Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

der einen Grundansicht! Ich kann mir Vorfahren und alles
denken (Sie wissen es), wovon ich entfernt bin; wenn es
edel, wenn es natürlich, einfach und groß ist. Mir thut der
Frühling auch vielfach weh. Ich kann nicht allein leben;
und bin es: nicht ohne Beziehung; und habe keine. Reger
und reger nur wird mir Sinn und Herz; bestimmter und
schärfer der Geist: und dieser Frühling zaubert mir, zieht mir
alle verflossenen durch's Herz; macht es mir erklommen still
stehen, vor Angst, vor allen künftigen! Auch nur Worte!
Gott weiß, wie bange, erstockende, zum Tod erstarrte, be-
trübte Momente ich durchfühlen, durchleben muß, Schreiben
Sie mir nur! Wenn auch nur noch so wenige, noch so trübe
Worte. Um 6 Uhr, als ich nach dem Thiergarten gehen
wollte, kam H.; ich hatte so eben Ihren Brief erhalten und
las ihn; er bat mich, Sie freundlich zu grüßen, Ich zeigte
ihm und zeige ihm Ihren Brief nicht. Er brachte mich hinaus,
Gute Nacht! Es war heiß, ohne Regen, und ist jetzt ziem-
lich kühl.


Wenn Sie nicht geschrieben hätten: "Antworten Sie
gleich," so wüßte ich gar nicht einmal, ob Sie dergleichen
Briefe von mir haben wollen, wo so alles darin steht, wie
es an mir vorübergeht, wie ich darin wühlen muß, -- so
wenig antworten Sie, oder thun nur dergleichen. Diesmal
haben Sie Recht; und dies eine hier angeführte Wort ist
Antwort auf alles, was ich schrieb. Künftig aber sprechen Sie
auch ein wenig zu mir zurück. Lesen Sie Adam Müllers

der einen Grundanſicht! Ich kann mir Vorfahren und alles
denken (Sie wiſſen es), wovon ich entfernt bin; wenn es
edel, wenn es natürlich, einfach und groß iſt. Mir thut der
Frühling auch vielfach weh. Ich kann nicht allein leben;
und bin es: nicht ohne Beziehung; und habe keine. Reger
und reger nur wird mir Sinn und Herz; beſtimmter und
ſchärfer der Geiſt: und dieſer Frühling zaubert mir, zieht mir
alle verfloſſenen durch’s Herz; macht es mir erklommen ſtill
ſtehen, vor Angſt, vor allen künftigen! Auch nur Worte!
Gott weiß, wie bange, erſtockende, zum Tod erſtarrte, be-
trübte Momente ich durchfühlen, durchleben muß, Schreiben
Sie mir nur! Wenn auch nur noch ſo wenige, noch ſo trübe
Worte. Um 6 Uhr, als ich nach dem Thiergarten gehen
wollte, kam H.; ich hatte ſo eben Ihren Brief erhalten und
las ihn; er bat mich, Sie freundlich zu grüßen, Ich zeigte
ihm und zeige ihm Ihren Brief nicht. Er brachte mich hinaus,
Gute Nacht! Es war heiß, ohne Regen, und iſt jetzt ziem-
lich kühl.


Wenn Sie nicht geſchrieben hätten: „Antworten Sie
gleich,“ ſo wüßte ich gar nicht einmal, ob Sie dergleichen
Briefe von mir haben wollen, wo ſo alles darin ſteht, wie
es an mir vorübergeht, wie ich darin wühlen muß, — ſo
wenig antworten Sie, oder thun nur dergleichen. Diesmal
haben Sie Recht; und dies eine hier angeführte Wort iſt
Antwort auf alles, was ich ſchrieb. Künftig aber ſprechen Sie
auch ein wenig zu mir zurück. Leſen Sie Adam Müllers

