Unpaß genug! und es ist eine ausgemachte Sache, daß Sie mich noch todt martern: denn mitten in diesen Zuständen bin ich auf nichts beflissen, als Ihnen alles zu erzählen, über alles genaue Rechenschaft zu geben. Dabei steht kein Augen- blick still, und es folgen Ereignisse und Gedanken. Damit nun auch für Sie eine zu verstehende Folge möglich werde, wie es außen und innen übereinander ging, so will ich die Dinge der Zeit nach vortragen, wie sie übereinander gingen. Ein großer Zwang für mich: die ich am affizirtesten vom Letzten bin: und noch mehr von der Furcht, es Ihnen in der Lebendigkeit, die dies besonders heischt, und in welcher es vorging, nicht darstellen zu können. Als Sie ankamen, fan- den Sie mich sehr perplex, -- Sie sahen, glaub' ich, es nicht ganz. Auch dies, die Ursache davon sollen Sie erfahren: aber erst ganz am Ende dieses Briefes. --
Ich erwartete einen Menschen, mit dem ich etwas ab- machen wollte, welches meine ganze Seele unter seiner Ge- walt hatte: dabei -- Sie wissen, was, und auch wohl wie -- hatte ich Ihnen geschrieben, wollte Ihnen noch schreiben, und dachte in dieser Seelenklemme in taktlosen Zwischenräumen an Sie und an das, was ich Ihnen noch sagen wollte. Hauptsächlich war Eines davon dies: daß man, als Unsinni- ger, sein Leben in Schmutz, Unsinn, Dürre, Sand und Wust, in wahnsinnigen Thorheiten, hinrinnen läßt, nicht beachtend,
1 *
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Donnerstag, halb 2 Uhr Mittag, den 9 Januar 1812.
Unpaß genug! und es iſt eine ausgemachte Sache, daß Sie mich noch todt martern: denn mitten in dieſen Zuſtänden bin ich auf nichts befliſſen, als Ihnen alles zu erzählen, über alles genaue Rechenſchaft zu geben. Dabei ſteht kein Augen- blick ſtill, und es folgen Ereigniſſe und Gedanken. Damit nun auch für Sie eine zu verſtehende Folge möglich werde, wie es außen und innen übereinander ging, ſo will ich die Dinge der Zeit nach vortragen, wie ſie übereinander gingen. Ein großer Zwang für mich: die ich am affizirteſten vom Letzten bin: und noch mehr von der Furcht, es Ihnen in der Lebendigkeit, die dies beſonders heiſcht, und in welcher es vorging, nicht darſtellen zu können. Als Sie ankamen, fan- den Sie mich ſehr perplex, — Sie ſahen, glaub’ ich, es nicht ganz. Auch dies, die Urſache davon ſollen Sie erfahren: aber erſt ganz am Ende dieſes Briefes. —
Ich erwartete einen Menſchen, mit dem ich etwas ab- machen wollte, welches meine ganze Seele unter ſeiner Ge- walt hatte: dabei — Sie wiſſen, was, und auch wohl wie — hatte ich Ihnen geſchrieben, wollte Ihnen noch ſchreiben, und dachte in dieſer Seelenklemme in taktloſen Zwiſchenräumen an Sie und an das, was ich Ihnen noch ſagen wollte. Hauptſächlich war Eines davon dies: daß man, als Unſinni- ger, ſein Leben in Schmutz, Unſinn, Dürre, Sand und Wuſt, in wahnſinnigen Thorheiten, hinrinnen läßt, nicht beachtend,
1 *
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0011"n="3"/><divn="2"><head>An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Donnerstag, halb 2 Uhr Mittag, den 9 Januar 1812.</hi></dateline><lb/><p>Unpaß genug! und es iſt eine ausgemachte Sache, daß<lb/>
Sie mich noch todt martern: denn mitten in dieſen Zuſtänden<lb/>
