vom Frühling nichts, als daß Schnee Koth geworden ist: und die Wirthinnen schreien, es sei nichts zu haben in der Jahreszeit, und der Theurung. Einmal ko- stet das schmutzige Papiergeld viel, einmal weniger: noch im- mer so! Wunde auf; Wunde zu; "das ist all eins!" Wenn ich Wunde sage, mein' ich als Moderner -- so verstümmelt sind gegen die Antiken -- Janustempel. (Warum schreib' ich Ihnen heute so sonderbar, außer meinem -- gewöhnlichen --
Holder Karakter! Ich wäre raſend geworden, wenn ſie mich nach einer andern Station gefahren hätten. Aber See- len, wie Sie, geſchieht und entwickelt ſich alles leichter, weil ſie alles leichter, auch loſer, nehmen; aber ſehen Sie auch Ein- mal mein Geſicht, und Ihres! Wenn die Natur — und was iſt die Natur? Alles; von Anbeginn an: Kleinigkeiten! — ſolche Dekrete ausſpricht, dann wehre ſich mal Einer; oder beſſere ſich! Was hätte ich nicht gleich beim erſten Deichſel- bruch für verdeichſelte Brüche geſehen! und für Dukaten im Geiſte ſchwinden! — Eins bitt’ ich mir aus, Traute! — Sie ſollen mir nämlich im äußerſten Detail trauen! — über Ihre Angelegenheiten haben Sie holt die Gnod! mich immer ſehr au fait zu ſetzen; ſonſt ſitz’ ich und zerbreche mir immerweg den Kopf mit den größten Sorgen. Die grünen Bohnen, den Spargel, habe ich Ihnen — auch mit einigem Nachrechnen — beneidet; hier weiß ich vom Frühling nichts, als daß Schnee Koth geworden iſt: und die Wirthinnen ſchreien, es ſei nichts zu haben in der Jahreszeit, und der Theurung. Einmal ko- ſtet das ſchmutzige Papiergeld viel, einmal weniger: noch im- mer ſo! Wunde auf; Wunde zu; „das iſt all eins!“ Wenn ich Wunde ſage, mein’ ich als Moderner — ſo verſtümmelt ſind gegen die Antiken — Janustempel. (Warum ſchreib’ ich Ihnen heute ſo ſonderbar, außer meinem — gewöhnlichen —
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[211/0219]
An Auguſte Brede, in Frankfurt a. M.
Prag, den 10. Mai 1814.
Kaltes, trübes, feuchtes, windiges Regenwetter obenein.
Holder Karakter! Ich wäre raſend geworden, wenn ſie
mich nach einer andern Station gefahren hätten. Aber See-
len, wie Sie, geſchieht und entwickelt ſich alles leichter, weil
ſie alles leichter, auch loſer, nehmen; aber ſehen Sie auch Ein-
mal mein Geſicht, und Ihres! Wenn die Natur — und was
iſt die Natur? Alles; von Anbeginn an: Kleinigkeiten!
— ſolche Dekrete ausſpricht, dann wehre ſich mal Einer; oder
beſſere ſich! Was hätte ich nicht gleich beim erſten Deichſel-
bruch für verdeichſelte Brüche geſehen! und für Dukaten im
Geiſte ſchwinden! — Eins bitt’ ich mir aus, Traute! — Sie
ſollen mir nämlich im äußerſten Detail trauen! — über Ihre
Angelegenheiten haben Sie holt die Gnod! mich immer ſehr
au fait zu ſetzen; ſonſt ſitz’ ich und zerbreche mir immerweg
den Kopf mit den größten Sorgen. Die grünen Bohnen, den
Spargel, habe ich Ihnen — auch mit einigem Nachrechnen
— beneidet; hier weiß ich vom Frühling nichts, als daß Schnee
Koth geworden iſt: und die Wirthinnen ſchreien, es ſei nichts
zu haben in der Jahreszeit, und der Theurung. Einmal ko-
ſtet das ſchmutzige Papiergeld viel, einmal weniger: noch im-
mer ſo! Wunde auf; Wunde zu; „das iſt all eins!“ Wenn
ich Wunde ſage, mein’ ich als Moderner — ſo verſtümmelt
ſind gegen die Antiken — Janustempel. (Warum ſchreib’ ich
Ihnen heute ſo ſonderbar, außer meinem — gewöhnlichen —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/219>, abgerufen am 21.11.2024.
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