dauerte es. Dies alles aber in der natürlichsten, allmähligsten Folge, und nicht im geringsten wie es hier steht. Jeder Mensch, jedes Ding, und er sich selbst, wurden ihm klar und lieber; er fühlte das am Ende so, daß er sagte: bei Ihnen wird mir wohl! und faßte sich am Kopf, und setzte hinzu, mir wird klar im Kopf. "Ich bin, die all das Herrliche vollbrachte," (die Jungfrau von Schiller) und schwankend geh' ich mit der Fahne her. Ich werde "todt sein", wie Alfonso's Mutter; darben wie die "Schwester von Urbino." Nicht ganz so; lieber Freund! -- --
Mittwoch, den 23. Oktober, gleich 10 Uhr.
Es ist ganz richtig, daß Sie mir nicht ehr schrieben, und überall nicht ohne Bedürfniß, und die eigentliche Möglichkeit dazu; aber es giebt eine Pflicht, und die hätte Sie dazu brin- gen sollen, die hätte mich dazu gebracht. Haben Sie meinen Zustand so ganz vergessen können? und daß Ihre Schriftzüge schon allein jetzt mein liebstes, tröstliches Gesichte sind? Es thut nichts! Mein innerstes Herz weiß immer, worauf es zu rechnen hat, und es war mir nichts Unerhörtes, Unerwartetes. Was mich aber das Gegentheil hoffen machte, war meine grimmige Bitte, die in einzelnen Worten Sie so zu fassen wußte, daß Sie mir nach mancher Viertelstunde, das Verspre- chen wie von selbst gaben, daß Sie mir bald, ja gleich schrei- ben würden. Als kein Brief, und kein Brief kam, dacht' ich mir endlich, Sie wollten mir nicht eher, als im eingerichteten Quartier schreiben; und, Sie haben noch keine Arbeit, und wären gleich zu Fouque's gereist -- nicht dumm von mir, --
dauerte es. Dies alles aber in der natürlichſten, allmähligſten Folge, und nicht im geringſten wie es hier ſteht. Jeder Menſch, jedes Ding, und er ſich ſelbſt, wurden ihm klar und lieber; er fühlte das am Ende ſo, daß er ſagte: bei Ihnen wird mir wohl! und faßte ſich am Kopf, und ſetzte hinzu, mir wird klar im Kopf. „Ich bin, die all das Herrliche vollbrachte,“ (die Jungfrau von Schiller) und ſchwankend geh’ ich mit der Fahne her. Ich werde „todt ſein“, wie Alfonſo’s Mutter; darben wie die „Schweſter von Urbino.“ Nicht ganz ſo; lieber Freund! — —
Mittwoch, den 23. Oktober, gleich 10 Uhr.
Es iſt ganz richtig, daß Sie mir nicht ehr ſchrieben, und überall nicht ohne Bedürfniß, und die eigentliche Möglichkeit dazu; aber es giebt eine Pflicht, und die hätte Sie dazu brin- gen ſollen, die hätte mich dazu gebracht. Haben Sie meinen Zuſtand ſo ganz vergeſſen können? und daß Ihre Schriftzüge ſchon allein jetzt mein liebſtes, tröſtliches Geſichte ſind? Es thut nichts! Mein innerſtes Herz weiß immer, worauf es zu rechnen hat, und es war mir nichts Unerhörtes, Unerwartetes. Was mich aber das Gegentheil hoffen machte, war meine grimmige Bitte, die in einzelnen Worten Sie ſo zu faſſen wußte, daß Sie mir nach mancher Viertelſtunde, das Verſpre- chen wie von ſelbſt gaben, daß Sie mir bald, ja gleich ſchrei- ben würden. Als kein Brief, und kein Brief kam, dacht’ ich mir endlich, Sie wollten mir nicht eher, als im eingerichteten Quartier ſchreiben; und, Sie haben noch keine Arbeit, und wären gleich zu Fouqué’s gereiſt — nicht dumm von mir, —
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[533/0547]
dauerte es. Dies alles aber in der natürlichſten, allmähligſten
Folge, und nicht im geringſten wie es hier ſteht. Jeder Menſch,
jedes Ding, und er ſich ſelbſt, wurden ihm klar und lieber;
er fühlte das am Ende ſo, daß er ſagte: bei Ihnen wird mir
wohl! und faßte ſich am Kopf, und ſetzte hinzu, mir wird
klar im Kopf. „Ich bin, die all das Herrliche vollbrachte,“
(die Jungfrau von Schiller) und ſchwankend geh’ ich mit der
Fahne her. Ich werde „todt ſein“, wie Alfonſo’s Mutter;
darben wie die „Schweſter von Urbino.“ Nicht ganz ſo;
lieber Freund! — —
Mittwoch, den 23. Oktober, gleich 10 Uhr.
Es iſt ganz richtig, daß Sie mir nicht ehr ſchrieben, und
überall nicht ohne Bedürfniß, und die eigentliche Möglichkeit
dazu; aber es giebt eine Pflicht, und die hätte Sie dazu brin-
gen ſollen, die hätte mich dazu gebracht. Haben Sie meinen
Zuſtand ſo ganz vergeſſen können? und daß Ihre Schriftzüge
ſchon allein jetzt mein liebſtes, tröſtliches Geſichte ſind? Es
thut nichts! Mein innerſtes Herz weiß immer, worauf es zu
rechnen hat, und es war mir nichts Unerhörtes, Unerwartetes.
Was mich aber das Gegentheil hoffen machte, war meine
grimmige Bitte, die in einzelnen Worten Sie ſo zu faſſen
wußte, daß Sie mir nach mancher Viertelſtunde, das Verſpre-
chen wie von ſelbſt gaben, daß Sie mir bald, ja gleich ſchrei-
ben würden. Als kein Brief, und kein Brief kam, dacht’ ich
mir endlich, Sie wollten mir nicht eher, als im eingerichteten
Quartier ſchreiben; und, Sie haben noch keine Arbeit, und
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/547>, abgerufen am 20.11.2024.
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