Sonst -- ist es wie es war. -- Vormittag war ich im schön- sten Wetter weit allein in den Straßen spaziren. Es wirkte so gut, daß mir luftig in der Seele, hell und klar im Kopf zu tausend Gedanken wurde; und ich genoß vom ganzen Gange so recht eigentlich den Genuß. Wie vieles wußte ich mit einemmale deutlich, was Jahre lang ungeboren als Schmerz in meiner Seele lag, und nun hervor an der Sonne, im hellen Bewußtsein, beruhigendes Gut wurde. Ich empfand den Besitz der mancherlei Gemüthsreichthümer recht schwelgend, und doch fromm, möchte ich sagen; denn meine Freude war nur Freude, und glich einem erwärmend hellen Lichte. Auch dachte ich über die ganze Masse der Men- schenbildung; und ob wohl alle Essenz davon, das höchste Entzücken edler, reichbegabter Menschen an einander, und je- der andere erhellte, erhobene Moment im Leben, das Placken und den Jammer Aller werth ist, den es zum Dünger Jahr- hunderte lang erfordert? Arbeitende Karrende, und ich, brach- ten mich auf den Gedanken. --
An Varnhagen, in Tübingen.
Berlin, den 5. December 1808. Dienstag Abend, bald 10 Uhr.
-- -- Weißt du, warum ich dir besonders schreibe, mein einziger Vertrauter meiner Gedanken, -- wegen Heinse! Denke nur nicht, daß ich stupid bin! Ich habe mich bloß gröblich geirrt; und das wieder auf Anstiften meines Gedächtnisses! Wie ich dir sagte, Ardinghello gefalle mir nicht, meinte ich
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Sonſt — iſt es wie es war. — Vormittag war ich im ſchön- ſten Wetter weit allein in den Straßen ſpaziren. Es wirkte ſo gut, daß mir luftig in der Seele, hell und klar im Kopf zu tauſend Gedanken wurde; und ich genoß vom ganzen Gange ſo recht eigentlich den Genuß. Wie vieles wußte ich mit einemmale deutlich, was Jahre lang ungeboren als Schmerz in meiner Seele lag, und nun hervor an der Sonne, im hellen Bewußtſein, beruhigendes Gut wurde. Ich empfand den Beſitz der mancherlei Gemüthsreichthümer recht ſchwelgend, und doch fromm, möchte ich ſagen; denn meine Freude war nur Freude, und glich einem erwärmend hellen Lichte. Auch dachte ich über die ganze Maſſe der Men- ſchenbildung; und ob wohl alle Eſſenz davon, das höchſte Entzücken edler, reichbegabter Menſchen an einander, und je- der andere erhellte, erhobene Moment im Leben, das Placken und den Jammer Aller werth iſt, den es zum Dünger Jahr- hunderte lang erfordert? Arbeitende Karrende, und ich, brach- ten mich auf den Gedanken. —
An Varnhagen, in Tübingen.
Berlin, den 5. December 1808. Dienstag Abend, bald 10 Uhr.
— — Weißt du, warum ich dir beſonders ſchreibe, mein einziger Vertrauter meiner Gedanken, — wegen Heinſe! Denke nur nicht, daß ich ſtupid bin! Ich habe mich bloß gröblich geirrt; und das wieder auf Anſtiften meines Gedächtniſſes! Wie ich dir ſagte, Ardinghello gefalle mir nicht, meinte ich
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Sonſt — iſt es wie es war. — Vormittag war ich im ſchön-
ſten Wetter weit allein in den Straßen ſpaziren. Es wirkte
ſo gut, daß mir luftig in der Seele, hell und klar im Kopf
zu tauſend Gedanken wurde; und ich genoß vom ganzen
Gange ſo recht eigentlich den Genuß. Wie vieles wußte ich
mit einemmale deutlich, was Jahre lang ungeboren als
Schmerz in meiner Seele lag, und nun hervor an der
Sonne, im hellen Bewußtſein, beruhigendes Gut wurde.
Ich empfand den Beſitz der mancherlei Gemüthsreichthümer
recht ſchwelgend, und doch fromm, möchte ich ſagen; denn
meine Freude war nur Freude, und glich einem erwärmend
hellen Lichte. Auch dachte ich über die ganze Maſſe der Men-
ſchenbildung; und ob wohl alle Eſſenz davon, das höchſte
Entzücken edler, reichbegabter Menſchen an einander, und je-
der andere erhellte, erhobene Moment im Leben, das Placken
und den Jammer Aller werth iſt, den es zum Dünger Jahr-
hunderte lang erfordert? Arbeitende Karrende, und ich, brach-
ten mich auf den Gedanken. —
An Varnhagen, in Tübingen.
Berlin, den 5. December 1808.
Dienstag Abend, bald 10 Uhr.
— — Weißt du, warum ich dir beſonders ſchreibe, mein
einziger Vertrauter meiner Gedanken, — wegen Heinſe! Denke
nur nicht, daß ich ſtupid bin! Ich habe mich bloß gröblich
geirrt; und das wieder auf Anſtiften meines Gedächtniſſes!
Wie ich dir ſagte, Ardinghello gefalle mir nicht, meinte ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/385>, abgerufen am 20.11.2024.
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