nah bringen, mir alles Blut umwenden, und die Besinnung rauben. Auch den "faulen Fleck" kenne ich. Sie müssen "das Gemeine verachten lernen." Sie müssen das können. Sie müssen es absolut lernen! Durch Zwang, durch Gewalt an sich selbst ausgeübt, erreichen Sie dies nie. Sonst würd' ich Ihnen, wie Hamlet seiner Mutter räth, sagen: wirf den schadhaften Theil (des Herzens) weg! (wenn sie ihm sagt: du spaltest mir das Herz.) Durch Fleiß aber, durch unab- lässigen Fleiß und Anstrengung können Sie das Gemeine verachten lernen. Durch unablässigen! Ich kenne auch diese Krankheit, und wehre sie mir ewig ab. Ein ununterbroche- nes Untersuchen dessen, was gemein ist, rettet allein davon. Denn so unsinnig ist unser Inneres nicht, daß wir das Ge- meine als solches lieben könnten und halten wollten; aber wir unterscheiden's nicht schnell, und lassen uns meist von Andern, und oft von uns, übertölpeln; und überschreien die ewige Stimme in uns. Habe ich Sie verstanden? Meinten Sie dies? so rotten Sie's aus; lassen Sie dies Ihr erstes und immerwährendes Geschäft sein; wo Sie's nur finden. Dies wird Ihnen auch die nöthige "Besonnenheit" geben es "abzuwehren." Adieu für jetzt! --
Sonnabend Vormittag, den 18. halb 12.
Ich schäme mich, da ich die beklexten Bogen vor mir sehe, daß ich Ihnen dies als eine ordentliche Sendung schik- ken soll; Sie es ordentlich aufmachen und lesen sollen, was ich so gut zurückhalten kann. Sprechen kann man noch so ungezimmerte Dinge; die Luft, und das neutrale Ohr, be-
nah bringen, mir alles Blut umwenden, und die Beſinnung rauben. Auch den „faulen Fleck“ kenne ich. Sie müſſen „das Gemeine verachten lernen.“ Sie müſſen das können. Sie müſſen es abſolut lernen! Durch Zwang, durch Gewalt an ſich ſelbſt ausgeübt, erreichen Sie dies nie. Sonſt würd’ ich Ihnen, wie Hamlet ſeiner Mutter räth, ſagen: wirf den ſchadhaften Theil (des Herzens) weg! (wenn ſie ihm ſagt: du ſpalteſt mir das Herz.) Durch Fleiß aber, durch unab- läſſigen Fleiß und Anſtrengung können Sie das Gemeine verachten lernen. Durch unabläſſigen! Ich kenne auch dieſe Krankheit, und wehre ſie mir ewig ab. Ein ununterbroche- nes Unterſuchen deſſen, was gemein iſt, rettet allein davon. Denn ſo unſinnig iſt unſer Inneres nicht, daß wir das Ge- meine als ſolches lieben könnten und halten wollten; aber wir unterſcheiden’s nicht ſchnell, und laſſen uns meiſt von Andern, und oft von uns, übertölpeln; und überſchreien die ewige Stimme in uns. Habe ich Sie verſtanden? Meinten Sie dies? ſo rotten Sie’s aus; laſſen Sie dies Ihr erſtes und immerwährendes Geſchäft ſein; wo Sie’s nur finden. Dies wird Ihnen auch die nöthige „Beſonnenheit“ geben es „abzuwehren.“ Adieu für jetzt! —
Sonnabend Vormittag, den 18. halb 12.
Ich ſchäme mich, da ich die beklexten Bogen vor mir ſehe, daß ich Ihnen dies als eine ordentliche Sendung ſchik- ken ſoll; Sie es ordentlich aufmachen und leſen ſollen, was ich ſo gut zurückhalten kann. Sprechen kann man noch ſo ungezimmerte Dinge; die Luft, und das neutrale Ohr, be-
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nah bringen, mir alles Blut umwenden, und die Beſinnung
rauben. Auch den „faulen Fleck“ kenne ich. Sie müſſen
„das Gemeine verachten lernen.“ Sie müſſen das können.
Sie müſſen es abſolut lernen! Durch Zwang, durch Gewalt
an ſich ſelbſt ausgeübt, erreichen Sie dies nie. Sonſt würd’
ich Ihnen, wie Hamlet ſeiner Mutter räth, ſagen: wirf den
ſchadhaften Theil (des Herzens) weg! (wenn ſie ihm ſagt:
du ſpalteſt mir das Herz.) Durch Fleiß aber, durch unab-
läſſigen Fleiß und Anſtrengung können Sie das Gemeine
verachten lernen. Durch unabläſſigen! Ich kenne auch dieſe
Krankheit, und wehre ſie mir ewig ab. Ein ununterbroche-
nes Unterſuchen deſſen, was gemein iſt, rettet allein davon.
Denn ſo unſinnig iſt unſer Inneres nicht, daß wir das Ge-
meine als ſolches lieben könnten und halten wollten; aber
wir unterſcheiden’s nicht ſchnell, und laſſen uns meiſt von
Andern, und oft von uns, übertölpeln; und überſchreien die
ewige Stimme in uns. Habe ich Sie verſtanden? Meinten
Sie dies? ſo rotten Sie’s aus; laſſen Sie dies Ihr erſtes
und immerwährendes Geſchäft ſein; wo Sie’s nur finden.
Dies wird Ihnen auch die nöthige „Beſonnenheit“ geben es
„abzuwehren.“ Adieu für jetzt! —
Sonnabend Vormittag, den 18. halb 12.
Ich ſchäme mich, da ich die beklexten Bogen vor mir
ſehe, daß ich Ihnen dies als eine ordentliche Sendung ſchik-
ken ſoll; Sie es ordentlich aufmachen und leſen ſollen, was
ich ſo gut zurückhalten kann. Sprechen kann man noch ſo
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/520>, abgerufen am 20.11.2024.
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