-- Gestern war es beinah 3, als ich aufhörte an Sie zu schreiben: ich ging zur Fr. um etwas wegen des Abends zu ver- abreden, und wollte allein umherlaufen; mir war sehr unwohl am Gehirn. Sie ging aber mit! und ich führte sie an das Pots- dammer Thor, wo wir im Achteck, oder wie es heißt, umhergin- gen; das schönste, mildeste Wetter, der lieblichste Sonnenschein, Berlins beste Luft; wir gingen ziemlich lange; über den Wil- helmsplatz, die Linden durch, nach Hause. Weit nach 4 Uhr. Ich wollte essen, mich sehr lange ruhen, und zu Bethmanns. Point du tout; ich finde inliegenden Zettel -- den freundlich- sten im Leben -- von Markus, und aus Schwäche gehe ich richtig in die Zauberflöte, bis 8 da! -- hatte ich meine Qual mit Ihnen! Ich gönnte mir keine Note. Sie wurde wirk- lich -- wenn ich das hier sage! -- von Seiten des Orchesters gut gegeben. Die Madam spricht sehr gut und modifizirt das Deutsche aus; singt, und deklamirt besonders, mit gro- ßem Maß, war gut angezogen -- die Sternenkönigin -- und singt gräßliche Koloratur. Der Sänger, eine schöne gesunde Bruststimme, ohne feine Seele zum Vortrag, kann viel lernen, auch von dem Fehlenden! Mlle. Schmidt, keine Ahndung von Pamina! -- aber sehr gut gesungen. Also ich doch in einem Leid! Das thun Sie mir aber nicht an! Torquato Tasso wird diesen Monat hier gegeben. Zu dem Tag sind Sie hier. Für den Platz forge ich. Dann fuhr ich zu Mad. Beth- mann; wo Frau von der Recke nicht war: aber Hr. Tiedge,
35 *
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Mittwoch, den 6. November 1811. Mittags 2 Uhr.
— Geſtern war es beinah 3, als ich aufhörte an Sie zu ſchreiben: ich ging zur Fr. um etwas wegen des Abends zu ver- abreden, und wollte allein umherlaufen; mir war ſehr unwohl am Gehirn. Sie ging aber mit! und ich führte ſie an das Pots- dammer Thor, wo wir im Achteck, oder wie es heißt, umhergin- gen; das ſchönſte, mildeſte Wetter, der lieblichſte Sonnenſchein, Berlins beſte Luft; wir gingen ziemlich lange; über den Wil- helmsplatz, die Linden durch, nach Hauſe. Weit nach 4 Uhr. Ich wollte eſſen, mich ſehr lange ruhen, und zu Bethmanns. Point du tout; ich finde inliegenden Zettel — den freundlich- ſten im Leben — von Markus, und aus Schwäche gehe ich richtig in die Zauberflöte, bis 8 da! — hatte ich meine Qual mit Ihnen! Ich gönnte mir keine Note. Sie wurde wirk- lich — wenn ich das hier ſage! — von Seiten des Orcheſters gut gegeben. Die Madam ſpricht ſehr gut und modifizirt das Deutſche aus; ſingt, und deklamirt beſonders, mit gro- ßem Maß, war gut angezogen — die Sternenkönigin — und ſingt gräßliche Koloratur. Der Sänger, eine ſchöne geſunde Bruſtſtimme, ohne feine Seele zum Vortrag, kann viel lernen, auch von dem Fehlenden! Mlle. Schmidt, keine Ahndung von Pamina! — aber ſehr gut geſungen. Alſo ich doch in einem Leid! Das thun Sie mir aber nicht an! Torquato Taſſo wird dieſen Monat hier gegeben. Zu dem Tag ſind Sie hier. Für den Platz forge ich. Dann fuhr ich zu Mad. Beth- mann; wo Frau von der Recke nicht war: aber Hr. Tiedge,
35 *
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0561"n="547"/><divn="2"><head>An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Mittwoch, den 6. November 1811. Mittags 2 Uhr.</hi></dateline><lb/><p>— Geſtern war es beinah 3, als ich aufhörte an Sie zu<lb/>ſchreiben: ich ging zur Fr. um etwas wegen des Abends zu ver-<lb/>
abreden, und wollte allein umherlaufen; mir war ſehr unwohl<lb/>