bin ich auf nichts befliſſen, als Ihnen alles zu erzählen, über<lb/>
alles genaue Rechenſchaft zu geben. Dabei ſteht kein Augen-<lb/>
blick ſtill, und es folgen Ereigniſſe und Gedanken. Damit<lb/>
nun auch für Sie eine zu verſtehende Folge möglich werde,<lb/>
wie es außen und innen übereinander ging, ſo will ich die<lb/>
Dinge der Zeit nach vortragen, wie ſie übereinander gingen.<lb/>
Ein großer Zwang für mich: die ich am affizirteſten vom<lb/>
Letzten bin: und noch mehr von der Furcht, es Ihnen in der<lb/>
Lebendigkeit, die dies beſonders heiſcht, und in welcher es<lb/>
vorging, nicht darſtellen zu können. Als Sie ankamen, fan-<lb/>
den Sie mich ſehr perplex, — Sie ſahen, glaub’ ich, es nicht<lb/>
ganz. Auch dies, die Urſache davon ſollen Sie erfahren: aber<lb/>
erſt ganz am Ende dieſes Briefes. —</p><lb/><p>Ich erwartete einen Menſchen, mit dem ich etwas ab-<lb/>
machen wollte, welches meine ganze Seele unter ſeiner <choice><sic>Gr-<lb/>
walt</sic><corr>Ge-<lb/>
walt</corr></choice> hatte: dabei — Sie wiſſen, was, und auch wohl wie —<lb/>
hatte ich Ihnen geſchrieben, wollte Ihnen noch ſchreiben, und<lb/>
dachte in dieſer Seelenklemme in taktloſen Zwiſchenräumen<lb/>
an Sie und an das, was ich Ihnen noch ſagen wollte.<lb/>
Hauptſächlich war Eines davon dies: daß man, als Unſinni-<lb/>
ger, ſein Leben in Schmutz, Unſinn, Dürre, Sand und Wuſt,<lb/>
in wahnſinnigen Thorheiten, hinrinnen läßt, nicht beachtend,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">1 *</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[3/0011]
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Donnerstag, halb 2 Uhr Mittag, den 9 Januar 1812.
Unpaß genug! und es iſt eine ausgemachte Sache, daß
Sie mich noch todt martern: denn mitten in dieſen Zuſtänden
bin ich auf nichts befliſſen, als Ihnen alles zu erzählen, über
alles genaue Rechenſchaft zu geben. Dabei ſteht kein Augen-
blick ſtill, und es folgen Ereigniſſe und Gedanken. Damit
nun auch für Sie eine zu verſtehende Folge möglich werde,
wie es außen und innen übereinander ging, ſo will ich die
Dinge der Zeit nach vortragen, wie ſie übereinander gingen.
Ein großer Zwang für mich: die ich am affizirteſten vom
Letzten bin: und noch mehr von der Furcht, es Ihnen in der
Lebendigkeit, die dies beſonders heiſcht, und in welcher es
vorging, nicht darſtellen zu können. Als Sie ankamen, fan-
den Sie mich ſehr perplex, — Sie ſahen, glaub’ ich, es nicht
ganz. Auch dies, die Urſache davon ſollen Sie erfahren: aber
erſt ganz am Ende dieſes Briefes. —
Ich erwartete einen Menſchen, mit dem ich etwas ab-
machen wollte, welches meine ganze Seele unter ſeiner Ge-
walt hatte: dabei — Sie wiſſen, was, und auch wohl wie —
hatte ich Ihnen geſchrieben, wollte Ihnen noch ſchreiben, und
dachte in dieſer Seelenklemme in taktloſen Zwiſchenräumen
an Sie und an das, was ich Ihnen noch ſagen wollte.
Hauptſächlich war Eines davon dies: daß man, als Unſinni-
ger, ſein Leben in Schmutz, Unſinn, Dürre, Sand und Wuſt,
in wahnſinnigen Thorheiten, hinrinnen läßt, nicht beachtend,
1 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/11>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.