geben! Aber wie traurig sind Sie in Ihrem Brief -- Sie haben in Ih- ren Worten so viel Ausdruck, als in Ihren Augen. Erheitern Sie sich; das Beste ist nicht werth, daß man es bedauere! Sobald ich den Steffens ausgelesen, bringe ich ihn zu Ihnen.
Ihr H. v. Kleist."
An Varnhagen, in Prag.
Donnerstag 11 Abends, den zweiten Weihnachtstag 1811.
Vorgestern beim Bescheeren dacht ich an dich, und wußte, daß du an mich dachtest! -- Aber weg mit diesen alltäglichen Erinnerungen -- sagt Hamlet. Seit Goethens Brief vor mir liegt. Wie eine Überschwemmung ist es über mich gekommen: ein Meer ist alles; und es muß sich erst jedes nach und nach daraus bilden. Ob ich dir danke -- du weißt es; du wirst es erfahren. Du weißt, ob ich eitel nach Beifall strebe, den ich mir nicht selbst gebe; ob ich große Bemühungen anstelle, um gelobt zu werden. Aber meine wirklich namenlose Liebe und bewundernde Verehrung dem herrlichsten Mann und Men- schen Einmal zu Füßen legen zu können, war der geheime, stille Wunsch meines ganzen Lebens, seiner Dauer und seiner Intensivität nach. In Einer Sache hab' ich meinem tiefsten Innersten gefolgt, mich von Goethe scheu zurückzuhalten. Gott, wie recht war es! Wie keusch, wie unentweiht, wie durch ein ganzes, unseliges Leben durchbewahrt, könnt' ich ihm nun die Adoration in meinem Herzen zeigen. Durch alles, was ich je ausdrückte, geht sie hindurch, jedes aufgeschriebene Wort beinah enthält sie. Und auch er nur wird es mir anrechnen können, wie schwer es ist, solche liebende Bewunderung schwei-
geben! Aber wie traurig ſind Sie in Ihrem Brief — Sie haben in Ih- ren Worten ſo viel Ausdruck, als in Ihren Augen. Erheitern Sie ſich; das Beſte iſt nicht werth, daß man es bedauere! Sobald ich den Steffens ausgeleſen, bringe ich ihn zu Ihnen.
Ihr H. v. Kleiſt.“
An Varnhagen, in Prag.
Donnerstag 11 Abends, den zweiten Weihnachtstag 1811.
Vorgeſtern beim Beſcheeren dacht ich an dich, und wußte, daß du an mich dachteſt! — Aber weg mit dieſen alltäglichen Erinnerungen — ſagt Hamlet. Seit Goethens Brief vor mir liegt. Wie eine Überſchwemmung iſt es über mich gekommen: ein Meer iſt alles; und es muß ſich erſt jedes nach und nach daraus bilden. Ob ich dir danke — du weißt es; du wirſt es erfahren. Du weißt, ob ich eitel nach Beifall ſtrebe, den ich mir nicht ſelbſt gebe; ob ich große Bemühungen anſtelle, um gelobt zu werden. Aber meine wirklich namenloſe Liebe und bewundernde Verehrung dem herrlichſten Mann und Men- ſchen Einmal zu Füßen legen zu können, war der geheime, ſtille Wunſch meines ganzen Lebens, ſeiner Dauer und ſeiner Intenſivität nach. In Einer Sache hab’ ich meinem tiefſten Innerſten gefolgt, mich von Goethe ſcheu zurückzuhalten. Gott, wie recht war es! Wie keuſch, wie unentweiht, wie durch ein ganzes, unſeliges Leben durchbewahrt, könnt’ ich ihm nun die Adoration in meinem Herzen zeigen. Durch alles, was ich je ausdrückte, geht ſie hindurch, jedes aufgeſchriebene Wort beinah enthält ſie. Und auch er nur wird es mir anrechnen können, wie ſchwer es iſt, ſolche liebende Bewunderung ſchwei-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0592"n="578"/>
geben! Aber wie traurig ſind Sie in Ihrem Brief — Sie haben in Ih-<lb/>
ren Worten ſo viel Ausdruck, als in Ihren Augen. Erheitern Sie ſich;<lb/>
das Beſte iſt nicht werth, daß man es bedauere! Sobald ich den Steffens<lb/>