am Gehirn. Sie ging aber mit! und ich führte ſie an das Pots-<lb/>
dammer Thor, wo wir im Achteck, oder wie es heißt, umhergin-<lb/>
gen; das ſchönſte, mildeſte Wetter, der lieblichſte Sonnenſchein,<lb/>
Berlins beſte Luft; wir gingen ziemlich lange; über den Wil-<lb/>
helmsplatz, die Linden durch, nach Hauſe. Weit nach 4 Uhr.<lb/>
Ich wollte eſſen, mich ſehr lange ruhen, und zu Bethmanns.<lb/><hirendition="#aq">Point du tout;</hi> ich finde inliegenden Zettel — den freundlich-<lb/>ſten im Leben — von Markus, und aus Schwäche gehe ich<lb/>
richtig in die Zauberflöte, bis 8 <hirendition="#g">da</hi>! — hatte ich meine Qual<lb/><hirendition="#g">mit Ihnen</hi>! Ich gönnte mir keine Note. Sie wurde wirk-<lb/>
lich — wenn ich das <hirendition="#g">hier</hi>ſage! — von Seiten des Orcheſters<lb/>
gut gegeben. Die <hirendition="#g">Madam</hi>ſpricht <hirendition="#g">ſehr gut</hi> und modifizirt<lb/>
das Deutſche aus; ſingt, und deklamirt beſonders, mit gro-<lb/>
ßem Maß, war gut angezogen — die Sternenkönigin — und<lb/>ſingt gräßliche Koloratur. Der Sänger, eine ſchöne geſunde<lb/>
Bruſtſtimme, ohne feine Seele zum Vortrag, kann viel lernen,<lb/>
auch von dem Fehlenden! Mlle. Schmidt, keine Ahndung von<lb/>
Pamina! — aber ſehr gut geſungen. Alſo ich doch in <hirendition="#g">einem<lb/>
Leid! Das</hi> thun Sie mir aber nicht an! Torquato Taſſo<lb/>
wird dieſen Monat hier gegeben. <hirendition="#g">Zu dem</hi> Tag ſind Sie<lb/>
hier. Für den Platz forge ich. Dann fuhr ich zu Mad. Beth-<lb/>
mann; wo Frau von der Recke <hirendition="#g">nich</hi>t war: aber Hr. Tiedge,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">35 *</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[547/0561]
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Mittwoch, den 6. November 1811. Mittags 2 Uhr.
— Geſtern war es beinah 3, als ich aufhörte an Sie zu
ſchreiben: ich ging zur Fr. um etwas wegen des Abends zu ver-
abreden, und wollte allein umherlaufen; mir war ſehr unwohl
am Gehirn. Sie ging aber mit! und ich führte ſie an das Pots-
dammer Thor, wo wir im Achteck, oder wie es heißt, umhergin-
gen; das ſchönſte, mildeſte Wetter, der lieblichſte Sonnenſchein,
Berlins beſte Luft; wir gingen ziemlich lange; über den Wil-
helmsplatz, die Linden durch, nach Hauſe. Weit nach 4 Uhr.
Ich wollte eſſen, mich ſehr lange ruhen, und zu Bethmanns.
Point du tout; ich finde inliegenden Zettel — den freundlich-
ſten im Leben — von Markus, und aus Schwäche gehe ich
richtig in die Zauberflöte, bis 8 da! — hatte ich meine Qual
mit Ihnen! Ich gönnte mir keine Note. Sie wurde wirk-
lich — wenn ich das hier ſage! — von Seiten des Orcheſters
gut gegeben. Die Madam ſpricht ſehr gut und modifizirt
das Deutſche aus; ſingt, und deklamirt beſonders, mit gro-
ßem Maß, war gut angezogen — die Sternenkönigin — und
ſingt gräßliche Koloratur. Der Sänger, eine ſchöne geſunde
Bruſtſtimme, ohne feine Seele zum Vortrag, kann viel lernen,
auch von dem Fehlenden! Mlle. Schmidt, keine Ahndung von
Pamina! — aber ſehr gut geſungen. Alſo ich doch in einem
Leid! Das thun Sie mir aber nicht an! Torquato Taſſo
wird dieſen Monat hier gegeben. Zu dem Tag ſind Sie
hier. Für den Platz forge ich. Dann fuhr ich zu Mad. Beth-
mann; wo Frau von der Recke nicht war: aber Hr. Tiedge,
35 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/561>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.