das Alter entfaltet sich wie eine Blüthe plötzlich aus der Knospe, wenn schon die ganze Jugend es vorbereiten muß.
An Fouque, in Berlin.
Dienslag Abend, den 30. Januar 1810.
So eben erhalte ich diesen Brief von Varnhagen, den ich Ihnen sogleich ganz schicke, nämlich einsiegle. Morgen werden Sie ihn wohl erst bekommen. Ich bitte Sie zu mir zu kommrn. Auch morgen! entweder gegen eins, oder gegen 6 Uhr. Dann will ich Ihnen V's andere Briefe geben; und Sie sprechen. Heute bin ich sehr in Eil; ich muß aus. Ich bin V's Meinung: ich will auch, daß das, was von mir exi- stirt, nicht untergehe. Explosionen haben es heraufgeworfen, es ist Edelgestein drunter. Es lebe das Leid!
Adieu. Rahel.
Sonnabend, den 18. Februar 1810.
Der Krieg ist nichts anders, als ein mißverstandenes und verkehrtes Streben im Menschen nach einer Universalmonar- chie. Nach dem Besitz und Verständniß der Erde wird darum nur allein gestrebt und gehandelt, weil dies unsere uns ange- zwungene Gränze ist; der Geist, ein wenig freier, sucht we- nigstens die Bewegung und ihre Gesetze, anderer Planeten zu ergründen: der Mensch, seiner wahrhaft menschlichen Natur nach in sich, ruht nicht eher, bis er alles seiner Vernunft und Einsicht in sich und um sich her unterworfen hat. Mit dem Kopfe denkt man; dem fügen sich alle Glieder des gesammten Körpers, dienstbar mit ihren Kräften: unsere Einsicht soll von
das Alter entfaltet ſich wie eine Blüthe plötzlich aus der Knospe, wenn ſchon die ganze Jugend es vorbereiten muß.
An Fouqué, in Berlin.
Dienslag Abend, den 30. Januar 1810.
So eben erhalte ich dieſen Brief von Varnhagen, den ich Ihnen ſogleich ganz ſchicke, nämlich einſiegle. Morgen werden Sie ihn wohl erſt bekommen. Ich bitte Sie zu mir zu kommrn. Auch morgen! entweder gegen eins, oder gegen 6 Uhr. Dann will ich Ihnen V’s andere Briefe geben; und Sie ſprechen. Heute bin ich ſehr in Eil; ich muß aus. Ich bin V’s Meinung: ich will auch, daß das, was von mir exi- ſtirt, nicht untergehe. Exploſionen haben es heraufgeworfen, es iſt Edelgeſtein drunter. Es lebe das Leid!
Adieu. Rahel.
Sonnabend, den 18. Februar 1810.
Der Krieg iſt nichts anders, als ein mißverſtandenes und verkehrtes Streben im Menſchen nach einer Univerſalmonar- chie. Nach dem Beſitz und Verſtändniß der Erde wird darum nur allein geſtrebt und gehandelt, weil dies unſere uns ange- zwungene Gränze iſt; der Geiſt, ein wenig freier, ſucht we- nigſtens die Bewegung und ihre Geſetze, anderer Planeten zu ergründen: der Menſch, ſeiner wahrhaft menſchlichen Natur nach in ſich, ruht nicht eher, bis er alles ſeiner Vernunft und Einſicht in ſich und um ſich her unterworfen hat. Mit dem Kopfe denkt man; dem fügen ſich alle Glieder des geſammten Körpers, dienſtbar mit ihren Kräften: unſere Einſicht ſoll von
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das Alter entfaltet ſich wie eine Blüthe plötzlich aus der
Knospe, wenn ſchon die ganze Jugend es vorbereiten muß.
An Fouqué, in Berlin.
Dienslag Abend, den 30. Januar 1810.
So eben erhalte ich dieſen Brief von Varnhagen, den
ich Ihnen ſogleich ganz ſchicke, nämlich einſiegle. Morgen
werden Sie ihn wohl erſt bekommen. Ich bitte Sie zu mir
zu kommrn. Auch morgen! entweder gegen eins, oder gegen
6 Uhr. Dann will ich Ihnen V’s andere Briefe geben; und
Sie ſprechen. Heute bin ich ſehr in Eil; ich muß aus. Ich
bin V’s Meinung: ich will auch, daß das, was von mir exi-
ſtirt, nicht untergehe. Exploſionen haben es heraufgeworfen,
es iſt Edelgeſtein drunter. Es lebe das Leid!
Adieu. Rahel.
Sonnabend, den 18. Februar 1810.
Der Krieg iſt nichts anders, als ein mißverſtandenes und
verkehrtes Streben im Menſchen nach einer Univerſalmonar-
chie. Nach dem Beſitz und Verſtändniß der Erde wird darum
nur allein geſtrebt und gehandelt, weil dies unſere uns ange-
zwungene Gränze iſt; der Geiſt, ein wenig freier, ſucht we-
nigſtens die Bewegung und ihre Geſetze, anderer Planeten zu
ergründen: der Menſch, ſeiner wahrhaft menſchlichen Natur
nach in ſich, ruht nicht eher, bis er alles ſeiner Vernunft und
Einſicht in ſich und um ſich her unterworfen hat. Mit dem
Kopfe denkt man; dem fügen ſich alle Glieder des geſammten
Körpers, dienſtbar mit ihren Kräften: unſere Einſicht ſoll von
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/475>, abgerufen am 20.11.2024.
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