ausgeleſen, bringe ich ihn zu Ihnen.</p><closer><salute>Ihr<lb/><hirendition="#et">H. v. <hirendition="#g">Kleiſt</hi>.“</hi></salute></closer></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in Prag.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Donnerstag 11 Abends, den zweiten Weihnachtstag 1811.</hi></dateline><lb/><p>Vorgeſtern beim Beſcheeren dacht ich an dich, und wußte,<lb/>
daß du an mich dachteſt! — Aber weg mit dieſen alltäglichen<lb/>
Erinnerungen —ſagt Hamlet. Seit Goethens Brief vor mir<lb/>
liegt. Wie eine Überſchwemmung iſt es über mich gekommen:<lb/>
ein Meer iſt alles; und es muß ſich erſt jedes nach und nach<lb/>
daraus bilden. Ob ich dir danke — du weißt es; du wirſt<lb/>
es erfahren. Du weißt, ob ich eitel nach Beifall ſtrebe, den<lb/>
ich mir nicht ſelbſt gebe; ob ich große Bemühungen anſtelle,<lb/>
um gelobt zu werden. Aber meine wirklich namenloſe Liebe<lb/>
und bewundernde Verehrung dem herrlichſten Mann und Men-<lb/>ſchen Einmal zu Füßen legen zu können, war der geheime,<lb/>ſtille Wunſch meines ganzen Lebens, ſeiner Dauer und ſeiner<lb/>
Intenſivität nach. In Einer Sache hab’ ich meinem tiefſten<lb/>
Innerſten gefolgt, mich von Goethe ſcheu zurückzuhalten. Gott,<lb/>
wie recht war es! Wie keuſch, wie unentweiht, wie durch ein<lb/>
ganzes, unſeliges Leben durchbewahrt, könnt’ ich ihm nun die<lb/>
Adoration in meinem Herzen zeigen. Durch alles, was ich je<lb/>
ausdrückte, geht ſie hindurch, <hirendition="#g">jedes</hi> aufgeſchriebene Wort<lb/>
beinah enthält ſie. Und auch er nur wird es mir anrechnen<lb/>
können, wie ſchwer es iſt, ſolche liebende Bewunderung ſchwei-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[578/0592]
geben! Aber wie traurig ſind Sie in Ihrem Brief — Sie haben in Ih-
ren Worten ſo viel Ausdruck, als in Ihren Augen. Erheitern Sie ſich;
das Beſte iſt nicht werth, daß man es bedauere! Sobald ich den Steffens
ausgeleſen, bringe ich ihn zu Ihnen.
Ihr
H. v. Kleiſt.“
An Varnhagen, in Prag.
Donnerstag 11 Abends, den zweiten Weihnachtstag 1811.
Vorgeſtern beim Beſcheeren dacht ich an dich, und wußte,
daß du an mich dachteſt! — Aber weg mit dieſen alltäglichen
Erinnerungen — ſagt Hamlet. Seit Goethens Brief vor mir
liegt. Wie eine Überſchwemmung iſt es über mich gekommen:
ein Meer iſt alles; und es muß ſich erſt jedes nach und nach
daraus bilden. Ob ich dir danke — du weißt es; du wirſt
es erfahren. Du weißt, ob ich eitel nach Beifall ſtrebe, den
ich mir nicht ſelbſt gebe; ob ich große Bemühungen anſtelle,
um gelobt zu werden. Aber meine wirklich namenloſe Liebe
und bewundernde Verehrung dem herrlichſten Mann und Men-
ſchen Einmal zu Füßen legen zu können, war der geheime,
ſtille Wunſch meines ganzen Lebens, ſeiner Dauer und ſeiner
Intenſivität nach. In Einer Sache hab’ ich meinem tiefſten
Innerſten gefolgt, mich von Goethe ſcheu zurückzuhalten. Gott,
wie recht war es! Wie keuſch, wie unentweiht, wie durch ein
ganzes, unſeliges Leben durchbewahrt, könnt’ ich ihm nun die
Adoration in meinem Herzen zeigen. Durch alles, was ich je
ausdrückte, geht ſie hindurch, jedes aufgeſchriebene Wort
beinah enthält ſie. Und auch er nur wird es mir anrechnen
können, wie ſchwer es iſt, ſolche liebende Bewunderung ſchwei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/592>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.