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0516" n="502"/>
der einen Grundan&#x017F;icht! Ich kann mir Vorfahren und alles<lb/>
denken (Sie wi&#x017F;&#x017F;en es), wovon ich entfernt bin; wenn es<lb/>
edel, wenn es natürlich, einfach und groß i&#x017F;t. Mir thut der<lb/>
Frühling auch <hi rendition="#g">vielfach</hi> weh. Ich kann nicht allein leben;<lb/>
und bin es: nicht ohne Beziehung; und habe keine. Reger<lb/>
und reger nur wird mir Sinn und Herz; be&#x017F;timmter und<lb/>
&#x017F;chärfer der Gei&#x017F;t: und die&#x017F;er Frühling zaubert mir, zieht mir<lb/>
alle verflo&#x017F;&#x017F;enen durch&#x2019;s Herz; macht es mir erklommen &#x017F;till<lb/>
&#x017F;tehen, vor Ang&#x017F;t, vor allen künftigen! <hi rendition="#g">Auch</hi> nur Worte!<lb/><hi rendition="#g">Gott</hi> weiß, wie bange, er&#x017F;tockende, zum Tod er&#x017F;tarrte, be-<lb/>
trübte Momente ich durchfühlen, durchleben muß, Schreiben<lb/>
Sie mir nur! Wenn auch nur noch &#x017F;o wenige, noch &#x017F;o trübe<lb/>
Worte. Um 6 Uhr, als ich nach dem Thiergarten gehen<lb/>
wollte, kam H.; ich hatte &#x017F;o eben Ihren Brief erhalten und<lb/>
las ihn; er bat mich, Sie freundlich zu grüßen, Ich zeigte<lb/>
ihm und zeige ihm Ihren Brief nicht. Er brachte mich hinaus,<lb/>
Gute Nacht! Es war heiß, ohne Regen, und i&#x017F;t jetzt ziem-<lb/>
lich kühl.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Freitag Morgen um halb 11. im dick&#x017F;ten Sonnen-<lb/>
&#x017F;chein, die Laden nur ein wenig offen.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Wenn Sie nicht ge&#x017F;chrieben hätten: &#x201E;Antworten Sie<lb/>
gleich,&#x201C; &#x017F;o wüßte ich gar nicht einmal, ob Sie dergleichen<lb/>
Briefe von mir haben wollen, wo &#x017F;o alles darin &#x017F;teht, wie<lb/>
es an mir vorübergeht, wie ich darin wühlen muß, &#x2014; &#x017F;o<lb/>
wenig antworten Sie, oder thun nur dergleichen. Diesmal<lb/>
haben Sie Recht; und dies eine hier angeführte Wort <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi><lb/>
Antwort auf alles, was ich &#x017F;chrieb. Künftig aber &#x017F;prechen Sie<lb/>
auch ein wenig zu mir zurück. Le&#x017F;en Sie Adam Müllers<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[502/0516] der einen Grundanſicht! Ich kann mir Vorfahren und alles denken (Sie wiſſen es), wovon ich entfernt bin; wenn es edel, wenn es natürlich, einfach und groß iſt. Mir thut der Frühling auch vielfach weh. Ich kann nicht allein leben; und bin es: nicht ohne Beziehung; und habe keine. Reger und reger nur wird mir Sinn und Herz; beſtimmter und ſchärfer der Geiſt: und dieſer Frühling zaubert mir, zieht mir alle verfloſſenen durch’s Herz; macht es mir erklommen ſtill ſtehen, vor Angſt, vor allen künftigen! Auch nur Worte! Gott weiß, wie bange, erſtockende, zum Tod erſtarrte, be- trübte Momente ich durchfühlen, durchleben muß, Schreiben Sie mir nur! Wenn auch nur noch ſo wenige, noch ſo trübe Worte. Um 6 Uhr, als ich nach dem Thiergarten gehen wollte, kam H.; ich hatte ſo eben Ihren Brief erhalten und las ihn; er bat mich, Sie freundlich zu grüßen, Ich zeigte ihm und zeige ihm Ihren Brief nicht. Er brachte mich hinaus, Gute Nacht! Es war heiß, ohne Regen, und iſt jetzt ziem- lich kühl. Freitag Morgen um halb 11. im dickſten Sonnen- ſchein, die Laden nur ein wenig offen. Wenn Sie nicht geſchrieben hätten: „Antworten Sie gleich,“ ſo wüßte ich gar nicht einmal, ob Sie dergleichen Briefe von mir haben wollen, wo ſo alles darin ſteht, wie es an mir vorübergeht, wie ich darin wühlen muß, — ſo wenig antworten Sie, oder thun nur dergleichen. Diesmal haben Sie Recht; und dies eine hier angeführte Wort iſt Antwort auf alles, was ich ſchrieb. Künftig aber ſprechen Sie auch ein wenig zu mir zurück. Leſen Sie Adam Müllers

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/516
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/516>, abgerufen am 30.12.2024.